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Radikale Veränderungen in der britischen Regierung
Liz Truss greift nach dem eisernen Besen

Sie hat nahezu das ganze Kabinett ausgetauscht: Liz Truss bei ihrer ersten Fragestunde als Premierministerin am Mittwoch im Unterhaus in London. 
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Die ersten Fan-Selfies wurden direkt nach dem ersten Auftritt der neuen britischen Premierministerin veröffentlicht, und zwar von Dehenna Davison. Die Tory-Abgeordnete für Bishop Auckland ist im Nebenjob Co-Moderatorin des ultrarechten Nigel Farage im Sender GB News. Sie postete am Mittwoch auf Twitter ein Bild, auf dem Truss und Davison in deren Handy grinsen. «A quick catch up», schrieb Davison dazu, ein schnelles Treffen nach den ersten «Prime Minister’s Questions» mit der neuen Chefin. Davison sieht auf dem Bild aus wie eine begeisterte Popkonzertbesucherin, Truss sieht nicht aus wie eine Popsängerin, dafür ist sie zu sehr Liz Truss. Aber sie gibt sich Mühe.

Ihr erstes Aufeinandertreffen mit Oppositionsführer Keir Starmer überstand Truss gut vorbereitet. Sie antwortete manchmal knapp, manchmal gelang ihr sogar eine Pointe, die das auch oben auf der Pressetribüne noch ohrenbetäubende grosse Grölen auslöste, für das diese Fragestunde mittwochs im Unterhaus so berühmt ist. Britische Politik war immer auch eine grosse Show, Boris Johnson trieb das an die Grenzen des Erträglichen, und die Frage ist seit dieser Woche ja auch: Wird britische Politik mit der trockenen Liz Truss seriös?

Vor allem braucht die britische Politik schnell Lösungen, das Land ist in einem miserablen Zustand, die Energiekosten explodieren, die Inflation rast ungebremst vor sich hin, das Gesundheitssystem liegt darnieder, das Pfund Sterling fiel am Mittwoch so tief wie seit 1985 nicht mehr. Truss will, das sagte sie schon am Dienstag bei ihrer Antrittsrede in Downing Street, das Land «aus dem Sturm heraus» führen. Nur: Wie? Mit welchem Geld? Und auch: Mit wem?

Truss bediente sich bei ihren Auftritten in den vergangenen Wochen immer gern aus dem Standard-Wortkoffer für Politiker. Ihr Lieblingsbegriff ist «deliver», liefern, das ist es, was sie unbedingt will. In ihrer ersten Ansprache im Parlament am Mittwoch fällt «deliver» schon im zweiten Satz, in der knappen Stunde danach ist die deliver-Frequenz so hoch, dass es fast schade ist, dass niemand mitgezählt hat.

Praktisch alle Sunak-Unterstützer flogen raus

In der ersten Reihe des Unterhauses sitzen neben ihr ihre neuen Minister, die sie am Dienstag ernannt hat. Die neue Gesundheitsministerin und stellvertretende Premierministerin Thérèse Coffey, der neue Finanzminister Kwasi Kwarteng, der neue Aussenminister James Cleverly, die neue Innenministerin Suella Braverman oder auch die neue Tory-Fraktionschefin Penny Mordaunt.

Sie ist die neue britische Innenministerin: Suella Braverman. 

Truss hat am Dienstag, kurz nachdem die Queen sie ernannt hatte, nahezu das gesamte Kabinett ausgetauscht: Praktisch alle, die ihren Gegenkandidaten Rishi Sunak unterstützt hatten, flogen raus, stattdessen holte Truss ihre loyalsten Weggefährten an den Kabinettstisch. Sie solle nicht den gleichen Fehler machen wie Johnson, sollen ihr erfahrene Tories geraten haben, und Loyalität über Kompetenz stellen. Aber Truss hat sich dann doch eher für einen anderen Weg entschieden – den Johnson-Weg.

Gesundheitsministerin Coffey gilt als ihre engste Freundin im Parlament, Finanzminister Kwarteng wohnt in derselben Strasse wie Truss in Greenwich im Londoner Südosten. Auch Aussenminister Cleverly wohnt in der Nähe, weshalb Truss und ihre wichtigsten Minister im Parlament die «Greenwich Gang» genannt werden. Vor allem mit Kwarteng soll sie eine ideologische und persönliche Nähe verbinden, die wohl einzigartig sein dürfte in der traditionell konfliktreichen Geschichte zwischen Premierminister und Finanzminister.

Der neue Finanzminister Kwasi Kwarteng soll mit Liz Truss nicht nur eine ideologische, sondern auch eine persönliche Nähe verbinden. 

Auch jenseits der Top-Jobs hat Truss einige Posten mit Verbündeten besetzt, was etwa der entlassene Staatssekretär Johnny Mercer mit den Worten kommentierte, er sei «enttäuscht», akzeptiere aber, «dass sie Posten mit ihren Unterstützern besetzt». 

Truss will radikal verändern

Liz Truss hat in der Partei der Konservativen nicht den Rückhalt, den sie gerne hätte, jedenfalls noch nicht. In der ersten Wahlrunde des Wettbewerbs um Johnsons Nachfolge hatten sich die Abgeordneten klar hinter Rishi Sunak gestellt, Truss zog nur als Zweitplatzierte in die Wahl durch die Mitglieder ein. Die aber wollten nie jemanden wie Sunak, sondern jemanden wie Truss, die ideologisch rechts steht und mit scheinbar harter Linie regieren will.

Mindestens fünf ihrer neuen Minister kommen aus der European Research Group, einer in den Neunzigerjahren entstandenen Gruppe euroskeptischer Abgeordneter vom rechten Parteiflügel. Neben Coffey und Cleverley entstammen auch die neue Innenministerin Suella Braverman, der neue Bildungsminister Kit Malthouse sowie der neue Wirtschaftsminister Jacob Rees-Mogg dieser Gruppe, die als einflussreich gilt, aber gerade von eher gemässigten Tories mit gewisser Skepsis betrachtet wird. 

Nicht nur das Kabinett, sondern auch den Personalapparat in Downing Street will Truss radikal verändern, und was das bedeutet, erfuhren einige Mitarbeiter bereits am Dienstagvormittag. Ungefähr eine Stunde nachdem Boris Johnson London in Richtung Schottland verlassen hatte, um die Queen um seine Entlassung zu bitten, erhielten mehrere Berater und rund 50 Beamte eine E-Mail, so berichtete die «Times». Sie sollten ihre Schreibtische bis 9.30 Uhr, spätestens aber 11 Uhr verlassen. Immerhin, so schilderte ein Betroffener der Zeitung zynisch, habe man Kartons für seine Sachen bekommen.