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Oberster Gesundheitsdirektor
«Masken werden bald eine wichtigere Rolle im Alltag spielen»

Im öffentlichen Verkehr ist das Tragen von Hygienemasken bereits Pflicht. Nun hat der Bund die Kantone aufgefordert, diese Pflicht auszuweiten.
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Das Bundesamt für Gesundheit empfiehlt den Kantonen, eine Maskenpflicht in Innenräumen einzuführen. Was sagen die Kantone dazu?

Wir sind uns alle einig, dass man bei den Schutzbemühungen nicht nachlassen darf und Verstärkungen prüfen muss. Die meisten Kantone haben auch schon einzelne Massnahmen ergriffen. Die Maskenpflichten werden nun ein Thema, auch die Regeln für die Clubs, Restaurationsbetriebe und Veranstaltungen. Da werden wohl zuerst jene Kantone aktiv, die viele Fälle haben. Aber die Massnahmen werden nicht überall gleich sein, weil die Lage in den Regionen unterschiedlich ist.

Die Gesundheitsdirektoren geben also keine Empfehlung ab?

Die Anregung der Maskenpflicht wurde in sehr allgemeiner Form an uns herangetragen. Für eine Empfehlung würden wir die Frage zuerst gründlich prüfen wollen: Für welche Situationen, Räumlichkeiten und Betriebe gälte die Pflicht? Das Schutzsystem muss als Ganzes stimmig sein, hinzu kommen juristische Fragen.

Also macht jetzt jeder Kanton diese Abwägungen für sich?

Ja, aber nicht nur. Auch der Bund muss noch einiges klären. Das Maskentragen hat zum Beispiel Folgen für das Contact-Tracing: Müssten auch noch Kontaktdaten von Besuchern einer Veranstaltung gesammelt werden, wenn alle Masken tragen? Das sind Detailfragen, aber die greifen tief in unser Schutzsystem ein.

Wie eine Maskenpflicht genau umgesetzt werden könnte, hat das BAG also nicht erklärt?

Ich verstehe die Empfehlung als relativ spontante Reaktion des BAG auf die höheren Fallzahlen am Mittwoch und Donnerstag. Aber wir haben keine konkrete Massnahmenplanung erhalten, die wir einfach umsetzen könnten. Da liegt viel Arbeit vor uns. Wir müssen ein langfristig durchhaltbares Regime bauen und uns darauf einstellen, monatelang permanent an unseren Schutz denken zu müssen. Masken werden bald eine wichtigere Rolle im Alltag spielen, das ist sehr plausibel. Das sieht man schon am Obligatorium im öffentlichen Verkehr und daran, dass zunehmend Leute in der Öffentlichkeit eine Maske tragen.

«Ein Stufenplan, den man einfach zücken könnte, ist illusorisch.»

Diese Arbeit sollte doch schon gemacht worden sein in den letzten Monaten, mit den Konzepten für die zweite Welle.

Die Entwicklung überrascht uns nicht. Aber in jedem Kanton präsentiert sich die Lage anders, sie müssen also auch anders reagieren, dort, wo die positiven Fälle entstehen. Ein Stufenplan, den man einfach zücken könnte, ist illusorisch. Das haben wir ganz ausgeprägt gesehen mit den Ansteckungen auf Reisen, die wir nicht auf unseren Listen hatten. Wir konnten zum Beispiel nicht vorhersehen, dass der Balkan ein Hotspot wird. Die Verbreitung des Virus ist komplex und das Resultat vieler paralleler Entwicklungen.

Für wie alarmierend halten Sie die aktuelle Situation?

Wir haben keine Schablone für den Verlauf dieser Pandemie. Der Begriff der zweiten Welle kommt von der Spanischen Grippe. Aber Covid-19 verbreitet sich in verschiedenen Ländern in sehr unterschiedlichen Kurven. Es ist ein hartnäckiges, langwieriges Phänomen. Derzeit haben wir es so weit im Griff, dass wir es klein halten können, aber in der Tendenz wächst es. Das Wachstum könnte so weit gehen, dass wieder Verschärfungen notwendig werden. Das positive Szenario hingegen wäre, dass mit dem Ende der Sommerferien das Phänomen der Ansteckungen auf Reisen zurückgeht. Alarmismus wäre grundsätzlich falsch. Wir müssen das Problem nicht in den nächsten Tagen lösen, sondern unsere Massnahmen so einstellen, dass wir die nächsten Monate mit Corona überstehen.

Ein Teil unserer Leserschaft hält die Diskussion über Corona für übertrieben. Die Infektionszahlen nähmen zwar zu, aber kaum jemand lande im Spital.

Ein solches Bild kann sich ergeben bei Leuten, die niemand persönlich kennen, der schwer betroffen war. Ich finde eine solche Haltung unvorsichtig. Wir müssen wieder Leute in den Spitälern betreuen, und wir beklagen auch Todesfälle. Die Ansteckungen betreffen derzeit auch nicht nur Junge. Das Virus geht weiter durch die Generationen, wir haben es auch wieder in Pflegeheimen. Ich warne sehr davor, Covid-19 auf die leichte Schulter zu nehmen.

«Wir müssen wieder Leute in den Spitälern betreuen, und wir beklagen auch Todesfälle.»

Die Klarheit der Kommunikation ist ein zentrales Element der Pandemiebekämpfung. Die leidet aber jetzt, da der Bund nicht mehr seine täglichen Durchsagen macht. Wie lösen die Kantone das Problem?

Der Bund könnte weiterhin zentral kommunizieren, und er macht es zum Teil auch. Die Kantone kommunizieren lokal und regional, punktuell auch national. Wir können nicht mit den gleichen zentralen Befugnissen Anordnungen rausgeben, wie es der Bund eine Weile lang tun musste. Er fand das ja auch anstregend und war froh, das wieder an die Kantone abgeben zu können. Aber wenn mehr Kommunikation gewünscht wird von den Gesundheitsdirektoren, dann nehmen wir das entgegen und schauen, ob wir die Koordinationsbemühungen verstärken wollen.

Warum koordinieren sich die Kantone nicht schon jetzt stärker?

Wir müssen 26 Kantone konsultieren und eine Mehrheitsmeinung ausarbeiten. Zu einer weitergehenden Maskenpflicht dürften die Meinungen sehr uneinheitlich sein aufgrund der unterschiedlichen Situationen. In einem ländlichen Kanton ohne Fälle versteht niemand, warum er beim Besuch im Dorfladen eine Maske anziehen musss. Aber wir haben grössere Linien erreicht: Bei Clubs empfehlen wir eine Identifikationspflicht, und eine grössere Zahl der Kantone hat die Obergrenze für Gruppen ohne Abstand und Masken reduziert, die meisten auf 100. Einige haben auch Maskenpflichten eingeführt.

Österreich hat ein zentrales Ampelsystem eingeführt, damit alle Regionen dieselben Massnahmen umsetzen und keine Region einen Anreiz hat, die Situation schönzureden. Sehen Sie diese Gefahr in der Schweiz nicht?

Wir sind darauf angewiesen, dass alle Kantone ihre Massnamen sehr sorgfältig umsetzen. Bisher sehe ich aber keinen Anlass für Vorwürfe. Eine nationale Ampel müsste der Bund anordnen, und das will der Bundesrat bisher nicht, was ich auch richtig finde. Wir haben einen locker gesteckten nationalen Rahmen, etwa für Grossveranstaltungen und die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr, ohne dass aus der Bundesstadt heraus ein Ampelsystem vorgerechnet und Massnahmen verordnet würden.

Laufen die Kantone zum dritten Mal Gefahr, ihre Freiheit zu verspielen, weil der Bund doch irgendwann wieder eingreifen muss – wie schon zu Beginn der Pandemie und bei der Maskenpflicht im ÖV?

Die Eskalation der ersten Welle hat einfach alle überrollt. Bei der Maskenpflicht im ÖV haben wir Kantone starken Druck erzeugt für eine nationale Lösung, und wir fanden es ehrlicher, wenn der Bund das macht. Jetzt hingegen geht es um eine Feinjustierung der Massnahmen. Die müssen wir immer wieder anpassen an den Rhythmus der Pandemie, wir können das Virus nicht ein für alle Mal totschlagen. Der sicherste Weg wäre, alles zu verbieten, aber dann würden wir maximale Schäden für längere Zeit anrichten. Das will niemand.

«Bald wird der Spielbetrieb in den grossen Konzerthäusern und Theatern beginnen, auch die Fussball- und Hockeyligen starten wieder. Dort können wir Erfahrungen mit Anlässen sammeln.»

Grossveranstaltungen sollen mindestens bis Ende Jahr verboten bleiben, empfehlen die Kantone. Ist es realistisch, mitten im Winter die Regeln zu lockern, wenn fast alle Anlässe drinnen stattfinden und das Virus sich einfacher verbreiten kann?

Es ist eine Frage der Verhältnismässigkeit: Mit einem längeren Verbot nehmen wir uns die Flexibilität, auf mögliche günstige Verläufe der Pandemie zu reagieren. Sie hat sich schon ein paarmal anders entwickelt, als wir erwartet haben. Bald wird der Spielbetrieb in den grossen Konzerthäusern und Theatern beginnen, auch die Fussball- und Hockeyligen starten wieder. Dort können wir Erfahrungen mit Anlässen sammeln. Und es ist für uns denkbar, dass wir danach zu einem Regime übergehen, in dem Grossveranstaltungen mit Bewilligung möglich werden. Derzeit wäre es nicht konsequent vom Bund, sein Verbot von Grossveranstaltungen aufzuheben, wenn er gleichzeitig von den Kantonen strengere Massnahmen verlangt.

Von aussen entsteht der Eindruck, der Bund habe die Verantwortung an die Kantone abgeschoben, und nun kritisierten sich die Behörden gegenseitig, statt zusammenzuarbeiten. Stimmt der Eindruck?

Nein, ich glaube, dieser Eindruck ist einseitig beschrieben. Die Medienlandschaft transportiert vor allem die kritischen Töne. Der Bund und die Kantone arbeiten sehr gut zusammen, auch die Kantone unter sich. Aber das, was nicht läuft, wird halt stärker diskutiert.