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Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo im Porträt
«Höflich, aber brutal»: Sie ging fast immer als Siegerin vom Platz 

Selbst ihre härtesten politischen Gegner haben nur Komplimente für sie übrig: Prisca Birrer-Heimo.
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Sie kann deutlich werden. Sehr deutlich. Als Nestlé-Präsident Paul Bulcke einst einer SP-Delegation wortreich erklärte, was er von der Konzernverantwortungsinitiative hält, und nicht aufhören wollte zu reden, hörte Prisca Birrer-Heimo eine Zeit lang zu. Dann gab sie den Tarif durch: «Sie sollten mehr zuhören. Wir wollen diskutieren, sonst können wir gleich gehen.»

Der Konzernchef verstummte auf der Stelle. SP-Fraktionschef Roger Nordmann muss heute noch schmunzeln, wenn er an den Auftritt seiner Parteikollegin zurückdenkt: «Sie war höflich, aber brutal.» (Lesen Sie weiter: Roger Nordmann mit überraschendem Rücktritt als Fraktionschef.)

«Brutal»? Die freundliche Nationalrätin mit der Perlenkette – ausgebildete Lehrerin aus dem luzernischen Rothenburg – soll brutal sein? Eigentlich wird sie in Bundesbern mit anderen Attributen bedacht. Gründlich sei Prisca Birrer-Heimo, heisst es, fleissig, gewissenhaft – und stets gut vorbereitet.

Nicht einmal hinter vorgehaltener Hand ist rechte Kritik zu holen

Selbst die härtesten politischen Gegner überbieten sich mit Komplimenten. «Sie hat eine andere politische Haltung, die ist aber ebenfalls fundiert», sagt Mitte-Nationalrat Leo Müller, auch er ein Luzerner. «Sie geht offen auf Andersdenkende zu, was bei Linken nicht selbstverständlich ist», meint der ehemalige Gewerbeverbandsdirektor und Ex-FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler. «Sie kämpft mit viel Leidenschaft und Herzblut, wenn auch auf der falschen Seite», tönt es von der SVP.

In der Sondersession im Mai brachte sie zwei Motionen durch, die systemrelevante Banken zügeln sollen.

Dass nicht einmal hinter vorgehaltener Hand rechte Kritik zu holen ist, fällt auf. Mit vielen von jenen, die sie jetzt dermassen loben, hat sich Birrer-Heimo jahrelang Duelle geliefert, auch solche der harten Art. Und ist dabei fast immer als Siegerin vom Platz gegangen – auch wenn es oft gedauert hat.

Den jüngsten Sieg hat die Mutter zweier erwachsener Kinder nach dem Debakel der Credit Suisse errungen. In der Sondersession im Mai brachte sie zwei Motionen durch, die systemrelevante Banken zügeln sollen. Die eine verlangt ein Verbot von Bonizahlungen an den Verwaltungsrat und das oberste Management, die andere will diesen Banken ein höheres Eigenkapital vorschreiben. Prisca Birrer-Heimo war selbst überrascht.

Von der UBS-Rettung bis zum CS-Debakel

Die Banken begleiten sie, seit sie im Sommer 2010 in den Nationalrat nachrückte. Ihr Vorgänger: ein Philosoph und Gymnasiallehrer. Sie: Finanzvorsteherin von Rothenburg. An ihrer ersten Open-End-Sitzung wurde um den UBS-Staatsvertrag gerungen, in dem sich die Schweiz verpflichtete, den USA Amtshilfe nicht nur bei Steuerbetrug zu leisten, sondern auch bei schwerer Steuerhinterziehung.

Man dürfe die Grossbanken nicht einfach so machen lassen, echauffierte sie sich nach ihrer ersten Session. «Das wissen wir nun seit bald zwei Jahren, gehandelt wurde jedoch immer noch nicht», schrieb sie im «Willisauer Boten». Schon bald folgten die grossen nationalen Medien.

13 Jahre später hat sie den Nationalrat so weit gebracht, dass gehandelt werden könnte. Allerdings ist da noch der Ständerat, und Prisca Birrer-Heimo macht sich nichts vor: «Wenn er die Vorstösse überweisen würde, wäre das eine kleine Sensation», sagt sie, und dass das «der Hammer» wäre. Oder: wieder eine Überraschung.

In den Fussstapfen von Simonetta Sommaruga 

Zwischen UBS-Rettung und CS-Debakel liegt eine Karrierekurve, die fast nur aufwärtsführt. 2011 löste Birrer-Heimo Simonetta Sommaruga, die in den Bundesrat gewählt worden war, an der Spitze der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) ab. «Eine neue Sommaruga?», fragte der «Tages-Anzeiger».

Dass die SP vier Steuersenkungsabstimmungen in Folge gewinnen konnte, hat sie massgeblich Prisca Birrer-Heimo zu verdanken.

Noch im selben Winter konnte die Konsumentenschützerin einen der begehrten Sitze in der WAK ergattern, der einflussreichen Kommission für Wirtschaft und Abgaben. Als Nichtökonomin, die lediglich ein Nachdiplomstudium als Wirtschaftsingenieurin absolviert hatte. Und als Neuling. Trotzdem wurde sie der Bernerin Margret Kiener-Nellen vorgezogen, die schon seit vielen Jahren im Nationalrat sass und sich als Steuerexpertin hervorgetan hatte.

Birrer-Heimo musste das erst werden. Und sie wurde es.

Dass die SP vier Steuersenkungsabstimmungen in Folge gewinnen konnte, hat sie massgeblich Prisca Birrer-Heimo zu verdanken. Ihre Stimme wird gehört, in der WAK ebenso wie in der Innerschweiz, wo es linke Anliegen schwerer haben als anderswo.

Zuerst zog die Luzernerin in den Kampf gegen die Unternehmenssteuerreform III, die 2017 an der Urne scheiterte. 2020 dann gegen die «Kinderabzug-Mogelpackung» – höhere Kinderabzüge für alle, unabhängig vom Einkommen – und gewann. 2022 schliesslich gehörte sie zum Stosstrupp, der erreichte, dass das Volk die Abschaffung der Stempelsteuer bodigte und die Verrechnungssteuer auf Zinsen von in der Schweiz ausgegebenen Obligationen beibehielt.

Die Fair-Preis-Initiative, das «Meisterstück»

Ihr «Meisterstück» aber, wie es Prisca Birrer-Heimo nennt, ist die Fair-Preis-Initiative. Zuerst sorgte sie als Präsidentin dafür, dass der Konsumentenschutz die erste Volksinitiative in seiner Geschichte lancierte. Dann schmiedete sie im Hintergrund eine überparteiliche Allianz gegen die Hochpreisinsel Schweiz. Sie holte Gewerbe und Bauern ins Boot und erreichte, dass die meisten Forderungen der Fair-Preis-Initiative in einen Gegenvorschlag gepackt wurden. So konnte der Konsumentenschutz die Initiative zurückziehen, und der Gegenvorschlag trat Anfang 2022 in Kraft, unspektakulär und effizient. Prisca Birrer-Heimo freut sich noch heute: «Fast wörtlich» sei die Initiative übernommen worden – und erst noch zu 95 Prozent umgesetzt.

Beinahe ebenso stolz ist sie auf die Verbesserungen, die sie für Konsumentinnen und Konsumenten in Vorlagen erreichte, die sperrig klingen und wenige Schlagzeilen generierten, aber hart erkämpft werden mussten. Im Versicherungsvertragsgesetz etwa sorgte sie dafür, dass Versicherte auch wirklich zu ihrem Recht kommen.

Offiziell ist die 64-Jährige, die seit Februar eine AHV-Rente bezieht, keine Konsumentenschützerin mehr: Das Präsidium hat Prisca Birrer-Heimo schon vor über einem Jahr abgegeben, an die Berner SP-Nationalrätin Nadine Masshardt. Jetzt bereitet sie sich auf ihre letzte Session vor. In ihrer letzten Legislatur hat es ihr noch das Präsidium der Geschäftsprüfungskommission reingeschneit. Sie könnte es sich einfach machen, will aber noch einmal alles geben. Denn eine gute Aufsicht durch die GPK stärke die Institutionen, sagt Birrer-Heimo. Und fügt hinzu: «Für die Medien ist das nicht sexy, für die Demokratie aber lebenswichtig.»

Eine verkraftbare Niederlage als Abschiedsgeschenk

Zum Abschied hat das Volk seiner tüchtigen Vertreterin nun doch noch eine Niederlage beschert. Es stimmte mehrheitlich für die OECD-Steuerreform, welche Birrer-Heimo und ihre Partei in einem Nebenaspekt bekämpft hatten. Sie wollten eine gerechtere Verteilung der Einnahmen zwischen Bund und Kantonen.

Dass das Volk Ja sagte zu höheren Steuern für Konzerne, macht die Sache für Birrer-Heimo einfacher: «Wenn wir eine Steuerabstimmung verlieren, die eine Steuererhöhung bringt, für die sich Bürgerliche voll ins Zeug legen, dann ist das eine Niederlage, die gut zu ertragen ist.»

Sie hat sämtliche Anfragen für Präsidien oder sonstige Ämter abgesagt. Höflich, aber brutal.

Bis zum Herbst stehen noch fünf Kommissionssitzungen an, von denen sie eine leitet, dann folgt für Prisca Birrer-Heimo die letzte Session nach 13 Jahren – und nach einem Dutzend weiterer Kommissionssitzungen die Aussicht auf eine leere Agenda. Die mag sie sich von nichts und niemandem nehmen lassen. Sie hat sämtliche Anfragen für Präsidien oder sonstige Ämter abgesagt. Höflich, aber brutal.

Dann wird gereist. In den Norden, in den Süden. Nach Lappland, wo sie den 60. Geburtstag gefeiert hat, und nach Südwestfrankreich, wo ihr Sohn lebt und wohin Sprache und Kultur locken. «Vielleicht lerne ich noch Baskisch», sagt Prisca Birrer-Heimo. Die Agenda wird sich wieder füllen.