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Lohnausfall bei Krankheit
Er findet keine Versicherung für seine Angestellten

Stephan Kink von Kink Haus Wartungen, versucht vergeblich, für seine Mitarbeitenden eine Krankentaggeldversicherung zu erhalten, doch alle Versicherungen lehnen ab am Freitag, 19. April 2024 in Münchenstein. © Photo Dominik Plüss
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Stephan Kink ist nicht gut zu sprechen auf die Versicherungsbranche. Seit einem Jahr versucht er vergeblich, seine 20 Mitarbeitenden gegen Lohnausfall bei Krankheit zu versichern. Die Reinigungsbranche, zu der Kinks Firma zählt, kennt einen Gesamtarbeitsvertrag. Dieser verpflichtet den Unternehmer aus Münchenstein BL, seine Angestellten gegen Lohnausfall bei Krankheit zu versichern.

Bis vor einem Jahr hatte Kink dafür eine Kollektivversicherung. Doch dann kam die böse Überraschung: Die Versicherung löste den Vertrag auf, nachdem innerhalb von zwei Jahren drei Mitarbeitende für längere Zeit wegen Krankheit ausgefallen waren, wie der «Kassensturz» vor einigen Monaten berichtete. Für den Inhaber der Firma für Hauswartdienstleistungen ist der Schritt völlig unverständlich.

Zuvor habe die Versicherung während 20 Jahren für keinen einzigen Krankheitsfall in seiner Firma aufkommen müssen, sagt Kink. Seit der Vertragskündigung sucht nun ein Broker vergeblich für sein Unternehmen eine neue Versicherung. «Kein einziges Angebot haben wir bisher erhalten», ärgert sich Kink. Dass Versicherungen sich verweigern dürften, während Firmen zum Abschluss einer Versicherung verpflichtet seien, empfindet er als «sozialpolitische Schweinerei».

Nationalrat fordert obligatorische Versicherung

Kink sieht als einzige Lösung eine gesetzliche Verpflichtung der Versicherungen, die Mitarbeitenden von Unternehmen kollektiv zu versichern. Der Nationalrat hat sich im September für ein solches Obligatorium ausgesprochen. Er stimmte einer Motion von Marco Romano zu. Der Mitte-Nationalrat schlägt vor, die Versicherungen zur Aufnahme von Firmen zu verpflichten. Die Sozialkommission des Ständerats (SGK) diskutiert den Vorstoss am Dienstag.

Auch die Gewerkschaften hören zunehmend von Firmen, die kaum mehr eine Taggeldversicherung für ihre Mitarbeitenden finden. Viele Versicherungen machten den Firmen nicht einmal eine Offerte, weil sie das Schadensrisiko für zu gross hielten, sagt Gewerkschaftssekretärin Gabriela Medici. Andere Firmen würden mit happigen Prämienaufschlägen konfrontiert. Manchmal reiche eine langwierige Krebserkrankung einer Mitarbeiterin in einer Firma mit 120 Mitarbeitenden, mit der die Versicherung eine Verdreifachung der Prämien rechtfertige. Auch dafür liegt Medici ein konkretes Beispiel vor.

Schwierig ist die Situation auch für Firmen, die Mitarbeitende mit einer Behinderung oder gesundheitlichen Einschränkung anstellen. Diese Erfahrung macht die Behindertenorganisation Procap, die rund 100 Mitarbeitende beschäftigt. In den letzten vier Jahren habe die Versicherung die Prämien aufgrund des Schadenverlaufs fast verdoppelt, sagt Alex Fischer, Leiter Sozialpolitik bei Procap. Für Männer müssen nun 1,2 Prozent des Lohns für die Taggeldversicherung entrichtet werden, für Frauen gar 1,8 Prozent. Durch die risikoabhängigen Prämien werde die Anstellung von Menschen mit einer Behinderung zusätzlich erschwert, sagt Fischer.

Schwierig wird es bei einer Entlassung

Stephan Kink bietet seinen Mitarbeitenden als Notlösung an, die Hälfte der Prämie für eine Einzelversicherung zu übernehmen, die jeder Mitarbeitende selbst abschliessen muss. Die Prämie ist allerdings fast doppelt so hoch wie für die frühere Kollektivversicherung. Diese kostete für Vollzeitbeschäftigte 132 Franken im Monat, die Einzelversicherung im Schnitt 220 Franken. Ältere Frauen müssten nun sogar mehr als das Doppelte bezahlen.

Einige Mitarbeitende von Kinks Firma haben wegen der hohen Kosten auf die Einzelversicherung verzichtet. Im Krankheitsfall kann dies aber fatale Folgen haben. «Wenn Mitarbeitende ohne Taggeldversicherung länger wegen Krankheit ausfallen, müssen wir ihnen kündigen», sagt Kink. «Wir können es uns nicht leisten, über Monate hinweg den Lohn weiterzuzahlen.»

Will ein Arbeitgeber einem krankgeschriebenen Mitarbeitenden kündigen, muss er sich die gesetzliche Sperrfrist halten. Diese beträgt abgestuft nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses 1 bis maximal 6 Monate. Nach Ablauf dieser Frist darf ein Arbeitgeber auch bei Krankheit ein Arbeitsverhältnis auflösen.

Eine Kündigung kann für einen erkrankten Arbeitnehmer gravierende Folgen haben, selbst wenn der Arbeitgeber eine Taggeldversicherung hat. Zwar können die Arbeitnehmenden nach der Entlassung in der Regel beim gleichen Versicherer eine Einzelversicherung abschliessen, allerdings zu deutlich höheren Prämien. Und solange sie krank sind, erhalten sie kein Arbeitslosengeld.

Versicherungsverband warnt vor Obligatorium

Schweizer Rechtsgelehrte fordern eine Reform des bestehenden Systems der Krankentaggeldversicherung, die heute in der Regel dem Privatversicherungsrecht untersteht. Berichte über Unternehmen, die trotz intensiver Suche keine Taggeldversicherung mehr erhielten, nähmen zu, heisst es in einem Brief der Professorinnen und Professoren an die SGK.

Gleichzeitig seien immer mehr Unternehmen einem GAV unterstellt und im Krankheitsfall zur Lohnfortzahlung während 720 Tagen verpflichtet. Für kleine Unternehmungen könne es existenzbedrohend sein, wenn sie keine Versicherung fänden. Zu prüfen sei zum Beispiel eine Lösung in Anlehnung an die obligatorische Taggeldversicherung bei Unfall.

Auch die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) setzt sich für ein Obligatorium ein. Denn häufig muss die Sozialhilfe einspringen, wenn Arbeitnehmende wegen Krankheit ihren Job verlieren und keine Taggelder erhalten. Das Fehlen einer obligatorischen Krankentaggeldversicherung sei eine der grössten Lücken im Schweizer Sozialversicherungsrecht, schreibt die Skos.

Der Schweizerische Versicherungsverband warnt hingegen, dass ein Obligatorium «den Trend der steigenden Kosten und Prämien nur verschärfen würde». Wenn sich eine Risikoeinschätzung für einen Betrieb ändere, müssten die Prämien erhöht werden, sonst hätten andere Firmen für die hohe Schadensbelastung aufzukommen. Die Probleme mit der heutigen Regelung seien Einzelfälle, die meisten Firmen würden einen Versicherer finden. Ein Obligatorium würde auch jene Arbeitgeber zu einer Krankentaggeldversicherung zwingen, die die Lohnfortzahlung selbst regeln wollten.