Massenentlassungen bei FlyerDer E-Bike-Pionier steht vor dem Aus
Die Firma mit rund 170 Angestellten in Huttwil kämpft seit längerem mit Schwierigkeiten. Nun soll die Produktion ins Ausland verlagert werden.
- Flyer wird die Produktion wohl ins Ausland verlagern und Stellen abbauen.
- Der Huttwiler Gemeindepräsident zeigt sich betroffen vom Entscheid.
- Marktsättigung und hohe Lagerbestände führen zur Entlassungswelle bei Flyer.
- Flyer war einst ein Vorzeigeunternehmen und wichtiger Arbeitgeber der Region.
Flyer wird in den kommenden Wochen wohl die meisten ihrer 170 Mitarbeitenden entlassen müssen. Die E-Bike-Firma mit Sitz in Huttwil steht vor dem Aus. Die Produktion soll grösstenteils ins Ausland verlagert werden.
«Es wird geprüft, die Verwaltung auf ein Minimum zu reduzieren, die Produktion in Zukunft ausserhalb der Schweiz anzusiedeln und Synergien innerhalb der Gruppe zu nutzen», heisst es in einer Mitteilung der deutschen Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft, Eigentümerin der Flyer AG.
Ganz aufgeben möchte man den Standort Huttwil nicht. Für weitere Informationen verweist die Medienstelle von Flyer auf das Konsultationsverfahren. Bis dieses abgeschlossen sei, könne man nicht mehr sagen.
Die deutsche Eigentümerin hat am Mittwoch ein Konsultationsverfahren eingeleitet und die Mitarbeitenden informiert. Wie die Mediensprecherin gegenüber dieser Redaktion bestätigt, arbeiten momentan noch rund 170 Angestellte im Betrieb in Huttwil. Wie lange noch, ist unklar.
In den nächsten Wochen sollen genaue Zahlen bekannt werden, wie viele Leute entlassen werden. Laut Recherchen von SRF müssen wohl 155 der 170 Personen gehen. Ein grosser Arbeitgeber in Huttwil ginge verloren.
Konsternierter Gemeindepräsident
Der Huttwiler Gemeindepräsident Walter Rohrbach (Mitte) erfuhr am Mittwochnachmittag durch Medienschaffende von den Plänen. «Wir haben nichts davon gewusst und wurden vor vollendete Tatsachen gestellt.»
Natürlich sei eine solche Massenentlassung vor allem für die Mitarbeitenden der Firma ein trauriger Schritt. «Davon hängen viele Familienschicksale ab.»
Aber auch für die ganze Region sei das ein harter Schlag. «Die Angestellten kommen aus dem Oberaargau, dem Emmental und dem Luzernischen.»
Und für Huttwil sowieso. Rohrbach erwähnt die vielen Wohnungen, die sich derzeit im Bau befinden. «Dabei würde es doch Sinn machen, wenn man dort arbeitet, wo man wohnt.»
Für Rohrbach besteht nur wenig Anlass zur Hoffnung. Der Markt der E-Bikes sei gesättigt, die Lagerbestände seien hoch, der Verkauf verlaufe schleppend. «Nun gibt es einfach eine Flurbereinigung.» Und wenn seitens des Konzerns keine Empathie für die Region bestehe und einzig der betriebswirtschaftliche Gedanke zähle, «wird es natürlich schwierig».
Für Huttwil stelle sich auch die Frage, was mit dem riesigen Fabrikationsgebäude passiere, wenn es künftig einfach leer stehen sollte.
Einst ein Vorzeigebetrieb
Der Huttwiler Gemeinderat Adrian Wüthrich (SP) ist als Präsident von Travailsuisse der oberste Gewerkschafter der Schweiz. Es sei sehr bedauerlich, dass sich Flyer mittlerweile in ausländischer Hand befinde. «Dieser Entscheid wurde nicht in Huttwil gefällt.»
Flyer, sagt Wüthrich, sei der grösste Arbeitgeber in Huttwil und früher ein Vorzeigeunternehmen gewesen. «Da waren wir stolz darauf.» Nun würden voraussichtlich viele Angestellte aus dem Montagebau ihren Job verlieren. Für sie und ihre Familien sei das hart.
Angesichts des grossen Stellenabbaus werde es für sie schwierig, in der Umgebung einen vergleichbaren Job zu finden. Natürlich werde man im Konsultationsverfahren noch versuchen, den Stellenabbau zu verkleinern. Er hoffe, dass er nicht ganz so massiv ausfalle wie befürchtet.
Nach Pandemie ging es bergab
Während der Covid-Pandemie zogen sich die Wartezeiten für Elektrovelos teilweise mehrere Monate hin. Flyer wuchs in den letzten Jahren stark und wurde mit bis zu 350 Angestellten zur grössten Arbeitgeberin der Region. Zu Beginn des Nachfragebooms wegen Corona im Jahr 2020 wurde eine zweite Fertigungsstrasse eröffnet. Doch dann ist die Nachfrage zurückgegangen.
Im vergangenen August baute Flyer bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres Stellen ab. 12 Mitarbeitende mussten gehen. Im September 2023 gingen bereits 80 Stellen verloren, was einem Viertel der damaligen Belegschaft entsprach – ein einschneidender Abbau.
Damals hiess es in einem internen Schreiben, dass die Verkäufe massiv gesunken seien, sich Umsätze und Bestellungen innert nur zwei Jahren halbiert hätten. Der E-Bike-Pionier wurde von günstigeren ausländischen Herstellern immer mehr konkurrenziert.
Die Exporte von E-Bikes aus der Schweiz sackten 2023 laut Velosuisse, dem Verband der Schweizer Fahrradlieferanten, um 24 Prozent auf gut 30’000 Stück ab. Flyer ist stark exportabhängig. Laut früheren Angaben gehen drei Viertel der E-Bikes aus Huttwil ins Ausland.
Die Situation der Bikebranche sei angespannt, sagte Flyer-Mediensprecherin Anja Knaus im August. Und nun dieser wohl endgültige Schritt: Die angespannte Lage führt zur nächsten und wohl grössten Entlassungswelle.
Flyer hat 1995 ein erstes Modell auf den Markt gebracht. 2017 wurde die Firma von der deutschen Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft mit Sitz in Köln gekauft. Wie viel Swissness künftig noch in den Fahrrädern stecken wird, ist unklar.
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