Blutwäsche gegen Corona-FolgenWie die Schweiz es verpasste, eine Long-Covid-Therapie zu entwickeln
Verzweifelte Patienten gehen für über 12'000 Franken auf eigene Kosten zur Blutwäsche. Die einzige kontrollierte Studie scheiterte aus Mangel an Geld von Industrie und Bund.

Die Empfehlung kam von ihrer Physiotherapeutin. Seither setzt Julia Stern (Name geändert) grosse Hoffnungen in die Blutwäsche. Nach acht Monaten mit Long Covid und Symptomen wie Energielosigkeit und Erschöpfung, Wahrnehmungs- und Konzentrationsstörungen möchte sie es mit dieser Therapie versuchen. «Wenn eine Möglichkeit besteht, dass es mir hilft, zahle ich die teure Behandlung auch selbst – mit dem Risiko, dass es rausgeworfenes Geld ist», sagt die 53-Jährige.
So wie Julia Stern geht es vielen Patienten mit lang anhaltendem Post-Covid-Syndrom oder PASC (post-acute sequelae of Covid-19), wie Long Covid in der Fachsprache genannt wird. Für sie gibt es nur Therapien, die die Symptome bestenfalls ein wenig lindern. «Langzeitbetroffene mit Long Covid sind verzweifelt und versuchen alles», sagt Manuela Bieri vom Vorstand der Patientenorganisation «Long Covid Schweiz». Sie leidet seit der zweiten Welle im Jahr 2020 selbst an der Erkrankung und kennt die Situation aus eigener Erfahrung.
Mit Blutwäsche ist umgangssprachlich meist die sogenannte Apherese gemeint. Je nach konkretem Verfahren werden dem Blut ausserhalb des Körpers Bestandteile wie Blutfette, Antikörper, Entzündungs- oder Gerinnungsfaktoren entnommen. Die Kosten für Long-Covid-Patienten liegen je nach Verfahren bei 12’000 Franken und mehr. Die Hoffnungen der Patienten sind nicht unbegründet, denn der Wirkmechanismus ist plausibel, und es kursieren viele Berichte von Betroffenen, bei denen nach der Behandlung eine Besserung auftrat.
Rigorose Studie war bereits aufgegleist
Doch das Ganze hat mehrere Haken: Es gibt keine verlässlichen wissenschaftlichen Studien zur Wirksamkeit bei Langzeit-Symptomen nach einer Corona-Infektion. Die Therapie ist teuer und muss in der Regel selbst bezahlt werden. Und es werden verschiedene Apherese-Verfahren angeboten, die sich nur beschränkt vergleichen lassen.
Besonders stossend an der Situation: In der Schweiz waren vor zwei Jahren eigentlich zwei Mediziner mit viel Know-how am Start, um die Methode in einer rigorosen, placebokontrollierten Studie zu überprüfen. Ihr Vorhaben scheiterte aber an der fehlenden Finanzierung. Milo Puhan von der Universität Zürich und Nephrologe Andreas Serra hatten alles geplant: Mit rund 140 Long-Covid-Patienten sollte die Wirksamkeit der Apherese im Vergleich zu einer Scheinbehandlung zum ersten Mal überhaupt überprüft werden. Vieles war bereits aufgegleist. Selbst der Ethikantrag war so gut wie geschrieben.

Über die Hälfte der Finanzierung konnten die beiden Mediziner organisieren – Infrastruktur und Personal im Wert von rund einer Million Franken hätten die Hirslanden-Klink und die Universität in Zürich zur Verfügung gestellt. Was fehlte, waren rund eine Million Franken für Geräte und Verbrauchsmaterial.
«Es gab in der Schweiz offenbar niemanden, der eine solche Studie finanzieren konnte und wollte», sagt Milo Puhan, Direktor des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich. Öffentliche Gelder für klinische Forschung sind in der Schweiz grundsätzlich kaum vorhanden und werden nur mit einer langen Vorlaufzeit vergeben. Ab 2020, während der Pandemie, gab es immerhin ein Nationales Forschungsprogramm zu Covid. Doch die zwanzig Millionen Franken Fördergeld des Bundes waren schnell aufgebraucht, noch bevor die Apherese-Studie so weit war.
Hersteller und Behandlungszentrum wollten nicht mitmachen
Puhan und Serra kontaktierten sämtliche Firmen, die Apherese-Geräte herstellen. Erfolglos. Die beiden Mediziner boten auch an, die in einem kommerziellen Zentrum behandelten Patienten in einer weniger aufwendigen Beobachtungsstudie wissenschaftlich zu begleiten und die Wirkung der Therapie so nachzuverfolgen. «Auch das wurde dankend abgelehnt», erzählt Andreas Serra, Facharzt am Zentrum für Nephrologie und Dialyse in Zürich. «Die Firmen stellten sich auf den Standpunkt, dass es nicht ihre Aufgabe sei, die angebotene Methode zu erforschen.» Man könne diese Ansicht durchaus vertreten, so Serra. «Es ist dann aber unethisch, selbst zahlende Patienten mit der unbewiesenen Methode für Tausende Franken zu behandeln.»
«Es ist unethisch, selbst zahlende Patienten mit der unbewiesenen Methode für Tausende Franken zu behandeln.»
Für Serra war die Erfahrung ernüchternd: «Wir hätten die Chance gehabt, die erste und bis heute einzige placebokontrollierte Studie zur Long-Covid-Apherese durchzuführen», sagt er. Für Manuela Bieri von Long Covid Schweiz ist die Situation unhaltbar: «Ohne Studien wird die Apherese nicht verschrieben, und die Krankenkassen zahlen nicht.» Es sei stossend, dass trotz fehlender wissenschaftlicher Daten keine Studien durchgeführt würden. Unverständlich ist für Betroffene auch, wieso sich der Bund bis heute nicht finanziell engagiert. Für die akute Behandlung von Covid und die Rettung von Firmen sind riesige Summen ausgegeben worden. «Bei Long Covid unterstützt das Bundesamt für Gesundheit eine teure Studie mit einem neuen Medikament, das – wenn überhaupt – erst in Jahren verfügbar sein wird», sagt Chantal Britt, Präsidentin von Long Covid Schweiz. «Die Apherese ist hingegen ein etabliertes Verfahren, das vergleichsweise günstig evaluiert werden könnte.»
«Ohne Studien wird die Apherese nicht verschrieben, und die Krankenkassen zahlen nicht.»
Dabei deutet einiges darauf hin, dass Faktoren im Blut bei Long Covid eine wichtige Rolle spielen und mit Apherese entfernt werden könnten. Dazu zählen Antikörper und andere Moleküle, die an Autoimmunreaktionen und anderen Entzündungen beteiligt sind. Bei manchen Patienten könnten auch kleinste Gerinnsel («Micro-Clots») dafür sorgen, dass der Blutfluss in den feinsten Gefässen behindert ist. Eine Blutreinigung hätte möglicherweise auch einen Effekt, falls das Sars-CoV-2-Virus oder Bestandteile davon noch irgendwo im Körper vorhanden sind. Es wäre sogar denkbar, dass die Behandlung bei einer Reaktivierung von schlummernden Erregern, insbesondere dem Epstein-Barr-Virus (EBV), helfen könnte.
Doch die Studienlage ist bis heute dünn. Zu diesem Schluss kam im letzten August auch eine Analyse des angesehenen Wissenschaftsnetzwerks Cochrane. Die Autoren schauten Apherese-Verfahren an, bei denen die Entfernung von Mikro-Gerinnseln im Vordergrund stehen. Dabei fanden sie keine einzige Studie, die die Wirkung mit einer Scheinbehandlung verglich. Es seien auch keine Studien am Horizont, die diesen Mangel in absehbarer Zeit beheben könnten, schreiben die Forschenden. Aufgrund der vorhandenen, weniger hochwertigen Studien kamen sie zudem zum Schluss, dass Mikro-Gerinnsel (die Cochrane-Autoren bevorzugen den Begriff Amyloid-Fibrinogen-Partikel) auch bei Gesunden zu finden sind. Ob Long-Covid-Patienten allenfalls mehr oder grössere dieser Partikel haben, lasse sich aufgrund der vorhandenen Daten nicht feststellen.
Eine andere Untersuchung im «Deutschen Ärzteblatt» im vergangenen Juli offenbarte auch bei der gezielten Entfernung von möglichen krank machenden Antikörpern mittels Apherese einen Mangel an Daten. Ein Nutzen lässt sich demnach auch bei dieser Variante der Blutreinigung bislang nicht nachweisen.
«Wenn uns jemand das Geld gäbe, würden wir sofort loslegen mit der Studie», sagt Nephrologe Serra. Weil nicht gesichert ist, welche Blutkomponenten bei Long Covid welche Rolle spielen, ist der Plan der Schweizer Forscher, bei der Apherese das ganze Blutplasma durch Spenderserum zu ersetzen. Serra schätzt die Chancen bei 50 Prozent, dass Apherese bei Long Covid tatsächlich hilft: «Ich habe schon viele Studien mit vielversprechenden Medikamenten erlebt, bei denen sich die erhoffte Wirkung dann leider nicht bestätigte.»
Manuela Bieri von Long Covid Schweiz weiss aus dem Netzwerk ihrer Selbsthilfeorganisation, dass die Blutwäsche manchen zu helfen scheint: «Es gibt immer wieder Berichte von erstaunlichen Besserungen», sagt sie. Bei vielen wirke die Therapie jedoch nicht durchschlagend oder sie helfe überhaupt nicht. «Es ist wie Roulette spielen – ein teures, wohlgemerkt», so Bieri. So ist es auch für Julia Stern. Auch bei ihr hat die Behandlung nicht angeschlagen, und sie muss sich jetzt überlegen, ob sie noch mehr Geld für eine weitere Behandlungsrunde einsetzen soll.
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