Initiative für GrundrechteMassnahmenkritiker wollen Schweizer Souveränität retten
Der Corona-Aktivist Nicolas Rimoldi schart die Massnahmengegner hinter sich. Für eine Volksinitiative sollen alle am selben Strick ziehen.
Querelen, Streit und Spaltung. Damit sind seit der Aufhebung der Corona-Massnahmen deren Kritiker hauptsächlich aufgefallen. Jetzt planen wichtige Kräfte der Szene eine Wiedergeburt als «Bürgerrechtsbewegung». Das einigende Projekt: eine Volksinitiative. Das Ziel: der Schutz der Volksrechte vor der Erosion durch internationale Verpflichtungen.
Die «Freunde der Verfassung» und die Gruppe «Mass-Voll» um den Luzerner Corona-Aktivisten Nicolas A. Rimoldi hatten bis vor kurzem noch konkurrierende Initiativpläne verfolgt. Aber an einer Sitzung einigten sie sich auf ein gemeinsames Vorgehen. Mit an Bord sind laut Rimoldi zudem das von den Verfassungsfreunden abgesplitterte «Verfassungsbündnis», das «Lehrernetzwerk» und die Ärztevereinigung Aletheia. Dazu weitere Gruppen, Grüppchen und Politiker – etwa SVP-Nationalrat Lukas Reimann.
Der Vorstand der Verfassungsfreunde hat der Basis signalisiert, dass er «nach reiflicher Überlegung» Rimoldi bei der Unterschriftensammlung unterstützt. Roland Bühlmann, Co-Präsident der Verfassungsfreunde, gibt sich auf Anfrage aber vorsichtig: «Die Idee einer eigenen Initiative ist nicht vom Tisch.» Und finanziell wollen sich die Verfassungsfreunde an Rimoldis Projekt nicht beteiligen.
Der Text von Rimoldis Initiative ging jedenfalls am Mittwoch an die Bundeskanzlei zur Vorprüfung. Im Herbst soll die Unterschriftensammlung starten.
Der Initiativtext ist mit gut einer A4-Seite aussergewöhnlich lang und dementsprechend komplex. Im Wesentlichen verlangt er zwei Dinge: Die Schweiz soll erstens keine völkerrechtlichen Verpflichtungen eingehen, die in die Grundrechte ihrer Bürger eingreifen. Zweitens sollen bestehende internationale Verträge darauf überprüft werden, ob sie die Grundrechte in der Schweiz tangieren.
Gegen den WHO-Pandemievertrag
Im Blick hat Rimoldi etwa den geplanten Pandemievertrag der Weltgesundheitsorganisation WHO. Dieser soll es erlauben, weltweit schnell und konsequent auf neue Pandemien zu reagieren. Dazu sollen Massnahmen gegen die Krankheitsübertragung in allen teilnehmenden Ländern angeordnet werden können.
Die Initianten wollen die Bundesverfassung ändern, indem sie drei neue Absätze in den Artikel 54 einfügen. Dieser befasst sich mit der Aussenpolitik – und ist genau der Teil der Verfassung, den auch Christoph Blocher mit seiner Neutralitätsinitiative ergänzen will. «Das ist ein Zufall», sagt Rimoldi. «Natürlich unterstütze ich aber auch Blochers Anliegen – das zeigt doch, wie reformbedürftig dieser Artikel 54 ist.»
Jérôme Schwyzer, Präsident des «Lehrernetzwerks», ist überzeugt, «dass die Volksinitiative die verfassungsmässigen Rechte der Bürger endlich wirksam vor fremden Eingriffen schützen wird – was dem Bundesrat immer mehr misslingt». Schwyzer hat als Lehrer primär Schulschliessungen, Test- und Maskenpflicht im Auge. Diese hätten sich ja als wirkungslos erwiesen.
«Ich würde die Souveränitätsinitiative selbstverständlich unterschreiben», sagt Hans-Ueli Vogt. Der Rechtsprofessor sass bis Ende letzten Jahres für die SVP im Nationalrat. Er war wesentlich an der Ausarbeitung der sogenannten Selbstbestimmungsinitiative beteiligt. Sie verlangte, dass Schweizer Recht grundsätzlich über internationales Recht gestellt wird.
2018 wurde sie vom Volk deutlich abgelehnt. Vogt sieht nun nicht nur beim Namen der beiden Initiativen eine Ähnlichkeit, sondern auch in der Stossrichtung.
«Das Problem ist real»
«Das Problem, das die Souveränitätsinitiative anspricht, ist real: der grosse Einfluss von internationalen Verträgen und Organisationen», sagt Vogt. «Meine Lehre aus der Abstimmungsniederlage ist allerdings, dass es Initiativen schwer haben, die ein Thema auf einer juristischen oder philosophischen Ebene angehen.»
Im Gegensatz etwa zur Burkainitiative: Sie war auch darum ein Erfolg, weil allen klar war, worum es ging. Die Selbstbestimmungs- und die Souveränitätsinitiative dagegen sind schwierig zu fassen. «Der Initiativtext packt den Stier nicht bei den Hörnern», sagt Vogt. «Es ist von so vielen Ausnahmen die Rede, dass man fast nicht herausfindet, was die Initianten genau meinen.»
Ein angefragter Verfassungsrechtler will sich nicht namentlich zitieren lassen, weil er sich mit dem unveröffentlichten Text noch nicht vertieft befassen konnte. Die Problemwahrnehmung der Initianten sei richtig, sagt er. Die zunehmende Vernetzung durch internationale Organisationen und Verträge bedeute einen Verlust an Souveränität.
Aber: Die Initiative gehe das Problem mit dem Brecheisen an. Denn die Unterscheidung zwischen demokratisch legitimierten Schweizer Gesetzen und undemokratischen internationalen Verpflichtungen sei nicht so eindeutig.
Wie gut mobilisieren die Massnahmenkritiker heute?
Der Verfassungsrechtler sagt dazu, die mögliche Einschränkung von Grundrechten müsse immer dagegen aufgerechnet werden, welche Vorteile eine internationale Abmachung für die Schweiz bringe. Für Rimoldi steht dagegen fest, dass es eine solche Aufrechnung nicht gibt. Denn: «Grundrechte sind unantastbar.»
Mindestens auf dem Papier haben die beteiligten Massnahmenkritiker die Mittel, um die 100’000 notwendigen Unterschriften für die Initiative fristgerecht zusammenzubringen. Dafür sprechen die zwei Referenden gegen die Corona-Gesetze, die in Rekordzeit zustande kamen. Die Adresskarteien, die Erfahrung und das Netzwerk von damals sind noch vorhanden.
Offen bleibt: Können die Massnahmengegner heute noch so mobilisieren wie damals, als es die umstrittenen Massnahmen noch gab?
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