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Interview zu Waldbränden in Kanada
«Lernt aus unseren Fehlern und kommt dem Desaster zuvor!»

5000 Quadratkilometer Wald stehen in Flammen: Aufnahme vom 9. Juni 2023 aus dem Norden der kanadischen Provinz British Columbia.
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In Kanada brennen riesige Waldflächen, so gross wie seit einigen Jahrzehnten nicht mehr. Zehntausende Menschen in Kanada müssen ihre Häuser räumen, die Luftverschmutzung färbt sogar in New York den Himmel ein. Die Brände könnten noch viele Wochen wüten, warnen Fachleute. Der Feuerökologe Robert Gray erklärt, weshalb es in diesem Jahr so schlimm ist und was dagegen getan werden müsste. Ein strikt kapitalistischer Umgang mit dem Wald funktioniere jedenfalls nicht.

Herr Gray, in Kanada stehen riesige Waldflächen in Flammen. Warum ist es gerade so heftig?

Die Landschaft unterscheidet sich stark von der, wie sie früher war. Zur Zeit der indigenen Landbewirtschaftung gab es zwischendrin mehr Wiesen und Flächen mit Gebüsch. In einem dichten, geschlossenen Wald findet man keine Nahrung. Aber in einem offenen Wald wachsen Beeren und Pflanzen, die Knollen und Nüsse hervorbringen, die man essen kann. Er zieht auch Wild an. Indigene Völker haben stets Wald abgebrannt, um zu überleben. Wenn ein Brand ausbrach, traf er bald auf eine dieser offenen Flächen, die schlechter brennen, und verebbte. Indigene Waldnutzung schuf dieses erstaunliche Mosaik verschiedener Wälder und Pflanzengemeinschaften voller Diversität, während wir heute Monokulturen haben. Wir haben die Wälder simplifiziert und auf die Holzproduktion ausgerichtet. In solchen Wäldern breitet sich Feuer rasend schnell aus. Einer der Brände im nördlichen Teil der Provinz British Columbia erreicht gerade eine halbe Million Hektaren.

Hat der Klimawandel etwas damit zu tun, dass es so starke Brände gibt?

Definitiv. Die Entwicklung der Waldbrände, nicht nur dieses Jahr, sondern die letzten zehn Jahre, trägt eine klare Handschrift, die des menschengemachten Klimawandels. Die Grösse dieser Feuer in Kanada ist beispiellos. Brände borealer Wälder im Norden British Columbias, Alberta und Saskatchewan sind im Frühling nicht unüblich, aber nicht in diesem Ausmass. Allerdings ist das Muster in den letzten 20, 30 Jahren chaotisch: In den 1990er-Jahren gab es einige grosse Brände, danach war es ein Auf und Ab. Dieses Jahr sind sie weit ausserhalb der normalen Messkurven und es wird die Norm werden, dass wir nicht voraussehen können, was passiert. Es kann sehr schlimm kommen – jederzeit.

Der Rauch der Waldbrände zieht bis in die Metropolen Kanadas, selbst in die USA. Wie ist die Belastung in den vom Feuer betroffenen Gebieten selbst, im ländlichen Norden?

Wenn ein Brand ausbricht, wirkt sich das in den bevölkerungsreichen Zentren am meisten durch Rauch und Feinstaub aus. Toronto, New York und Washington D. C. haben viel mediale Aufmerksamkeit bekommen, wegen drei oder vier Tagen Rauch. Aber die ländlichen Gebiete in Kanada erleben das bis zu sieben Wochen am Stück. Menschen können mit akuten Rauchbelastungen für ein oder zwei Tage ganz gut umgehen. Dauert es noch länger, wirkt es sich auf den Körper und auch auf die mentale Gesundheit aus. Zudem sind die Menschen in ländlichen Gebieten direkt von den Bränden betroffen. Evakuierungen können traumatisch sein, besonders für Familien. Alle Habseligkeiten zu packen, nicht zu wissen, ob man zum Haus zurückkehrt oder ein verbranntes Loch vorfindet.

Sie setzen sich dafür ein, zur traditionellen Technik kontrollierter Brände zurückzukehren. Wie funktioniert das?

Das ist auf jeden Fall eins der Werkzeuge. Es ist eine Menge Arbeit und man braucht viele hochqualifizierte Leute. Man muss den Wald vorher ausdünnen, und das Wetter ist immer schwerer vorauszusagen. Wir legen diese Brände normalerweise im Frühling und Herbst, in sogenannten Brandfenstern. Im April sind es beispielsweise etwa sechs Tage, und noch mal im Oktober einige Tage. In British Columbia passiert das im Moment pro Jahr nur auf 10’000 Hektaren. Es müssten 10- bis 15-mal so viel sein, mindestens. Computermodelle zeigen, dass 40 Prozent der Fläche «Zauncharakter» haben müssten, die also schlecht brennen und Brände verlangsamen. Das können Espenwälder sein, Gebüsch, Wiesen oder dünner Wald, der schon mal kontrolliert abgebrannt wurde.

Das wäre eine Lösung angesichts der heftigen Brände?

Durchaus, doch muss sie sich im etablierten System der Holzernte, der Monokulturen, der Sägewerke durchsetzen.

«Bei weiteren Rauchereignissen wie derzeit sprechen wir über Zehntausende vorzeitige Todesfälle.»

Sie klingen nicht sehr zuversichtlich.

Man muss ein komplett neues Modell finden, und es kann auch kein strikt kapitalistisches Modell sein. Es funktioniert nicht, wenn man Gewinn erwirtschaften muss, weil diese Techniken keinen Gewinn generieren. Sie werden etwas kosten – aber es kostet mehr, wenn man nicht in sie investiert. Bei der Klimakrise und Waldbränden können wir nicht auf Lösungen aus der Vergangenheit setzen, sie haben uns ja das jetzige Desaster beschert. Bei weiteren Rauchereignissen wie derzeit sprechen wir über Zehntausende vorzeitige Todesfälle.

Was wäre nötig, um ein solches neues Feuermanagement einzuführen?

Wir müssen riesige Mengen an Biomasse – das, was die Feuer im Wald nährt – entfernen und etwas daraus machen. Zum Beispiel langlebige Holzprodukte statt diese Massen in Rauch und Feinstaub zu verwandeln. Verwendet man dieses Material als Biodiesel oder für Holzpellets, ersetzt das zwar fossile Rohstoffe, aber dabei entstehen auch Emissionen. Wenn wir es dagegen zur langfristigen Kohlenstoffspeicherung verwenden, nützt das auch dem Klima. Zurzeit werden 87 Prozent des Geldes in Brandbekämpfung und Wiederherstellung gesteckt und 13 Prozent in Schadensbegrenzung und Prävention. Das Verhältnis muss sich umdrehen.

Sie arbeiten mit Indigenen zusammen und betonen oft, dass Waldbrandbekämpfung auch etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hat. Können Sie das erläutern?

British Columbia, wo ich arbeite, ist speziell. Bis auf wenige Landverträge haben die Indigenen nie ihr Land überschrieben oder im Krieg verloren. Gerichte haben klargestellt, dass öffentlicher Grund und Boden traditionelles Territorium der verschiedenen First Nations ist. Doch dieses Gut bewirtschaften wir gerade falsch. Die Indigenen haben an diesen Orten Tausende von Jahren gelebt. Durch unsere Aktionen setzen wir sie einem Risiko aus. Wir hinterlassen ihnen verarmte Landstriche, weil wir diese so heruntergewirtschaftet haben. Wir sind verantwortlich dafür, ihnen ein artenreiches Ökosystem zu überlassen, in dem sie eine Zukunft haben. Das machen wir gerade nicht.

Was würden Sie Europa raten?

Die vom Klimawandel angetriebene Waldbrandkrise kommt jetzt auch nach Europa. Also macht einen besseren Job als wir! Wir reagieren die ganze Zeit nur, wir managen nicht proaktiv. Meine Lektion für Europa ist: Lernt aus unseren Fehlern und kommt dem Desaster zuvor.

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