Mamablog: Hommage an die SchwesterLiebe Schwester, zeig mir, wie Loslassen geht
Von ihrer älteren Schwester hat unsere Bloggerin einst gelernt, wie man gross und cool wird. Jetzt schaut sie bei ihr ab, wie die wohl grösste aller Elternaufgaben gelingt.
Meine liebe Schwester
Wo fange ich an? Am besten am Anfang. Nur 18 Monate warst du «alleine» in unserer Familie – bis wir gemeinsam die elterliche Wohnung mit Leben füllten. Von Kindesbeinen an warst du mir eine unglaublich tolle, grosse Schwester. Ich hatte nicht nur eine – nein – ich hatte zwei Mütter. Du hast auf mich gewartet, mich an die Hand genommen, wenn ich auf unserem täglichen Spaziergang mit meinen kurzen Beinen mal wieder nicht mithalten konnte. Später in der Schule hast du mir bei den Hausaufgaben geholfen, ich durfte bei deinen Französischblättern abschreiben. Wir haben uns gegen unsere Eltern verbündet, waren ein unschlagbares Gespann, hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Als Teenie hast du mir vorgelebt, wie man gross und cool wird, wie man Töffli und später Auto fuhr – was habe ich durch dich nicht alles gelernt! Auch die gemeinsamen Reisen und Trips an internationale Tennisturniere bleiben unvergesslich.
So langsam löst sich das Mutter-Kind-Konstrukt auf. Manche Verbindungen wurden bereits eingestellt.
«Leg d’Schueh a, mir gönd go laufe», hast du mir befohlen, als ich mitten in meinem ersten grauenhaften Liebeskummer steckte – gekocht hast du und mich auf andere Gedanken gebracht. Schliesslich warst es auch du, die mich mit meinem Ehemann zusammenbrachte. Für diese Verkuppelung bin ich dir ein Leben lang dankbar! Und dann kamen die Kinder. Natürlich deine zuerst. Mit der Geburt deines Sohnes wurde ich nicht nur Tante, sondern auch gleich noch stolzes Gotti. Ein überwältigtes, stolzes Gotti, das nicht fassen konnte, wie so ein perfektes Menschlein aus deinem kugelrunden Bauch schlüpfen konnte.
Zwei Jahre danach wurdest du Zweifachmama und ich doppelte mit meinen beiden Mädels nach. Nun sind einige Jahre ins Land gezogen. Eine Zeit, die geprägt war durch Erziehung, Begleitung und Betreuung unserer Kinder. Der Löwenanteil unseres Lebens bestand aus Kinderfreuden und Kindersorgen. Wir sind mit ihnen mitgegangen, haben alle Phasen und Entwicklungen mit ihnen durchgemacht. Natürlich haben wir auch gearbeitet, haben unsere Freundschaften und Beziehungen gepflegt, aber Priorität hatten immer unsere Kinder. Wir waren unseren Kindern Beschützerin, Krankenschwester, Zuhörerin, Vertraute, Mutmacherin, Lehrerin, Chauffeurin, Vorbild, Trösterin, Organisatorin und Wegbegleiterin. Ich schreibe bewusst im Präteritum.
So langsam löst sich das Mutter-Kind-Konstrukt nämlich auf. Manche Verbindungen wurden bereits eingestellt, gewisse Dienstleitungen braucht es nicht mehr. Sprich, unsere Kinder sind nicht nur selbständig geworden, sie nabeln sich auch immer mehr von uns ab. Meine Mädels brauchen mich natürlich noch mehr als deine. Dein Sohn, mein Gottebueb, fährt nun Auto, kann völlig frei entscheiden, wann er wohin geht und mit wem. Bald schon feiert er mit Bravour seine Lehrabschlussprüfung. Freud und Leid teilen sie längst und hauptsächlich mit ihren Freunden und Freundinnen. Sie entscheiden immer öfters für ihr Leben, übernehmen – im besten Fall – Verantwortung. Sie gehen ihren Weg.
Loslassen. Ich glaube, das ist DIE Aufgabe für uns Eltern schlechthin.
Das ist gut so. Richtig und gesund. Wir wissen das und freuen uns, wenn sie etwas erreicht haben und sie vorwärts kommen – ganz ohne unsere Unterstützung. Aber es gibt auch die andere Seite. Nicht immer sind die Ideen und Verhaltensweisen unserer «Immer-Noch-Kinder» klug und durchdacht. Bei manchen Furzideen sträuben sich unsere Nackenhaare, manche Gedankengänge sind für uns nicht nachvollziehbar.
Natürlich wissen wir rational, dass Erfahrungen alleine gemacht werden müssen, ohne Mami an der Hand. Auch die Schlechten. Das weiss aber oft nur der Kopf und nicht das Herz. Dann wird es schwierig. Weil unsere heranwachsenden Kinder unsere altbackenen Ratschläge so was von bünzlig finden. Überhaupt zwingt ihr Drang zur Abnabelung sie dazu, in die Opposition zu gehen. Das bedeutet nun für uns Eltern, dass wir unsere Ansichten und Meinungen zwar äussern dürfen (und sollen!), wir aber nicht auf Zustimmung hoffen sollten. Stattdessen heisst das Zauberwort des Prozesses in dem wir stecken: Loslassen, Loslassen, Loslassen. Ich glaube, es ist DIE Aufgabe für uns Eltern schlechthin. Und die Schwierigste zugleich.
Wie ich einst bei den Französischblättern spicken konnte, kann ich nun bei der Kindererziehung bei dir abschauen.
Du, meine liebe Schwester, bist mir immer eine Nasenlänge voraus. Wie ich einst bei den Französischblättern spicken konnte, kann ich nun bei der Kindererziehung und dem Loslassen bei dir abschauen. Was für ein Geschenk für mich. Es steckt in deiner Natur und deinem Charakter, dass du ein sehr fürsorglicher Typ bist. Du kümmerst dich und setzt dich für deine Liebsten ein wie eine Löwin. Du bist eine Macherin mit wachem Geist, viel Herz und Engagement. Die geborene Mutter! Ja, dieses Bemuttern schlummerte schon als Kind in dir. Glaube mir, du hast es mehr als gut gemacht mit der Erziehung deiner Kinder, hast ihnen viel Gutes mitgegeben und vorgelebt. Du bist auf gutem Weg, deine Kinder in die grosse weite Welt zu entlassen. Du kannst loslassen. Doch wie wir von unserer lebensklugen Mutter wissen: Kinder haben ist wie ein Virus. Ein lebenslanger Virus. Einmal Mutter – immer Mutter! «Glaubt ja nicht, das ‹Kümmern› höre auf, wenn sie erst mal erwachsen sind», prophezeite jüngst unsere Mutter. Sie wird Recht haben wie immer. Ein unsichtbares Mutter-Kind-Band wird nicht getrennt werden können.
Und ein solches Band gibt es auch unter Geschwistern! Ich bin heute für dich da und werde da sein, wenn unsere Kinder längst ausgezogen sind, selber Familien gründen und ihre Wege gehen. Dann haben wir wieder viel Zeit für Reisen und Treffen, bei Kaffee und Kuchen in Erinnerungen zu schwelgen, alte Zeiten hochleben zu lassen und Neuem Platz zu machen. Ich freue mich jetzt schon auf die neu gelebte Schwesternzeit mit dir.
Deine Bigi
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