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Meinung

Analyse zu Weissrussland
Lukaschenko bleibt nur der Rücktritt

Hinter der Fassade bröckelt seine Macht atemberaubend schnell: Alexander Lukaschenko.
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Ein riskantes Schauspiel hat Alexander Lukaschenko aufgeführt. Am Sonntag trommelte er ein paar Tausend Getreue zusammen. Sie standen vor seinem Rednerpult, er rief sie auf, ihn zu verteidigen. Gegen wen? Gegen die Hunderttausenden, die sich zum selben Zeitpunkt zum Protest in der Stadt sammelten. Für Lukaschenko ist das eigene Volk zum Feind geworden.

Lukaschenko leidet unter den üblichen Altersleiden eines Autokraten.

Er werde das Land nicht aufgeben bis in den Tod, hat Lukaschenko gesagt. Gut, dass selbst seine vermeintlichen Anhänger ihn nicht mehr ernst nehmen. Da ruft ein Diktator verzweifelt um Hilfe, und niemand wird kommen. Auch Moskau hält sich dieses Mal raus. Lukaschenko bleibt nur der Rücktritt. Die Frage ist, wann er das einsieht. Und wie viel Leid er vorher noch anrichtet.

Lukaschenko leidet unter den üblichen Altersleiden eines Autokraten, bei ihm sind sie nur besonders fortgeschritten. Er hat das Verständnis für die Menschen völlig verloren und kann deren Liebe für ihn schon lange nicht mehr vortäuschen. Aber in Weissrussland lassen sich die Menschen nun nicht mehr betrügen und einschüchtern.

Beschleunigt haben das grobe Fehleinschätzungen Lukaschenkos in den letzten Wochen. Der sogenannte Volkspräsident hat die Hälfte des Volkes abgeschrieben, als er erklärte, Frauen könnten keine Präsidenten sein. Statt das manipulierte Wahlergebnis wenigstens etwas an die schlechte Stimmung im Land anzupassen, wollte er mit 80 Prozent seine Macht demonstrieren.

Die Frage ist, wie lange Lukaschenkos Geheimdienst und der Sicherheitsapparat loyal zu ihm bleiben.

Er hielt sich für immer noch stark genug, um sich eine so deutliche Manipulation leisten zu können. Sein letzter Fehler war die unbeschreibliche Gewalt, mit der selbst völlig unbeteiligte Menschen von der Strasse gesammelt wurden, der Missbrauch in den Gefängnissen. Das brachte nicht nur den Protesten grossen Zulauf. Es hat Lukaschenko auch für alle potenziellen Unterstützer, auch aus Russland, unmöglich gemacht.

Die Frage ist nun, wie lange sein Geheimdienst und der Sicherheitsapparat loyal zu ihm bleiben. Es scheint unvorstellbar, dass die Einsatzkräfte demnächst auch auf gestandene Traktorenbauern und Frauen, die ihnen Blumen bringen, einschlagen.

Drei Dinge machen den Protest in Weissrussland besonders und damit für Lukaschenko verheerend: Die gesamte Gesellschaft demonstriert, durch alle Berufe und Regionen. Zweitens bleiben die Protestierenden betont friedlich. Und schliesslich ist bemerkenswert, mit welcher atemberaubenden Geschwindigkeit die Menschen eine für sie nie gekannte Bewegungsfreiheit ausleben, die einst verbotene Fahne schwenken.

Europa-Flaggen sind keine zu sehen, darum geht es den Demonstrierenden nicht. Es geht ihnen nicht um Weissrusslands Platz in der Welt, sondern zuerst einmal um ihre ganz individuelle Freiheit. Sie wollen ihren Diktator loswerden. Und dann frei und fair ihre eigenen Vertreter wählen.

Putin möchte Ruhe in Weissrussland, deswegen hat er den unbequemen Lukaschenko so lange machen lassen.

Alexander Lukaschenko steht nun allein da. Er hat Putin in den vergangenen Tagen alle Reizworte hingeworfen, die ihm einfallen konnten, hat von Nato-Truppen an der weissrussischen Grenze gefaselt und vor einer neuen «Farbrevolution» gewarnt. Einer Revolution also wie in Georgien und in der Ukraine, hinter denen der Kreml durch den Westen inszenierte Umstürze sieht, die Russland destabilisieren sollen.

Aber Weissrussland ist in Putins Augen anders. Die Opposition dort ist nicht klar antirussisch. Dort sieht Putin eine Bevölkerung, die Russland gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt ist. Sollte er sich nun auf Lukaschenkos Seite stellen, droht er, genau diesen Goodwill zu verlieren. Auf Lukaschenko kann er verzichten. Auf seinen Einfluss in Weissrussland aber nicht.

Deswegen hat Putin keine guten Optionen. Er möchte Ruhe in Weissrussland, deswegen hat er den unbequemen Lukaschenko so lange machen lassen. Ihm zu Hilfe kommen kann er jetzt nicht mehr. Gemeinsam mit den Weissrussen und der EU nach fairen Wahlen rufen kann er auch nicht. Einfach zusehen und nichts tun ist für ihn auch gefährlich. Die Proteste zeigen, wie schnell aus einem politisch eher resignierten Volk eine wütende Mehrheit werden kann.

Da demonstriert ein Volk, das 26 Jahre nicht sagen durfte, was es wirklich möchte. Jeder tut gut daran, ihm jetzt erst mal zuzuhören. Gewalt zu verurteilen, Menschenrechte einzufordern, Hilfe anzubieten. Und zuzuhören.