«Mädchen schlägt man nicht!» Und Buben?
Warum unsere Mamabloggerin diesen oft gehörten Verhaltenstipp sexistisch und doof findet.
«Nicht so wild», schreit die Mutter ihrem Sohn auf dem Spielplatz zu. Er war gerade dabei, mit einem Holzstecken Ninja-Kämpfer zu spielen, und kam einem Gspäändli etwas nah. «Das ist ein Määädchen!», ergänzt die Mutter mit Nachdruck. Gerade so, als würde es einen markanten Unterschied machen, wenn so ein Stecken ins weibliche statt ins männliche Auge geht.
Nun wundert man sich nach Jahren in Krabbelgruppen und auf Spielplätzen ja nicht mehr, wenn Gruppen aus zufällig zusammengewürfelten Eltern Settings hergeben, die Studis der Gender Studies geschlechtsübergreifend zum Kreischen bringen würden: Da lässt sich oft live mitverfolgen, wie Kinder von heute Stereotypen von vorvorgestern ausgesetzt werden. «Tim erzählt nie vom Kindergarten. Ein Bub halt!», kriegt man da mitunter erzählt. (Als erführen wir von unseren Töchtern je Einzelheiten.) Oder: «Bei den Mädchen herrscht dauernd so ein Gezicke …» (Als ob sich Buben nie streiten.) Während auch nur leicht gendersensible Warnlampen hier schon Sturm blinken, verhält es sich aber subtiler, wenn Tim ermahnt wird: «Nicht so stürmisch, zu Mädchen musst du sanft sein!»
Stolpern auf dem Weg
Von da ist es nicht mehr weit bis zum Klassiker: «Mädchen schlägt man nicht.» In einem italienischen Clip gegen häusliche Gewalt ging dieser vor einiger Zeit viral: Kleine Jungs werden dazu aufgefordert, ein Mädchen zu schlagen. Keiner tut es. Ihre Begründungen u. a.: «weil sie ein Mädchen ist», «weil sie hübsch und ein Mädchen ist» oder «weil ich ein Mann bin». Die Ragazzi und ihre Reaktionen sind niedlich. Kein Wunder, verzeichnet der Clip auf Youtube über 42 Millionen Aufrufe.
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Doch bei aller Herzigkeit: Aussagen wie diese – Mädchen soll man nicht schlagen oder eben, die verfeinerte Version, zu Mädchen soll man sanft sein – kommen mir vor wie das Stolpern über ein zwar unsichtbares, aber sehr präsentes Hindernis, das da liegt auf dem Weg zur Idee, dass Menschen, ob klein, gross, dick, dünn, weiblich, männlich, divers und so weiter, doch alle gleich zu behandeln sind, und zwar am besten gleichermassen freundlich.
Ein Kompliment? Nein.
Aber klar, natürlich ist man sanft zu Mädchen. Doch was sich anhört wie ein Kompliment und vor angestaubter Ritterlichkeit strotzt, betont Unterschiede und verhindert Augenhöhe. Logisch, niemand hat etwas einzuwenden, wenn aus Tim, Pietro und überhaupt allen Jungs (und allen Mädchen!) dereinst zuvorkommende Menschen werden. Aber gerne zuvorkommend zu Mädchen und zu Jungs.
Natürlich ist man sanft zu Mädchen. Aber mit dieser Order schwingt ein Freipass mit, als Junge zu anderen Jungs rücksichtslos sein zu dürfen. Sie billigt Grobheit, indem sie deren Abwesenheit gegenüber Mädchen als Ausnahme darstellt. Unter seinesgleichen darfs ruhig ruppig zu und her gehen. Ein Schulterboxen, eine Kopfnuss, das muss so, ist eben männlich. Grauzone? Unklar. Denn Schmerz zeigen geht eh nicht. (Auch wenns kaum mehr laut gesagt wird: Dass sie als Jungs nicht weinen sollen, kriegen sie auch 2019 noch gut mit.)
Natürlich ist man sanft zu Mädchen. Aber – hey! – muss ein Junge es also hinnehmen, wenn er selbst geknufft, gekniffen, verprügelt wird? Oder was sonst sollen denn unsere Söhne denken, wenn sie hören, dass Sanftheit den Mädchen vorbehalten ist? Indirekt heisst das nichts anderes, als dass sie selbst nicht auf Nettigkeiten zählen dürfen. Weil sie Jungs sind. Und was, wenn sie sich daran stören? Sind sie dann Weicheier?
Man schlägt überhaupt nicht!
Ach, Raufereien unter Jungs, das liegt in den Genen … heisst es oft. Wenn sich Buben aus purer, beidseitig verteilter Freude körperlich messen, nun denn … Doch inzwischen müsste auch unbestritten sein, dass sich zumindest nicht alle ein blaues Auge wünschen. Genauso wenig, wie sämtliche Mädchen sanftmütig wie Schneeweisschen und Rosenrot sind. Und Biologie in Ehren: Aber wir sitzen schon länger nicht mehr mit Fellen umhüllt in ungeheizten Höhlen. Vielleicht wären wir evolutionär auch bereit für die Entkopplung von Rücksichtnahme und Geschlecht. Und für das Credo: Man schlägt überhaupt nicht!
Einer der Jungs im Clip bringt es schliesslich auf den Punkt. Auf die Frage, warum er das Mädchen nicht geschlagen habe, sagt er: «Weil ich gegen Gewalt bin!» Genau so.
Dieser Artikel wurde erstmals am 28. November 2019 publiziert und am 31. Juli 2023 in dieses Redaktionssystem übertragen.
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