Mysteriöser Tod des RadstarsWas passierte in Zimmer 5D? Pantanis Mutter sucht noch immer die Wahrheit
Tonina Pantani hat nie an einen Freitod geglaubt. Die Justiz ermittelte jüngst erneut zur Frage, was sich heute vor 20 Jahren in Rimini ereignet hatte.
Eines ist unbestritten in dieser Geschichte: Der Mann, um den es geht, ist tot. Gestorben heute vor 20 Jahren – am Vormittag zwischen 10 und 12 Uhr. Das weiss man so genau, weil dieser Tote zu den grössten Stars des italienischen Sports zählt: Radfahrer Marco Pantani, Sieger des Giro, Sieger der Tour de France, legendärer und bis heute unerreicht schneller Kletterer. Er wurde nur 34 Jahre alt.
Tot aufgefunden wurde dieser Marco Pantani am Valentinstag im Zimmer Nummer 5D eines eher billigen Hotels in Rimini, in das er Tage zuvor eingecheckt hatte. Und obschon man über dieses grell ausgeleuchtete Leben so vieles weiss, ist bis heute das Wesentliche auch nebulös geblieben. Es ist der Kennedy-Fall des Sports.
Denn eine hat in all den Jahren die offizielle Version stets abgelehnt: Pantanis Mutter Tonina. Wo sie noch einverstanden ist: dass der Körper ihres Sohnes an den Folgen von zu viel Kokain und Antidepressiva kollabierte. Dem Verdikt aber, es sei wohl Suizid gewesen, hat sie nie zugestimmt. Sie vertritt eine ganz andere These, eine sehr viel sinistrere: Mord.
Das klingt erst einmal ziemlich weit hergeholt. Aber 2014 nahm die Staatsanwaltschaft von Rimini den Fall nach 2004 tatsächlich noch einmal auf – ohne die Mordthese ins Faktische überführen zu können. Und doch wurde die Causa Pantani ab 2021 abermals aufgerollt – auch nach Recherchen von Mafiajägern aus Neapel.
Der Check des Arztes: Alles normal
Zum Verständnis müssen wir kurz ins Jahr 1999 zurückkehren, an den frühen Morgen vor der zweitletzten Etappe des Giro. Pantani hat die Führung in der Gesamtwertung kurz zuvor dank eines heroischen Bergritts übernommen, steht damit kurz vor dem Triumph.
Dann muss er eine (von der Zeitung «Gazzetta dello Sport») angekündigte Dopingprobe abgeben. Der entscheidende Blutwert ist höher als erlaubt. Pantani wird zum eigenen Schutz wie damals üblich für zwei Wochen gesperrt und muss den Giro verlassen.
Am Abend zuvor hatte sein Teamarzt noch einen unbedenklichen Wert gemessen. Die Spekulationen reissen ab da nicht mehr ab – und gehen so weit, die Camorra habe die Kontrolle manipuliert, weil sie Millionen gegen einen Sieg von Pantani gewettet habe.
Die Detektive der Mutter
Darum kommen die Mafiajäger ins Spiel. Das Verfahren läuft bis heute, auch dank weiterer Informationen der Familie Pantani. Es steht aber kurz vor der Einstellung. Der Grund: Die Mordthese kann erneut nicht erhärtet werden.
Dass die Justiz immer wieder ermittelt, ist auch Mama Tonina zu verdanken. Denn nach dem Tod ihres Sohnes verkaufte sie ihren Kiosk, investierte in private Ermittler und Anwälte, stets mit dem Ziel, die Hintergründe aufzuklären und damit finale Antworten darauf zu finden, was an jenem Morgen im Februar 2004 abgelaufen war.
Ausgerechnet Mutter Tonina Pantani aber hält die Mafia-These für unrealistisch. Sie glaubt vielmehr, ihr Sohn habe derart viel über das Dopen im Radsport gewusst, dass er darum zum Schweigen gebracht worden sei. Nur: Wer ganz konkret daran ein Interesse hätte haben können – der Kreis war derart gross –, bleibt bis heute ihr Geheimnis.
Im Nachtest findet sich: Epo
Zu den Besonderheiten von Pantanis Leben zählt auch, dass er stets behauptete, nie gedopt zu haben. Richtig ist: Er wurde nie überführt. Doch die Indizienkette ist lang: Ausgerechnet er gewann die Skandal-Tour von 1998, in der mit Festina gleich ein ganzes Team wegen Dopings rausgenommen wurde (darunter die Schweizer Alex Zülle, Armin Meier und Laurent Dufaux).
Epo wies ihm (und vielen anderen) die Anti-Doping-Kommission des französischen Senats in Nachtests jener Tour von 1998 nach. Und zahlreiche medizinische Bulletins belegen, dass sein Hämatokritwert – dieser gibt das Verhältnis zwischen flüssigen und festen Bestandteilen im Blut an – über Jahre auffällig hoch war. Entweder war der Superathlet ein genetisches Wunder oder ein sehr viel irdischerer Doper.
Aber noch einmal zurück zu Mutter Tonina: Dass der geliebte Sohn und Star schlicht am Leben zerbrach, ist für sie keine Option. Diese Version geht so: Das Wegsperren vom Giro 1999 vor der italienischen Öffentlichkeit hat der oft fragile Pantani nie überwunden, weshalb er in Depressionen abglitt und sich mit harten Drogen zu betäuben versuchte. «Ich bin von Natur aus ziemlich verrückt, aber es ist diese Verrücktheit, die mich vor dem Untergang bewahrt», soll Pantani einst gesagt haben.
So viel ist zu diesem kurzen, verrückten Leben mittlerweile klar: Marco Pantani irrte.
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