Mamablog: EmotionenMehr Wut, bitte!
Eltern sind mit Wutausbrüchen ihrer Kinder oftmals überfordert. Doch wie sieht es mit dem eigenen Umgang mit Wut aus? Anregungen für einen konstruktiven Umgang damit.
Ich las mit meiner Tochter ein Buch. Darin erlebt Simone eine Woche voller Gefühle. Als Simone im Bett liegt und Angst hat, denkt sie an was Lustiges, um sich zu entspannen. Und um sich mehr zuzutrauen, schreibt Simone jeden Tag auf, worauf sie heute stolz war. So weit so gut. Dann wird Simone wütend. «Schnell, die böse Wut muss weg!» stand da. Dazu der Tipp, Simone soll nun drei Mal tief ein- und ausatmen.
Tief atmen und alles ist gut? «So einfach ist das nicht. Wut ist eine überlebenswichtige Emotion. Atmung hat zwar unmittelbar eine sehr gute Wirkung. Doch langfristig ist es wichtig, der Wut zuzuhören», empfiehlt die Zürcher Psychotherapeutin Linda Rasumowsky. «Auch wenn wir als Kinder vielleicht gelernt haben, ihre Signale zu ignorieren, ist es wichtig, uns zu fragen: Warum ist diese Wut gekommen?»
Wut neudenken
Der Wut zuhören will auch die US-amerikanische Journalistin Soraya Chemaly. In ihrem Buch Rage becomes her zeigt sie auf, wie die Unterdrückung von Frauen mit der Unterdrückung weiblicher Wut einhergeht. Frauen hätten zwar allen Grund, wütend zu sein: Sexismus, Misogynie, Diskriminierung. Aber weibliche Wut wird nicht gern gesehen: Männern platzt der Kragen, Frauen werden als hysterisch bezeichnet. Jungs sollen wild und durchsetzungsfähig sein, Mädchen hingegen lieb und brav. Frauen werden im Berufsalltag doppelt so oft unterbrochen wie ihre Kollegen. Und bei gleichen Symptomen bekommen Männer Schmerzmittel und Frauen Beruhigungsmittel.
Wie man mit Wut konstruktiv umgeht, zeigt Chemaly am Ende ihres Buches auf. Wichtig sei es, ein Bewusstsein für die eigene Wut zu schaffen. Verstumme ich, köchele ich leise vor mich hin oder explodiere ich? Kann ich sachlich für mich einstehen oder weine ich? «Je besser man den eigenen Zorn kennt, desto weniger besteht die Gefahr, dass man ihm als zerstörerische Kraft hilflos ausgeliefert ist», schreibt Chemaly.
Auch sollte man die Wut ausdrücken. Besser als Teller zu werfen, ist es, die eigenen Gefühle zu benennen, aufzuschreiben und über sie zu reden. Nicht immer wird es möglich sein, sofort etwas gegen die Missstände zu unternehmen. Aber darüber zu sprechen, tut gut. Auch Information tut gut: Je besser wir die sozialen und politischen Zusammenhänge kennen, die unser Leben beeinflussen, desto besser können wir unsere Wut und Gefühle begreifen und desto besser sind wir gerüstet, für uns einzustehen.
Die Kraft der Wut nutzen
Wer im Leben ungerecht behandelt wurde und eine tiefe, unverarbeitete Wut auf die Welt verspürt, kann diese Wut irgendwann auf sich selbst richten. «Ein Grossteil von Depressionen leitet sich ab von unterdrückter Wut. In der Therapie geht es dann darum, das Gefühl der Selbstwirksamkeit wieder zu etablieren. Das Gegenteil von depressiver Wut, ist es, die Energie der Wut produktiv zu nutzen», sagt Rasumowsky.
Chemaly plädiert dafür, die Energie der Wut zu nutzen, um eigene Rechte durchzusetzen und die Welt zu verändern. Anhand von #metoo oder #blacklivesmatter zeigt sie auf, wie Wut zu einem gesellschaftlichen Wandel beitragen kann. Wer nicht gleich Aktivistin werden will, kann die Wut auch im Kleinen nutzen. Es ist viel getan, wenn wir unseren Kindern einen gesunden Umgang mit Wut vorleben. Und ihnen erklären, warum es wichtig ist, wütend zu sein. So gesehen, liebe Simone, kannst Du gerne erstmal tief durchatmen. Und sobald du ruhig und klar denken kannst: Empör dich! Steh für dich ein! Verändere die Welt!
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