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Mamablog: Protokoll eines Familienrats
«Ausschlafen ist bei diesem Lärmpegel unmöglich!»

Los, erzähl einmal: Beim Familienrat werden Probleme besprochen und gemeinsam Lösungen gesucht.
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Aufgewachsenen im aargauischen Mittelland, war Diversität während meiner Kindheit ein seltener Anblick. Gerade was das Familienleben betraf, lebten die meisten im Quartier unseres Dreitausendseelendorfes im beschaulichen Eigenheim mit durchschnittlich 1,6 Kindern, englisch getrimmtem Rasen und Autounterstand. Ausnahmen bildeten lediglich die Bauernfamilien. Die Väter arbeiteten Vollzeit, die Wochenenden waren Federballaktivitäten mit den Kindern gewidmet oder der Autorennstrecke in Monaco bei heruntergelassenen Rollläden. Die Mütter, meist Hausfrauen, engagierten sich rege in der Frauenriege und wurden maximal zu Teilzeitkräften, sobald die Kinder die Oberstufe erreichten.

Von beschaulicher Homogenität zu neuen Horizonten

Wer in dieser beschaulichen Homogenität etwas anders machte, fiel auf und wurde zum Gesprächsthema. Denn Einheitlichkeit widerspiegelte sich auch im Denken. Als Mutter über fünfzig Prozent zu arbeiten, wurde mit einem «Warum wollte sie überhaupt Kinder?» quittiert. Vegetarisch zu essen, galt als «gesundheitsgefährdende Idee». Und Teenager, die ihre schwarzen Lederjacken mit dem Anarchiezeichen und Bierdeckeln verzierten, wurden mit dem Etikett «verlorene Jugend» bedacht.  

Erst als ich in die nahegelegene Kleinstadt zur Oberstufe wechselte, öffneten sich neue Horizonte und besonders faszinierte mich das Unbekannte. Das andere eben. So wurde der Junge aus meiner Klasse, um dessen Hals eine grosse Kette mit Dollarzeichen baumelte und der mich mit den Beats von Run-D.M.C bekannt machte, schnell zu meinem besten Freund. 

Beim sonntäglichen Familienrat wurden die Kinder in die polyamoren Beziehungen der Eltern eingeweiht.

Besonders beeindruckte mich jedoch ein Mädchen, das eine völlig andere Kindheit erlebte als ich. Nicht nur, dass ihre Familie kein Auto besass, weil ihre Eltern schon damals verstanden hatten, dass unsere Natur im Stresszustand war. Auch das Fehlen eines Fernsehers, der bei den meisten Kindern meiner Nachbarschaft pünktlich um sechs Uhr eingeschaltet wurde, damit die Mütter in Ruhe kochen konnten, fiel ins Auge. Doch noch beeindruckender war die Offenheit und Ehrlichkeit, mit der sie zu Hause sprachen. Besonders beim sonntäglichen Familienrat. Dort wurden die Kinder in die polyamoren Beziehungen der Eltern eingeweiht und gemeinsam wurden Emotionen durchlebt. Es wurde über die Periode der Schwester gesprochen, während die Mutter erklärte, was das im Leben einer Frau bedeutet. Oder über die Auszeit des Vaters, der vom Job dringend mal Abstand brauchte, um sich neu zu orientieren. 

Familienrat – auch etwas für uns?

Angeregt von der Lebensweise meiner besten Freundin von damals, beschloss ich kürzlich, dem Konzept Familienrat bei uns eine Chance zu geben. Besonders weil es mich ärgerte, dass bei uns alles immer zwischen Tür und Angel besprochen wird und jedes Familienmitglied das Gefühl hat, es komme zu kurz oder werde über den Tisch gezogen. Und so sassen wir an einem Sonntagabend zusammen am Tisch und reihum erzählten alle von ihren aktuellen Ärgernissen und Wünschen.

Das Gesprächsprotokoll:

Der 9-Jährige: Möchte, dass sein gamefreier Montag sowie der dienstägliche «Schlautag» (erlaubt sind zwanzigminütige Dokumentationen über Tiere und Naturereignisse) aufgehoben und zu normalen Mediennutzungstagen à 30 Minuten werden.

Beschluss: Abgelehnt. Wiederaufnahme des Themas zum zehnten Geburtstag möglich. 

Die 15-Jährige: Ärgert sich über unangekündigtes Reinplatzen in ihr Zimmer. O-Ton: «Was versteht man eigentlich nicht an «Klopfen, bevor man reinkommt?»

Beschluss: Wir klopfen an und warten, bis wir eine Antwort bekommen. 

Der 19-Jährige: Hat zwei akute Anliegen. Punkt 1: «Wie soll ich das Autofahren lernen, wenn ihr nie Zeit zum Üben habt?» Punkt 2: «Ausschlafen am Wochenende ist bei diesem Lärmpegel unmöglich.» 

Beschluss: Wir geben uns alle Mühe. Versprochen.

Mutter: Hat den bescheidenen Wunsch, dass jede und jeder die Abwaschmaschine ausräumt, wenn sie voll ist. 

Beschluss: Vor der Schule unmöglich und vor dem Training noch unmöglicher. Die Kinder bleiben aber dran. 

Vater: Merkt an, dass alle zwar mit dem Hund kuscheln möchten, aber niemand mit ihm spazieren gehen will. Das muss sich ändern. 

Beschluss: Total klar, lass uns einen Plan machen (Mutter), Pläne funktionieren bei uns ohnehin nicht (Vater), wir geben uns Mühe (Kinder). 

Fazit zum ersten Familienrat: Beschaulich normal. Letztlich bleibt man eben doch, woher man kommt.