Antrittsrede von Liz Truss«So stark der Sturm auch ist, die Briten sind stärker»
Die neue Regierungschefin Grossbritanniens erbt von ihrem Vorgänger Boris Johnson gewaltige Herausforderungen. Die Steuerkürzungen nennt sie ihr wichtigstes Projekt.
Die neue britische Premierministerin Liz Truss hat in ihrer Antrittsrede eine bessere Zukunft für das Vereinigte Königreich angekündigt. «Unser Land wurde von Menschen aufgebaut, die Dinge erledigen. Wir haben gewaltige Reserven an Talent, Energie und Entschlossenheit», sagte Truss am Dienstag vor ihrem Amtssitz in der Londoner Downing Street.
«Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam den Sturm überstehen, unsere Wirtschaft wieder aufbauen und zu dem modernen, hervorragenden Grossbritannien werden, von dem ich weiss, dass wir es sein können.» Als Prioritäten nannte die bisherige Aussenministerin die Wirtschaft, die Energiepreise und den Gesundheitsdienst NHS. Sie werde dafür sorgen, dass Strassen, Wohnungen und schnelles Internet gebaut werden.
«Natürlich wird es nicht einfach, aber wir schaffen das. Wir werden Grossbritannien in eine aufstrebende Nation verwandeln», sagte Truss. «So stark der Sturm auch ist, ich weiss, dass die Briten stärker sind.» Die 47-jährige Tory-Politikerin war zuvor von Königin Elizabeth II. zur Nachfolgerin von Boris Johnson ernannt worden, der unter schwerem Druck seiner Fraktion zurückgetreten war.
Dass die Amtsübergabe in Balmoral stattfand, hing mit dem Gesundheitszustand der 96-jährigen Queen zusammen.
Normalerweise wird, wer gerade regiert in London, Anfang September zur Queen nach Balmoral eingeladen. In ihrem Schlösschen droben in Schottland, in dem sie lange Sommerferien verbringt, empfängt Königin Elizabeth II. immer für ein paar Tage den jeweiligen Premierminister oder die Premierministerin.
Von diesen privilegierten Besuchen haben die Regierungschefs über die Jahrzehnte viel zu erzählen gewusst. Einige, wie der frühere Tory-Premier David Cameron, haben diesen Aufenthalt im Kreise der Royals ausgesprochen genossen. Andere, wie Labours Tony Blair, fanden solche Ferientrips und die steife Routine im Schloss eher «surreal» und gestanden, dass sie nur mit überdurchschnittlichem Alkoholkonsum über die Runden gekommen seien.
Der «eisernen Lady» Margaret Thatcher war es schlichtweg peinlich, dass Ihre Majestät sie beim traditionellen Grillausflug von Balmoral persönlich bewirtete und anschliessend darauf bestand, das Geschirr eigenhändig abzuwaschen. Eine solche Behandlung wurde den Gästen aus London an diesem Dienstag aber nicht zuteil.
Gerade mal ein halbes Stündchen wurde Premierminister Boris Johnson eingeräumt, um in aller Form sein Rücktrittsgesuch einzureichen und sich von der Queen zu verabschieden. Gleich nach seinem Abgang traf, ebenfalls für dreissig Minuten, seine designierte Nachfolgerin Liz Truss zur offiziellen Ernennung als Regierungschefin und zu einem entsprechenden Händeschütteln mit der Monarchin ein.
Mit einer Zeremonie, die noch immer «kissing of hands» heisst, heute aber weniger untertänig gehandhabt wird, war die Amtsübergabe besiegelt. Dass sie in Balmoral stattfand und nicht wie üblich im Buckingham-Palast in London, hing mit dem Gesundheitszustand des 96-jährigen Staatsoberhaupts zusammen.
Boris Johnson überhäuft sich mit Selbstlob
Für den scheidenden Premier Johnson war die eigene Verstossung aus der Regierungszentrale in London (noch einmal) das wichtigste Thema des Tages. Bereits am frühen Morgen, um halb acht, hatte er bei seiner Abschiedsrede am Pult vor der berühmten schwarzen Tür des Regierungssitzes aller Welt erneut sein Leid geklagt.
«Unerwarteterweise» sei er zu einer «Stabübergabe» mitten in seiner triumphalen Amtszeit gezwungen worden, nachdem seine Partei «auf halber Strecke die Regeln geändert» habe, erklärte er. Auf jeden Fall habe er seiner Nation fantastische Dienste erwiesen, tönte Johnson. Den Brexit habe er vollbracht, die Pandemie besiegt, den Rest der Welt durch rekordfrühe Impfungen beschämt und Wladimir Putin entschlossener als andere die Stirn geboten. Ungläubig verfolgten Beobachter, wie Johnson auf seine unbekümmerte Art noch einmal alle möglichen PR-Blüten seiner Amtszeit zu einem Strauss schamloser Selbstgratulation wand.
Offensichtlich könne Boris der Wahrheit noch immer nicht ins Auge sehen, schüttelten seine Kritiker die Köpfe – nämlich dass er seiner Nachfolgerin ein Land übergebe, das am Rande einer Rezession stehe, in dem Millionen Menschen nicht wüssten, wie sie überleben sollten, das sich mit dem Brexit verrannt habe und das im Innern auseinanderzubrechen drohe, falls Schottland seiner eigenen Wege gehe.
Truss bleibt nur eine knappe Frist
Liz Truss ist nun die Nummer 15 in jener langen Reihe der Premierminister und -ministerinnen unter Queen Elizabeth. Und sie steht vor riesigen Herausforderungen: die haushohe Inflation, der gewaltige Anstieg der Strom- und Gaspreise, die sich ankündigende Rezession und der drohende Bankrott vieler britischer Kleinbetriebe lassen ihr nur eine knappe Frist für die lang geforderten Massnahmen, deren Erfolg oder Misserfolg ihre Zeit bis zu den nächsten Unterhauswahlen in zwei Jahren entscheidend prägen wird.
Noch diese Woche soll ein Plan vorgelegt werden, um den bitter gerungen wird hinter den Kulissen der Downing Street. Denkbar ist eine zusätzliche Schuldenaufnahme des Staates von fast 100 Milliarden Pfund, mit deren Hilfe die Gas- und Stromrechnungen für diesen und den kommenden Winter bei durchschnittlich 2500 Pfund im Jahr eingefroren werden sollen, statt dass sie auf das Doppelte steigen bis zum nächsten April. Vor allem will die neue Regierungschefin an ihrem Projekt genereller Steuerkürzungen festhalten.
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