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Simon Pellaud an der Tour de Suisse
Mehr TV-Präsenz als die Stars, dabei hat er noch nichts gewonnen

Der Inbegriff des Baroudeur: Simon Pellaud kriegte am Giro mehr Kamerazeit als viele Stars.
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Es sind existenzielle Gründe, die Simon Pellaud antreiben. «Ich brauche mehr, als nur im Rennen dabei zu sein. Ich muss angreifen, um mich lebendig zu fühlen», sagt der Walliser. Es brauchte aber einen grossen Umweg, der ihn nach Kolumbien führte, bis er dies realisierte.

Mit 21 erhält Pellaud die Chance, beim Schweizer Team IAM Cycling Radprofi zu werden. Zweieinhalb Jahre fährt er in der World Tour mit. Ohne auch nur einmal aufzufallen. Als das Team Ende 2016 aufgelöst wird, bietet ihm niemand einen neuen Vertrag an. Er fragt selber bei der kleinen US-Equipe Illuminate an, die auf Stufe Continental fährt, zwei tiefer als zuvor IAM.

Ohne ein Wort Spanisch nach Südamerika

Zugleich spürt er, dass er grundsätzlich etwas ändern muss in seinem Leben. Kurzerhand fragt er einen künftigen Teamkollegen, Edwin Avila, an, ob er den Winter trainingshalber bei ihm in Kolumbien verbringen könne. Pellaud reist nach Südamerika, ohne ein Wort Spanisch zu sprechen. Es stellt sich als Wendepunkt in seiner Karriere heraus. «Ich habe mich direkt in das Land verliebt: in seine Mentalität, seine Energie.» Im folgenden Sommer entscheidet er sich, seinen Wohnsitz in die Region von Medellín zu verlegen. Dort lernt er auch seine Freundin kennen.

Die beiden wohnen mittlerweile in einem Haus, das sich Pellaud gekauft hat. Abgesehen von der Qualität des Lebens sind es auch die tiefen Kosten, die Kolumbien für ihn attraktiv machen. Bei Illuminate fährt er quasi gratis, erst mit dem Vertrag bei der italienischen Mannschaft Androni Giocattoli auf die Saison 2020 hin kommt wieder etwas Geld aufs Konto. Aber immer noch auf einem Lohnniveau, das ein Leben in der Schweiz kompliziert machen würde.

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Den Italienern war Pellaud 2019 mit seinen langen Vorausfahrten an der Tour de Romandie und der Tour de Suisse aufgefallen, wo er mit dem Schweizer Nationalteam angetreten war. Bei Androni Giocattoli sind Typen wie Pellaud gerne gesehen. Die kleine Equipe lebt von Fahrern, die in der Fluchtgruppe mitfahren und so den Sponsoren TV-Präsenz liefern.

Pellaud realisiert über den Umweg Südamerika, dass dieses Rezept auch bei den Profis funktionieren kann. Denn bereits im Nachwuchs hatte er oftmals so operiert. «Ich war keiner wie Silvan Dillier oder Fabian Lienhard, die bei den Junioren 20 Rennen pro Saison gewannen. Sondern eher eines pro Jahr. Doch ich merkte, dass ich, wenn ich vorausfahre und damit das Rennen antizipiere, eine Chance habe, mit den Besten mitzufahren.» Bei IAM trieb man ihm seinen Offensivgeist aus: «Da hiess es immer: Energie sparen, Energie sparen, Energie sparen!» Nur: Energiesparsam schafft man es zwar sicher ins Ziel, fällt aber auch nicht auf.

«Für mich ist das schlimmste Gefühl, wenn ich nach dem Rennen im Bus sitze und bilanzieren muss, dass es für das Endresultat keinen Unterschied gemacht hat, ob ich mitgefahren bin oder nicht. Ich möchte mitgestalten, Teil des Rennens sein. Ich möchte etwas fühlen! Es ist nicht gut für den Kopf, wenn du denkst: Ich war da für nichts.»

Pellaud fand mit dem Umzug nach Kolumbien seinen Leitsatz, den er seither unter manche seiner Social-Media-Posts schreibt: Do it different – mach es anders.

Am Giro d’Italia fuhr der Walliser auf sieben Etappen und insgesamt 783 Kilometern voraus.

Es braucht Beine, Glück und Instinkt

Dazu gehören auch die Fahrten in den Fluchtgruppen, er ist darin zu einem wahren Spezialisten geworden. «Du brauchst den Kopf und die Beine, um es in die ‹Fuga› zu schaffen. Und Glück braucht es auch. Um dieses zu erzwingen, musst du aus deiner Komfortzone raus, ganz am Anfang des Rennens Vollgas fahren.» Doch wie Pellaud erwähnt: Selbst mit starken Beinen kann man jede Fluchtgruppe verpassen. Denn es ist nicht so, dass stets die erste Gruppe wegfährt, sondern manchmal ist auch erst der xte Versuch der richtige, nach über einer Stunde Renndauer, mit Angriffen in Serie. «Du musst den richtigen Moment spüren, einen Instinkt dafür haben», sagt er.

Letzteren hat er definitiv entwickelt: Am Giro d’Italia fuhr er auf sieben Etappen voraus, insgesamt während 783 Kilometern. Pellaud hat sich zum Inbegriff des Baroudeur entwickelt – einzig im Französischen gibt es einen designierten Begriff für Fahrer, die ihr Heil in der Fluchtgruppe suchen. Bezüglich TV-Präsenz ist er wohl auf einer Stufe mit den Besten, die ja vor allem bei ihren raren Angriffen gefilmt werden.

Die 2000 neuen Follower machen ihn nicht glücklich

Nur: Von den sieben Fluchtgruppen, zu denen Pellaud am Giro gehörte, wurden sechs wieder eingeholt. An acht anderen Tagen hingegen kamen die Ausreisser bis ins Ziel. Deutet das darauf hin, dass er zwar weiss, wie man es in die Fluchtgruppe schafft, aber nicht, wann es sich auch tatsächlich lohnt, sprich, Aussicht auf den Etappensieg besteht? «Eigentlich war ich am Giro, um eine Etappe zu gewinnen. Ich hatte mehr in den Beinen, als dass dabei nur 2000 neue Follower auf Instagram rausgeschaut hätten», sagt Pellaud, immer noch enttäuscht. Doch die Rennkonstellation verunmöglichte es ihm, kompromisslos den eigenen Erfolg zu suchen. Seinem Team waren andere Faktoren wie die Präsenz auf den Podien und in den Fluchtgruppen wichtiger, weshalb er sich auch darauf konzentrieren musste. «Radsport ist eben nicht nur meine Leidenschaft, sondern auch mein Beruf. Da musst du manchmal machen, was dein Arbeitgeber verlangt.» Was nicht heisst, dass er das hinnahm. Nach einer Etappe wurde er deswegen zum Debriefing mit seinen Chefs zitiert.

Der 28-Jährige ist darum durchaus froh, dass sein Engagement bei den Italienern zu Ende geht. Zahlreiche Teams aus der World Tour haben bereits Kontakt aufgenommen. Und er fühlt sich dieses Mal bereit, auf dieser Stufe Leistung zu bringen – anders als noch als Jungspund bei IAM Cycling. Doch der Kreis von künftigen Teams, die Pellaud für sich sieht, ist ein kleiner. «Ich will nicht überall hin. Denn ich will zurück zum Giro. Und brauche im Rennen meine Freiheiten. Diese Faktoren sind mir wichtiger als Geld. Die brauche ich, um zufrieden zu sein.»

Verwirklicht er sich den Traum an der Tour de Suisse?

Die Chancen sind intakt, dass er auch mit diesen Einschränkungen ein Team findet. Faktoren abseits von nackten Leistungsdaten werden heute auch in Betracht gezogen. Etwa die von Pellaud genannten Follower auf Social Media – mit denen er oft im humorvollen Austausch steht. Und seine Kommunikationsfähigkeit: Er spricht fünf Sprachen. Er sagt: «Ich bringe ein paar Faktoren mit, wodurch ich nicht nur als Sportler, sondern auch als Mensch interessant sein kann für eine Mannschaft.»

Überdies ist jeder weitere Ausreissversuch ein zusätzliches Argument für ein Engagement. Das gilt auch an der Tour de Suisse, wo er erneut fürs Schweizer Nationalteam fährt – Androni Giocattoli erhielt keine Wildcard. Zwar spürt er den Giro noch in den Beinen. Aber eine Fluchtgruppe würde er schon noch gerne realisieren. Und vielleicht auch den Traum vom Etappensieg.

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