MamablogNeunziger-Kids
Erinnern Sie sich noch an die Zeit ohne Trampoline im Garten, als nur die Reichen in die Ferien flogen und es zum Zmittag «Lönsch» statt Momos gab? Ein Blick zurück.
Wissen Sie noch, als nur die reichen Kinder flogen und wir anderen mit Pfeil und Bogen in Büschen oder schäbigen Reka-Feriendörfern hockten und wandern mussten? Zum Zmittag gab es «Lönsch», keine Pommes und erst recht keine Momos. Im besten Fall einen Cervelat. Ein Brunch war ein «Zmo-Zmi».
Und jetzt, wo wir es uns endlich leisten könnten, zu fliegen, bekommen wir ein schlechtes Gewissen, wenn wir nur daran denken.
Darum leasen wir weisse VW California oder machen Camper aus uralten Bussen, in denen wir zusammengepfercht, wie Bodenhaltungshühner, alles voneinander riechen müssen. Damit reisen wir dann durch den Jura und erzählen den Kindern, dass es in Europa sowieso am schönsten sei.
Von Werbejinglern zu Netflixern
Wissen Sie noch, als nicht in jedem Garten ein fucking Trampolin stand? Wie wir «E mia esta Pesta schuga schuga» spielten, statt in Smartphones zu starren? Wissen Sie noch, wie stolz wir waren, als wir in der Sek erste englische Sätze brösmele konnten? Hello, my Name ist Maria and I am from Switzerland. Heute sagen Unterstüfler Sätze wie: «Bro! Das Game isch lame as fuck, ich bashe dich jedes Mal – bin jetzt scho im last Level, du Opfer aalte.» Ja, alt sind wir geworden.
Wir waren die Kinder, die Kinder vom Süderhof. Die fliegenden Milas und die Super Marios. Wir waren die Kinder, die alle Werbejingles auswendig konnten und die ganze Welt sehen wollten. Wenn wir mal fernsehen durften, wurde alles geschaut ¬– von der Katzenfutterwerbung bis zu «Meteo» nach der «Tagesschau». Meine Kinder wissen nicht einmal, wie Meister Proper aussieht. Diese Netflixer.
Ach, hätte ich doch mehr Nutella gefuttert, alles zugebuttert und vor allem; mehr Bündnerfleisch ergattert – bevor über Fleischfressende gewettert, die Vegansinnigen vergöttert und die Menschheit erschüttert wurde von dem Wissen, dass das alles nicht so gut ist. Jetzt kann ich nicht mehr zurück. Ich weiss, dass die anderen wissen, dass ich es weiss. Und alle, die es wissen, wissen, dass alle anderen es auch wissen, und wir können einfach nicht mehr so tun, als wüssten wir es nicht, denn wir wissen es.
Von Rauchverboten und Tätowierungen
Fleisch ohne Brot essen zu dürfen, war für mich der Inbegriff von Erwachsensein. Einfach ein Pack Bündnerfleisch zum Zvieri aufmachen. Geil. Ich bin in einer fleischgeilen Familie aufgewachsen. Hörnli und Ghackets, Spaghetti bolognese, Riz Casimir, Fleischkäse, Brätkügeli, Härdöpfelstock mit Voresse, Toast Hawaii, Wienerli im Teig. Mein Leben war wie ein Skilager! Einmal am Tag gab es warm und zum Znacht Brot. Mit Aufschnitt. Damals fragte noch niemand, ob das Riz-Casi-Huhn und die gehackte Kuh bei lieben Bauern aufgewachsen sind. Und es hat auch niemand achtminütige Sprachnachrichten des Todes verschickt oder so blöde Ausdrücke wie «des Todes» und «Gönnjamin» benutzt. Wissen Sie noch? Rauchen war böse. Und bei farbighaarigen Menschen mit Irokese musste man vorsichtig sein. Tätowierungen zeugten von einer wilden Vergangenheit.
Unseren Kindern werden mal die nicht tätowierten alten Menschen suspekt sein. Und Weihnachten feiern wird ganz neue Dimensionen annehmen mit all den polygamen Grosseltern: Hi, ich bin der feste Freund der Frau der Tochter des Lovers deiner Stiefgrossmutter.
In der Zeit, in der sich Sachen von totgeschwiegen über offen diskutiert hin zu völlig normal bewegen, bin ich immer noch damit beschäftigt, das Zehnfingersystem zu üben. Und kann immer noch kein Rad schlagen.
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