Klimaerwärmung und Hitzerekorde Es könnte weltweit das heisseste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen werden
Neuste Daten zeigen, dass die Temperaturen im Juni Rekordwerte erreichen werden – bevor das Wetterphänomen El Niño einen zusätzlichen Anstieg bringen wird.
Die globalen Temperaturen sind diesen Monat auf rekordverdächtige Werte gestiegen, wie die neusten Daten des Climate Change Institute zeigen. Die weltweiten Durchschnittstemperaturen, die bisher im Juni gemessen wurden, liegen fast ein Grad Celsius über den Werten, die für den Monat seit 1979 erhoben wurden. Da dieses Jahr das Wetterphänomen El Niño die Temperaturen um schätzungsweise weitere 0,1 bis 0,2 Grad zusätzlich steigen lassen wird, gehen Experten davon aus, dass das aktuelle Jahr das heisseste seit Beginn der Aufzeichnungen werden könnte.
Michael Mann, Klimawissenschaftler an der University of Pennsylvania, erklärte gegenüber dem «Guardian», dass die Kombination von El Niño und Klimaerwärmung in den nächsten Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu regelmässigen Hitzesommern mit Temperaturrekorden führen wird: «Die globale Oberflächentemperatur befindet sich derzeit auf oder in der Nähe von Rekordwerten, und 2023 wird mit ziemlicher Sicherheit das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen sein. Das wird wahrscheinlich auch in Zukunft für jedes El-Niño-Jahr gelten, solange wir den Planeten mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe und der Verschmutzung durch Kohlenstoff weiter erwärmen.»
El Niño zeichnet sich durch veränderte Strömungen im Meer und in der Atmosphäre und durch höhere Temperaturen an der Ozeanoberfläche des Pazifik aus. Vergangene Woche teilte die US-Wetterbehörde Noaa mit, dass jetzt definitiv von El-Niño-Bedingungen gesprochen werden könne. Diese würden sich bis Anfang nächsten Jahres allmählich verstärken. El Niño tritt etwa alle zwei bis sieben Jahre auf und kann nicht präzise vorausgesagt werden.
Dieses Jahr konnten bereits in verschiedenen Weltregionen Hitzerekorde für einzelne Tage verzeichnet werden: So wurden Anfang April in Indien, China, Laos, Bangladesh und Thailand Temperaturrekorde aufgestellt. In Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesh, stiegen die Temperaturen am 15. April auf über 40 Grad Celsius, was zu schmelzenden Strassenbelägen führte. Ende April kam es zu einer Hitzewelle über Nordafrika, in Teilen Marokkos und Algeriens wurden über 40 Grad erreicht. Die heisse Luftmasse bescherte nur wenig später auch Spanien frühzeitige hochsommerliche Temperaturen. Zuletzt führte glühende Hitze in Kanada zu gewaltigen Waldbränden, die den Himmel über New York verdunkelten.
Hitze und Trockenheit könnten zu lokaler Wasser- und Nahrungsknappheit führen
Neben höheren Temperaturen werden auch veränderte Wettermuster für verschiedene Weltregionen erwartet: Forscher gehen davon aus, dass es im Süden der USA feuchter und im Norden Südamerikas, im südlichen Afrika, in Südasien und im Süden Australiens heisser und trockener wird. In Europa kann El Niño zu kälteren, trockeneren Wintern im Norden und feuchteren Wintern im Süden führen.
Die Trockenheit und die Hitze könnten in den betroffenen Ländern zu Problemen mit der Landwirtschaft und der Wasserversorgung führen, wie die Weltorganisation für Meteorologie bereits Mitte Mai warnte: «Es besteht eine Wahrscheinlichkeit von 98 Prozent, dass mindestens eines der nächsten fünf Jahre das wärmste und der gesamte Fünfjahreszeitraum der wärmste seit den Aufzeichnungen sein wird.»
Es werde zudem erwartet, dass sich in den kommenden Monaten ein wärmerer El Niño entwickle, der in Verbindung mit dem Klimawandel die globalen Temperaturen in ungeahnte Höhen treiben lassen werde. «Dies wird weitreichende Auswirkungen auf die Gesundheit, die Ernährungssicherheit, die Wasserwirtschaft und die Umwelt haben. Wir müssen darauf vorbereitet sein.»
Ein Cern für den Klimawandel
Weil für konkrete Massnahmen gegen Extremwetterereignisse wie Hitze, Trockenheit oder intensive Niederschläge präzisere Langzeitprognosen für spezifische Länder nötig sind, sprechen sich Wissenschaftler wie Professor Tim Palmer, Klimaphysiker an der Universität Oxford, für ein «Cern für den Klimawandel» aus, wie er gegenüber der «Financial Times» erklärte. Ein riesiges, multinationales Supercomputing-Projekt, um Vorhersagen mit höherer Präzision zu erstellen und zu untersuchen, wie sich der El-Niño-Zyklus in einer sich erwärmenden Welt selbst verändern könnte.
«Für die vielen Länder, die direkt von El Niño betroffen sind, ist das die entscheidende Frage: Wie könnte sich der Klimawandel in Zukunft auf die Häufigkeit und Stärke von El-Niño-Ereignissen auswirken? Es ist eine phänomenal komplexe Frage, die nicht auf nationaler Ebene gelöst werden kann», wie Palmer betont.
Dank dieser präzisieren Modelle sollen die einzelnen Länder dann konkretere Massnahmen gegen Hochwasser, Trockenheit oder Hitze ergreifen und Probleme wie Wasserknappheit oder Nahrungsmangel frühzeitig angehen können.
Fehler gefunden?Jetzt melden.