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Mamablog: Interview mit einer Stiefmutter
«Ich habe meine Kinder kennengelernt, als sie sechs und vierzehn waren»

A family walks through a poppy field - the mother carrying her son by piggy back.
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Elsa Koester, warum nennen Sie sich selbst eigentlich Stiefmutter und nicht zum Beispiel Bonusmutter, wie es der verstorbene dänische Familientherapeut Jesper Juul vorgeschlagen hat?

Die Bezeichnung «Stiefmutter» bereitete mir nie Schwierigkeiten; ich habe sie ganz selbstverständlich verwendet, auch als es um meine eigene Stiefmutter ging. Anders wäre es mit «Bonus-Mutter». Ich bin doch kein Leckerli, kein Bonbon, keine Belohnung. Ich möchte einfach ein Teil der Familie sein.

Stiefmutter klingt jedoch sehr negativ.

Das Problem liegt nicht im Begriff «Stiefmutter» an sich, sondern vielmehr in der negativen Konnotation, die beispielsweise durch Märchen, in denen Stiefmütter per se als böse dargestellt werden, auf die Spitze getrieben wird. Oder wir sagen, dass wir jemanden «stiefmütterlich» behandeln, wenn wir ihn vernachlässigen. Und das ist ja nicht nur unzutreffend. Stiefmütter können mitunter garstig und unbequem sein, auch weil sie unter ihrer Rolle leiden und gelegentlich mütterliche Pflichten übernehmen müssen, ohne eine Mutter sein zu dürfen. Sie treten in eine Familie ein, die sie nicht gegründet haben, und müssen sich bestehenden Hierarchien und Regeln anpassen. Das führt logischerweise zu Konflikten.

Sind Stiefmütter deshalb so unbeliebt?

Ich denke, das hängt stark mit der Vorstellung zusammen, dass Frauen automatisch in Konkurrenz zueinanderstehen. Stiefmütter werden häufig als Konkurrenz zur leiblichen Mutter betrachtet, anstatt als zusätzliche Ressource für die Familie und wichtige Bezugsperson für die Kinder. Das erlebe ich besonders, wenn ich mich als Freundin des Vaters vorstelle. In den Augen der Menschen stehe ich sofort in direkter Konkurrenz zu seiner Ex-Partnerin. Dies hat auch viel mit den festgelegten Rollen für Mütter zu tun. Stiefmütter kommen aus ihrer Rolle als «die Bösen» erst heraus, wenn sich auch das Bild der Mutterrolle verändert.

Inwiefern?

Es gibt konservative Frauen, die das Bild der heterosexuellen Kleinfamilien-Mutter hochhalten und vehement das Wort «Mutter» verteidigen. Die rechte und konservative Erzählung von Mütterlichkeit oder Familie, besonders stark repräsentiert durch die italienische Premierministerin Giorgia Meloni, diskreditiert Stiefmütter wie mich, genauso wie Co-Mütter und generell solidarische Elternschaft oder vielfältige Familienmodelle. Wenn Mütter hingegen eine Allianz mit Stiefmüttern und anderen Co-Eltern eingehen, profitieren alle. Mütter werden entlastet, und die Kinder haben mehr Bezugspersonen. Gemeinsam erreichen wir viel mehr als im Konflikt miteinander.

Das Thema «Stiefmutter» ist also auch ein Thema von Frauensolidarität?

Über Jahrtausende hinweg war es üblich, dass Kinder in gemeinschaftlicher Verantwortung aufgezogen wurden. Dies manifestierte sich beispielsweise in Grossfamilien, die stets mehrere mütterliche Figuren einschlossen, wie Tanten, Cousinen oder Grossmütter. In Zeiten erhöhter Müttersterblichkeit übernahmen oft Stiefmütter die Fürsorge für die Kinder, die zuvor von der verstorbenen Frau betreut wurden.

Heutzutage ist die Vorstellung, dass nur die biologische Mutter als die «echte» Mutter gilt, nach wie vor weit verbreitet. Wie kam es dazu?

Die Entmachtung weiblicher Netzwerke, in denen sich mehrere Frauen selbstverständlich um mehrere Kinder kümmerten, begann mit dem Aufkommen der Landwirtschaft, dem Konzept des Eigentums und der Entstehung des Patriarchats. In Zeiten vor dieser Entwicklung waren Familien kaum sesshaft. Mit dem Erwerb von eigenem Land und Häusern, die nunmehr im Besitz der Männer waren, wurden Frauen gezwungen, ihre Netzwerke zu verlassen und sich der Familie ihres Ehemannes anzuschliessen. Dies führte zu Konflikten zwischen ihnen und den Frauen der Familie ihres Ehemannes, wobei sich die Figur der «bösen Schwiegermutter» entwickelte. Solidarität wich dem Wettbewerb. Der Pädagoge und Philosoph der Aufklärung, Jean-Jacques Rousseau, führte den Zerfall der Sitten in der Gesellschaft, wie er es nannte, auf die Frauen zurück. In seinen Schriften betonte er, dass die biologische Mutter sich selbst um die Ernährung und Erziehung ihrer Kinder kümmern solle. Er sah bei den Müttern einen «Naturtrieb» und hielt fest: «Eine Frau, die statt des eigenen ein fremdes Kind nährt, kann nur eine schlechte Mutter sein.» Diese Annahme ist bis heute in unserer Gesellschaft verankert.

«In unserer Gesellschaft ist das grosse Gut die Freiheit, wir stellen sie uns als Ungebundenheit vor. Sich fest zu binden, eine Beziehung einzugehen und Verantwortung zu übernehmen, wird hingegen als ‹unfrei› verstanden.»

Es gibt jedoch auch Stiefmütter, die bewusst keine Mutterrolle übernehmen möchten. Dies kann auch daran liegen, dass sie zu ihren eigenen Kindern stärkere Gefühle hegen als zu den Stiefkindern.

Dies wirft natürlich die Frage auf, ob es tatsächlich einen biologischen Grund für die intensivere Verbindung zu den leiblichen Kindern gibt oder ob es schlicht daran liegt, dass die biologische Mutter mehr Zeit hatte, eine Bindung zu ihren Kindern aufzubauen. Viele Mütter beginnen bereits im Mutterleib eine Verbindung zu ihrem ungeborenen Kind. Väter und queere Co-Mütter bewahren in dieser Hinsicht oft etwas mehr Distanz, während Stiefmütter ihre Kinder oft erst deutlich später kennen lernen. Ich selbst habe meine Kinder erst kennengelernt, als sie sechs und vierzehn Jahre alt waren.

Waren Sie nie eifersüchtig auf die Kinder?

Anfangs empfand ich Neid bezüglich der Zeit, die mein Partner mit den Kindern verbrachte; es herrschte eine Art Konkurrenzsituation. Wir alle kämpften um seine Aufmerksamkeit und Zeit. In dieser Phase haben sich die Kinder womöglich ab und zu gewünscht, dass ich verschwinde, während ich mir manchmal vorstellte, sie wären einfach nicht da, und ich könnte ihn ganz für mich allein haben.

Und wie sind Sie mit diesen Gefühlen umgegangen?

Zu Beginn versuchte ich, diese negativen Gefühle zu unterdrücken, aber das war wenig erfolgreich. Dann begann ich, darüber zu sprechen – zuerst im Freundeskreis und dann mit meinem Partner. Dabei erkannte ich, dass Eifersucht oft mit Verlustängsten zusammenhängt. Es waren Gedanken wie: «Im Falle einer Trennung bleibe ich alleine zurück, während die Familie weiterhin zusammenlebt.» Irgendwann erzählte meine Stieftochter, dass sie ähnliche Ängste habe. Sie stellte sich vor, wie das Haus in Flammen steht und ihr Papa mich rettet, nicht sie – was bedeuten würde, dass er eine Entscheidung treffen müsste. Diese Erkenntnisse waren für uns beide sehr heilsam.

Wäre es nicht angenehmer für Sie, einfach die Partnerin des Vaters zu sein und nicht die Rolle der Stiefmutter zu übernehmen?

Für mich stellte sich diese Frage nie. Das Zusammenleben mit Kindern veränderte alles für mich. Das Kennenlernen dieser beiden Wesen, die auf Unterstützung angewiesen sind, und die Aufgabe, ihnen beizubringen, wie sie sich in der Welt zurechtfinden können, weckten in mir rasch mütterliche Gefühle. Ich wollte nicht nur die Freundin des Papas sein, sondern ein integraler Teil einer Familie. Dies wurde während des Covid-Lockdowns besonders deutlich. Plötzlich stellte sich für mich die Frage, was Familie bedeutet und zu welcher ich gehöre. Während mein Partner mit seinem Sohn und seiner Ex-Partnerin in der Nestwohnung zu Abend ass, war ich allein zu Hause. Das fühlte sich sehr ausschliessend an, und so wollte ich nicht leben.

Vermissen Sie Ihre Freiheit, die sie als kinderlose Frau hatten?

In unserer Gesellschaft ist das grosse Gut die Freiheit, wir stellen sie uns als Ungebundenheit vor. Sich fest zu binden, eine Beziehung einzugehen und Verantwortung zu übernehmen, wird hingegen als «unfrei »verstanden. Dabei könnte es ja auch darum gehen, die Freiheit im Miteinander zu leben. In unserem Modell habe ich Freiheiten und gleichzeitig Nähe. Durch das gute Verhältnis mit den beiden Müttern sind kinderfreie Wochenenden auch ausserhalb von Betreuungsregeln möglich oder auch umgekehrt. Wir versuchen, uns alle gegenseitig Freiheit zu geben.