Proteste in WeissrusslandLukaschenko spricht erstmals
mit der Gegenseite
Der weissrussische Autokrat trifft überraschend Oppositionelle im Gefängnis. Auf den Strassen geht die brutale Gewalt gegen Demonstrierende weiter.
Auch im Gefängnis lässt sich eine Gesprächsrunde aufhübschen, also wurde ein Blumengesteck auf den ovalen Tisch gelegt – der Staatschef war gekommen. Alexander Lukaschenko sass in dem kargen KGB-Raum und redete mit inhaftierten Oppositionellen offensichtlich über die Lage im Land, die für alle Beteiligten nicht günstig ist. Bei der Runde am Samstag dabei war unter anderem der Banker Viktor Babariko, der bei der Präsidentenwahl in Weissrussland mit guten Aussichten Lukaschenko ablösen wollte, vorher allerdings verhaftet wurde.
Der Präsident wiederum wird bereits seit neun Wochen mit massiven Protesten der Bevölkerung konfrontiert, gegen die er ebenso beharrlich mit gnadenloser Gewalt vorgeht. Falls also der Gefängnisbesuch das Signal einer Art von Dialogbereitschaft gewesen sein sollte, wurden die Aussichten darauf einen Tag später schnell extrem getrübt.
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Am Sonntag, als zum «Marsch des Stolzes» wieder Zehntausende Menschen protestierten, gingen Sicherheitskräfte auf Demonstranten los und nahmen mindestens 50 von ihnen fest. In Minsk wurden Plätze und Metrostationen abgeriegelt, Militärfahrzeuge waren unterwegs, die Polizei setzte Tränengas und Blendgranaten ein, und ausgerechnet, als die Demonstration begann, meldeten Mobilfunkbetreiber Probleme mit dem Handynetz. Zugleich erzählten Handynutzer, sie hätten einschüchternde SMS vom Innenministerium erhalten mit dem Hinweis, sie seien «als Störer der öffentlichen Ordnung identifiziert» worden.
Der monatelange Machtkampf zwischen der Staatsmacht in Weissrussland und der Bevölkerung setzt Lukaschenko offenbar zunehmend zu. Bei seinem überraschenden Besuch im Gefängnis am Samstag sassen ausser dem Präsidentschaftskandidaten Babariko, der offiziell wegen angeblicher Steuerhinterziehung und Geldwäsche verhaftet worden war, mehrere Mitglieder des oppositionellen Koordinierungsrates mit am Tisch.
«Dialog nicht in einer Gefängniszelle»
Was genau in den angeblich mehr als vier Stunden besprochen wurde, war am Sonntag zunächst nicht bekannt. Nach aussen drang vor allem, was Lukaschenko gesagt hatte. Etwa, dass es auch um Verfassungsänderungen gegangen sei, aber dass die Verfassung nicht auf der Strasse geschrieben werde. Woraufhin die nach Litauen geflüchtete Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja erwiderte, einen Dialog führe man auch nicht in der Gefängniszelle. Um welche Art von Verfassungsänderung es gehen könne, ist am Wochenende unklar geblieben. Die Opposition hatte eine Rückkehr zur Verfassung von 1994 gefordert, die unter anderem eine begrenzte Amtszeit des Präsidenten vorsieht.
Ist alles nur ein PR-Coup Lukaschenkos? Der ehemalige weissrussische Diplomat Pawel Latuschko, Mitglied des Koordinierungsrats, der eine friedliche Machtübergabe anstrebt, sagte, dass Lukaschenko sich «kaum spürbar» bewege, allein um seine Macht zu sichern. Er warnte: «Glaubt ihm nicht.» Es gehe dem Regime nur darum, den «Protest zu zerschlagen, die Bevölkerung zu beruhigen und abzulenken», sagte Latuschko. Dass es das Treffen überhaupt gab, hält Tichanowskaja dennoch für das Ergebnis des wachsenden Drucks der belorussischen Protestbewegung.
Auch Politologen wie Andrei Kasakewitsch halten das Gespräch für das Eingeständnis Lukaschenkos, dass er «alternative politische Kräfte» nicht länger ignorieren könne. Nach 26 Jahren an der Macht hat das autoritäre Staatsoberhaupt kaum noch Unterstützung in der Bevölkerung. In allen Gesellschaftsschichten gibt es Widerstand, auch wirtschaftlich steigt der Druck. Rückhalt dagegen ist ausser bei den staatlichen Sicherheitsbehörden kaum zu spüren.
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