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Meinung

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Warum die Gesellschaft private Pflege-Arbeit absichern muss

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Unsere Bloggerinnen und Blogger machen Ferien. Deshalb veröffentlichen wir eine Auswahl unserer meistgelesenen Beiträge dieses Jahres. Dieser Artikel wurde erstmals am 30.05.2024 publiziert.

Die meiste unbezahlte Care-Arbeit wird in der Schweiz immer noch von Frauen geleistet. Um sich um pflegebedürftige Angehörige und Kinder zu kümmern, reduzieren viele das Pensum ihrer Lohnarbeit oder bleiben ganz zu Hause.

In meinem letzten Beitrag schrieb ich darüber, wie ich unserer Tochter vermitteln möchte, dass es wichtig ist, als Frau finanziell auf eigenen Beinen zu stehen, bevor man Mutter wird. Denn solange unsere Gesellschaft private Care-Leistende nicht besser absichert, sehe ich keine andere Möglichkeit.

In der Kommentarspalte darunter schrieb eine Leserin: «Warum sollte die Gesellschaft Care-Arbeitende absichern, wenn diese es selbst können? Ich bin der Meinung, dass es die allermeisten können würden, wenn sie denn wollten.»

Zuerst möchte ich klarstellen, dass ich niemanden vorführen will und diese Frage absolut nachvollziehen kann. Lange habe ich mich selbst nicht mit dem Thema auseinandergesetzt, da ich aufgrund meiner privilegierten Lage nicht darüber nachdachte. Erst während meines Mutter-Burn-out begann ich, mich intensiv mit feministischen Themen zu beschäftigen. Ich habe zahlreiche Studien und Sachbücher zum Thema gelesen und mich mit zig Betroffenen ausgetauscht. So bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass wir als Gesellschaft mehr für private Pflegende tun müssen.

Die Realität der unbezahlten Pflege-Arbeit

Bis heute wird die meiste unbezahlte Care-Arbeit von Frauen geleistet. Um sich um pflegebedürftige Angehörige und Kinder zu kümmern, reduzieren viele das Pensum ihrer Lohnarbeit oder bleiben ganz zu Hause. Gemäss einer Studie zum Wiedereinstieg und Verbleib von Frauen mit Kindern in der Erwerbstätigkeit aus dem letzten Jahr würde mehr als ein Drittel aller Mütter in der Schweiz gern mehr arbeiten. Sie werden jedoch durch die nach wie vor schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die hohen Kosten für ausserfamiliäre Kinderbetreuung daran gehindert. In keinem anderen europäischen Land frisst die Kinderbetreuung einen so hohen Anteil des durchschnittlichen Haushaltseinkommens wie hier (laut OECD im Schnitt 36 Prozent).

Alleinerziehende und besondere Bedürfnisse

Diese Faktoren wiegen besonders schwer für Alleinerziehende, die 13 Prozent aller Schweizer Familien ausmachen. Sie sind aufgrund fehlender Unterhaltszahlungen überdurchschnittlich oft auf Sozialhilfe angewiesen und müssen ihre familiären Verpflichtungen oft allein stemmen, was ihre berufliche Flexibilität einschränkt. Zudem gibt es Familien, die sich um Kinder oder Angehörige mit besonderen Bedürfnissen kümmern müssen, was eine Betreuung durch Aussenstehende erschweren oder unmöglich machen kann.

Herausforderungen für Care-Arbeitende

Wer seine Erwerbsarbeit für Care-Arbeit reduziert, sieht sich in der Schweiz unter anderem mit folgenden Herausforderungen konfrontiert:

Der «Karriere-Knick»

Wer weniger arbeitet, sammelt weniger Berufserfahrung, wird seltener befördert und verdient langfristig weniger. Es wird also schwieriger, zu sparen und Vermögen aufzubauen. Das beeinflusst auch die Möglichkeit, in private Vorsorge zu investieren.

Die «Mutterschaftsstrafe»

Selbst zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes verdienen Mütter in der Schweiz laut OECD im Schnitt 68 Prozent weniger als Väter (einer der höchsten Werte in Europa). Dies ist eine Folge von familienbedingten Auszeiten, dem Gender-Pay-Gap, Teilzeitbeschäftigung und dem damit verbundenen Karriereknick.

Trennungen

Nach einer Trennung oder Scheidung wird in der Schweiz rechtlich erwartet, dass beide Parteien finanziell unabhängig sind. Für Personen, die ihre Erwerbsarbeit während des Zusammenlebens zurückgestellt haben, ist der Wiedereinstieg oder eine Pensumerhöhung oft schwierig. Besonders hart trifft es jene, die nicht verheiratet waren, da unser Rechtssystem keinen Anspruch auf Unterhaltszahlungen vorsieht, selbst wenn sie jahrelang beruflich zurückgesteckt haben.

Das Schweizer Rentensystem

Familiäre Care-Arbeit wird nur bei der AHV versichert, nicht aber bei der Pensionskasse. Und das trifft nicht nur jene, die ihre Lohnarbeit komplett aufgeben. Aufgrund des Koordinationsabzugs müssen Arbeitgebende Mitarbeitende, die weniger als 25’725 Franken pro Jahr verdienen, nicht bei der Pensionskasse versichern. Dies betrifft wiederum vor allem Frauen, die oft Teilzeit arbeiten und weniger verdienen (der Gender-Pay-Gap beträgt 18 Prozent).

«Gender Pension Gap» und Altersarmut

Frauen beziehen durchschnittlich ein Drittel weniger Rente pro Jahr als Männer und sind doppelt so häufig von Altersarmut betroffen. Lücken in der Vorsorge, verursacht durch die Reduktion der Erwerbsarbeit für Care-Arbeit, sind eine der Hauptursachen für Altersarmut.

Warum sollte die Gesellschaft sich kümmern?

Es gibt also zahlreiche finanzielle Risiken, die Menschen, die private Care-Arbeit leisten, eingehen, und viele Hebel, an denen wir ansetzen könnten, um diese zu verringern.

Die Leserin könnte jetzt die Frage nachschieben, warum sich die Gesellschaft als Ganzes darum kümmern sollte. Sie könnte zusätzlich einwenden, dass niemand dazu gezwungen wird, Kinder zu bekommen, und hätte natürlich recht damit. Doch liegt es im Interesse unserer Gesellschaft, dass wir noch weniger Kinder bekommen?

Tatsächlich sinken die Geburtenraten seit längerem. Im Jahr 2022 fielen sie in der Schweiz laut BFS unter 1,4 Kinder pro Frau, den niedrigsten Wert seit 2001. Wirtschaft und Politik sind zu Recht alarmiert, denn wir erleben einen massiven Fachkräftemangel, der sich mit der Pensionierung der Boomer-Generation verschärft. Es gehen mehr Menschen in Rente, als Arbeitnehmende nachkommen, was unsere Produktivität und damit unseren Wohlstand beeinflusst.

Der Geburtenrückgang belastest auch unser wackeliges Renten- sowie unser überlastetes Gesundheitssystem. Wenn weniger Kinder geboren werden, fehlen künftig Einzahler in die AHV und die Pensionskassen und auch diejenigen, die sich privat um Alte und Kranke kümmern. Sie werden künftig aber noch wichtiger, da immer mehr Pflegende aus der Branche aussteigen und Spitäler geschlossen werden.

Und abschliessend noch dies: Es geht nicht nur um jene, die unfreiwillig Lohnarbeit reduzieren. Alle, die sich um die vulnerabelsten Mitglieder unserer Gesellschaft kümmern, sollten besser abgesichert werden. Mit ihren 9,8 Milliarden Stunden unbezahlter Care-Arbeit pro Jahr halten sie unser Land am Laufen. Es ist Zeit, den Wert dieser Arbeit anzuerkennen und die Menschen, die sie leisten, bestmöglich zu unterstützen.

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