Fussball-Abenteuer in KairoMarcel Kollers Höhenflug: Er macht die Giganten noch grösser
Al-Ahly ist der erfolgreichste Club – nicht nur in Ägypten, sondern in ganz Afrika. Der Zürcher Trainer macht dort vor, wie es geht, Titel zu sammeln und die Strasse zu überqueren.

- Marcel Koller arbeitet seit 2022 erfolgreich als Trainer bei al-Ahly in Kairo.
- Der 64-jährige Zürcher gewann bereits elf Titel mit dem ägyptischen Rekordmeister.
- Sein Trainerstab umfasst auch Vertraute aus der Schweiz.
- Sein Vertrag in Ägypten läuft bis 2026.
Ein bisschen Sehnsucht schwingt bei Marcel Koller mit, wenn er auf sein Handy schaut. Das Profilbild bei Whatsapp zeigt die Winterlandschaft in den Laaxer Bergen. «Herrlich», sagt er, in Laax hat der Junge aus Schwamendingen längst seinen Wohnsitz, und bei der Vorstellung, wie er durch den Schnee stapft und an die Nase friert, muss er lachen.
Kairo ist der Gegenschnitt zum Bündnerland, die wilde, laute Stadt am Nil mit 10 Millionen Einwohnern, und wenn die Metropolregion dazugerechnet wird, sind es gar 22 Millionen. Hier lebt er im Hotel direkt am mächtigen Fluss, der 6600 Kilometer entfernt in den Bergen von Ruanda und Burundi entspringt.
Seit zweieinhalb Jahren, genau seit dem 9. September 2022, hat er hier seinen Arbeitsplatz. Al-Ahly heisst sein Arbeitgeber, Ägyptens grösster Club und Rekordhalter mit 44 Meistertiteln und 39 Cupsiegen, und al-Ahly ist noch mehr: auch Afrikas Nummer 1 mit 12 Triumphen in der Champions League. Der Übername «Rote Giganten» hat seinen Grund.
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Koller ist Grösse gewohnt, seit er im Fussball arbeitet, zumindest gewisse Grösse. Die Grasshoppers waren von 1972 bis 1997 seine Heimat, als sie in der Schweiz noch führend waren. Siebenmal war er mit ihnen Meister und fünfmal Cupsieger. Später führte er sie auch als Trainer zur Meisterschaft, 2003 war das, verstaubte Zeiten bei diesem einst stolzen Club.
Das Leben bei al-Ahly ist intensiv. Allein letzte Saison bestritt die Mannschaft 62 Spiele, verteilt auf acht Wettbewerbe. Nicht alle gleichbedeutend, aber hilfreich für Koller, seine Titelsammlung zu vergrössern und nicht zuletzt jene von al-Ahly.
Seit dem Portugiesen Manuel José hat sich in den letzten knapp zwanzig Jahren kein Trainer mehr so lange im Amt gehalten wie Koller. Manchmal brachte es ein Trainer nur auf drei Monate, und wenn es gut ging, auf ein Jahr.
28 Stunden für ein Spiel
«Wieso ich schon so lange da bin?», fragt er zurück. «Ich weiss auch nicht», sagt er und lacht. Natürlich weiss er es, was die Basis zu seiner Langlebigkeit darstellt: «Du musst halt erfolgreich sein. Sonst ist es nicht so angenehm.»
Er ist erfolgreich. Auf elf Titel bringt er es inzwischen: je zwei in der ägyptischen Premier League, im Cup und in der Champions League, vier im nationalen Supercup und einen im sogenannten afrikanisch-asiatischen Pazifik-Cup. Koller ist zu bewundern, dass er jeweils weiss, in welchem Wettbewerb er mit seiner Mannschaft gerade engagiert ist.
Den Erfolg gibt es jedenfalls nicht ohne Anstrengungen. Auf dem Weg zur Champions League im vergangenen Jahr gab es Spiele in Algerien, Ghana, Tansania, im Kongo und zuletzt in Tunesien im Hinspiel des Finals gegen Esperance Tunis. Gerade die Spiele in diesem Wettbewerb bieten Koller besten Einblick, wie der Fussball in Afrika funktioniert: mit den langen Reisen, den Klimaverhältnissen und den Plätzen.

Für das Champions-League-Spiel im Dezember bei den Orlando Pirates in Johannesburg war die Mannschaft 14 Stunden hin und wieder 14 Stunden zurück unterwegs. Zum Schlafen legten sich die Spieler im Flugzeug teilweise auf den Boden. Oder einmal in Abidjan, Elfenbeinküste, spielten sie bei 32 Grad und 75 Prozent Luftfeuchtigkeit, «auf einem Rasen, der wie eine Wolldecke war», erzählt Koller. «Was sie leisten, ist aussergewöhnlich. Wenn man da vergleicht, wie in Europa gleich gejammert wird.»
Man sollte einmal einen hierherschicken, um sich das anzuschauen, sagt er noch. Derek Kutesa wäre vor ein paar Tagen fast so weit gewesen, den Komfort von Genf zu verlassen und für al-Ahly zu stürmen, angeblich für ein Millionengehalt. Koller wollte ihn, weil er auf der linken Seite eine personelle Lücke hatte. «Und dann klappte der Wechsel doch nicht», sagt er lakonisch, ohne sich in Details zu verlieren, wieso das so war. So bleibt es dabei, dass in seinem Kader mit Ausnahme von vier Marokkanern und einem Tunesier nur Ägypter stehen.
Kopf runter und durch
Das Leben in Ägypten und Afrika reizt ihn unverändert. Was er erlebt, nimmt er als Erfahrung, die er als so wertvoll erachtet. Jeder Tag ist eine Herausforderung. Gespür für Situationen ist gefragt, Grosszügigkeit im Umgang mit den Spielern, wenn sie beten. Es geht für Koller immer darum, den richtigen Weg zu finden, um das zu vermitteln, was er will. Und um das zu können, hilft ihm wiederum das, was er auf seinem langen Weg als Trainer gelernt hat.
Als Assistent von Christian Gross bei GC, dann ab 1997 als Chef in Wil, als Meistertrainer in St. Gallen und bei GC, während der wenigen Monate in Köln, seiner erfolgreichen vier Jahre in Bochum, seiner sechs Jahre als lange gefeierter Nationaltrainer in Österreich und in Basel. Es waren immer wieder stürmische Zeiten wie in Köln oder eben auch ganz andere, als er, und das kam zweimal vor, zwei Jahre ohne Verein war.
Und es gab den Aufenthalt von 2018 bis 2020 in Basel, wo er damit leben musste, dass er nach nur einem Jahr von Sportchef Marco Streller abgesetzt werden sollte und er doch weitere zwölf Monate blieb, weil er allen, die gegen ihn gearbeitet hatten, nicht recht geben wollte. Da war er der zähe Kämpfer, der er schon als Spieler immer gewesen war.

«Was ich in Europa gelernt habe, ist wichtig für die Arbeit in Ägypten», sagt er jetzt. Lernen heisst: gelassener sein, das Wissen haben, dass auch eine Entlassung zum Beruf gehört, dass es nicht nötig ist, sich von einem gleich ins nächste Abenteuer zu stürzen. Lernen heisst auch: «Egal, wo du bist, anstrengend ist es überall.»
In Kairo ist Koller nicht allein, er hat Vertraute aus der Schweiz als Assistenten und Analysten in seinem Stab. Mit Harald Gämperle spielte er zusammen, Carlos Bernegger war schon bei GC und in Basel an seiner Seite, Yassin Mikari war sein Spieler in Zürich, und Tizian Ndoyi war im Nachwuchs sein Athletiktrainer in Basel. Ein Goalietrainer aus Belgien und ein ägyptischer Co-Trainer erweitern seinen Trainerstab. Ein Übersetzer, der zwanzig Jahre in der Schweiz lebte, hilft mit.
Ab und zu geht Koller mit seinen guten Bekannten essen, gelegentlich auch allein. Immer gilt das Motto, wenn er irgendwo hinkommt: Kopf runter und durch. Wenn die Menschen ihn sehen, wollen sie ein Foto mit ihm. Er hat sich daran gewöhnt: «Das ist kein Problem.»
Im Alltag lässt er sich durch die Stadt chauffieren, der Verkehr ist ihm zu hektisch. Einmal liess er sich erklären, wie man in Kairo die Strasse überquert. «Relativ zügig gehen, und wenn dann ein Auto noch Gas gibt, ist es eventuell besser, stehen zu bleiben», berichtet er. Offenbar machte er das so gut, dass er von einem älteren Mann gefragt wurde: «Wo sind Sie her? Sie gehen über die Strasse wie ein Ägypter.» Aus der Schweiz, antwortete Koller und fühlte sich ein wenig stolz.
Eine Liga der zähen Spiele
In 725 Spielen stand er schon als Trainer an der Seitenlinie. Spiel Nummer 726 steht am Samstag an. Es geht gegen den Zamalek SC, den grössten Rivalen von al-Ahly. «Wenn sechs Ägypter zusammenstehen, sind fünf für al-Ahly, und einer ist für Zamalek», sagt Koller, um zu beschreiben, wie gross sein Club ist.
Eigentlich sollte dieser Match zum Wiedersehen Kollers mit Christian Gross werden. Mitte vergangenen Dezember kehrte Gross zu Zamalek zurück, wo er schon einmal Trainer gewesen war. Vor einer Woche aber wurde er schon wieder entlassen, obschon die Bilanz mit 9 Siegen in 14 Spielen achtbar war. Weshalb das so kam? Gross schweigt seither.

Al-Ahly gegen Zamalek ist das Duell der ersten Verfolger des Pyramids FC. «Das Spiel wird zu einer Herausforderung, weil jedes Spiel in unserer Liga eine Herausforderung ist», sagt Koller. Es müssen zähe Spiele sein, hart umkämpft, kaum einmal gibt es ein 4:0, wie es al-Ahly zuletzt bei Ismaily gelang. Öfters gibt es dafür ein 1:0 oder 2:1, weil sich die Mannschaft, die in Führung liegt, gern in die Defensive zurückzieht. So erstaunt nicht, dass zum Beispiel der Mittelfeldclub al-Ittihad aus Alexandria nach 14 Runden ein Torverhältnis von 8:9 hat.
18 Teams umfasst die Liga, nicht alle haben eine Tradition wie al-Ahly oder Zamalek und eine entsprechende Anhängerschaft. Viele sind Firmenteams, heissen Future FC, Ceramica Cleopatra, Petrojet, ENPPI oder Pharco FC und stehen für eine Investmentfirma, ein Keramik-, Bau-, Petrol- oder Pharmaunternehmen. Der National Bank of Egypt SC spielt mit oder eben der Tabellenführer Pyramids FC, der vom saudischen Sportminister an einen Geschäftsmann aus den Vereinigten Arabischen Emiraten überging.
Das also ist Kollers Welt. Er geniesst sie als ein Mann, dem hier als typischer Schweizer ein Käsefondue fehlt. Im Juni nimmt er mit seinem Club an der neuen Club-WM in den USA teil, wo er unter anderem auf Inter Miami mit Lionel Messi trifft. Im November wird er 65 Jahre alt, was sich auch daran zeigt, dass sein linkes Knie trotz künstlichem Gelenk kein Joggen und Fussballspielen mehr erlaubt. Sein Vertrag mit al-Ahly ist bis Sommer 2026 abgeschlossen.
Und dann? Wird er weitersehen, was das Leben noch so bringen könnte.
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