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Meinung

Leitartikel zur Weltlage
Eine düstere Zeit – und doch besteht Hoffnung

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Als das stolze Troja in Flammen und Gemetzel versinkt, schart der Held Aeneas seine verbliebenen Getreuen zum letzten, verzweifelten Gefecht um sich. So berichtet es der römische Dichter Vergil in seinem Epos «Aeneis». Und er lässt Aeneas den Jünglingen einen Satz zurufen, der seither in keiner lateinischen Zitatesammlung fehlt: «Una salus victis nullam sperare salutem.» Zu Deutsch: Nur ein Heil bleibt den Besiegten – auf kein Heil mehr zu hoffen.

Es ist ein Satz, über den es sich an einem Tag wie heute nachzudenken lohnt. Ein Satz, der zur Botschaft des Weihnachtsfests in vordergründig grösstmöglichem Kontrast steht: eine Absage an die Hoffnung, ihre Disqualifikation als naiv und kontraproduktiv. Dabei ist «Hoffnung» vielleicht jene Chiffre, die Weihnachten – selbst für nicht religiöse Menschen – noch am ehesten mit Sinn erfüllen kann. Wahr ist aber auch, dass Hoffnung bei einem Blick auf die Weltlage des ausgehenden Jahres 2023 zunächst wenig begründet scheint.

Im Nahen Osten ist ein neuer, grausamer Konflikt entbrannt. Der nicht minder grausame Konflikt in der Ukraine ist weit von einer Lösung entfernt. Durfte man vor einem Jahr noch hoffen, dass die russischen Aggressoren irgendwann vor dem Wehrwillen der überfallenen Ukraine kapitulieren würden, ist jetzt das Gegenteil zu befürchten: dass die westlichen Verbündeten die Ukrainer zunehmend im Stich lassen und Russlands Diktator Wladimir Putin seinen Machtbereich bis an die Schwellen Mitteleuropas ausdehnen kann.

Auch der Kampf gegen die Klimaerwärmung stockt; die Konferenz in Dubai produzierte Absichtsbekundungen statt Massnahmen. Die in immer mehr Lebensbereiche hineinwirkende künstliche Intelligenz weckt Ängste vor wirtschaftlichem Abstieg und unkontrollierbaren Fake News. Die anhaltenden Migrationsströme nach Europa führen zu sozialen Spannungen und begünstigen den Aufstieg rechtsextremer Parteien. Die vielen spezifisch schweizerischen Probleme (Verhältnis zur EU, Altersvorsorge) wirken daneben wie eine Entspannungskur im Salzbad. 

Die grösste Gefahr überhaupt

Die vielleicht grösste Gefahr droht der Welt, wie wir sie kennen, von noch weiter westlich. In den USA drängt Donald Trump zurück an die Macht. In den meisten Umfragen zur Präsidentschaftswahl 2024 liegt Trump derzeit vor seinem Gegner Joe Biden. Dass ebenjener Trump die USA ins Chaos stürzte, dass er sich mit illegalen und gar gewaltsamen Mitteln an die Staatsspitze zu klammern versuchte, dass er bereits jetzt Schritte ankündigt, welche die Transformation Amerikas zu einer Autokratie einleiten sollen (etwa den Einsatz des Militärs gegen zivile Demonstrationen): Das alles vermag Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner nicht zu schrecken. Sie sind bereit, Trump ein weiteres Mal ihr Vertrauen zu schenken. Das Schadenspotenzial einer solchen Wahl kann man sich kaum drastisch genug ausmalen. Welche Demokratie auf der Welt würde standhalten, wenn die der USA fiele?

Man glaubt schon, den Rauch über Trojas Dächern zu riechen. Und doch ist Hoffnung  selbst an diesen düsteren Weihnachten 2023 nicht verkehrt – sofern man darunter mehr versteht als die bloss passive Zuversicht, dass es am Ende schon nicht so schlimm kommen werde. Aeneas selber, der entgegen seinem eigenen Diktum die Hoffnung nicht einfach aufgibt, ist dafür ein gutes Beispiel. Ihm gelingt die Flucht, und nach vielen Irrfahrten landet er in Italien, um dort zum Stammvater des römischen Volkes zu werden.

Bürgersinn – das Einzige, was hilft

Für uns kann Hoffnung nur bedeuten, dass wir uns auf die nahenden schwierigen Zeiten einstellen – und dass wir mit dem dagegenhalten, was man früher «Bürgersinn» nannte. Die Demokratie, diese kostbarste und zerbrechlichste aller Staatsformen, wird unserer Aufmerksamkeit und Pflege bedürfen wie nie zuvor. Tragen wir Sorge zu unserem Parlament, den Gerichten, den Volksrechten – allen Institutionen, die seit anderthalb Jahrhunderten die Regierungsmacht in unserem Land so wirkungsvoll in Schranken halten. 

Daneben gilt es, gegen Sehnsüchte nach dem Schneckenhaus anzukämpfen – gegen die schweizerische Neigung, sich vornehm von der Welt und ihren Problemen abzukapseln. Unser Land kann und muss mehr zur Bewältigung globaler Krisen beitragen als bisher, ob es nun um das Klima oder um die Ukraine geht. Zu den Lichtblicken für das kommende Jahr gehört, dass es nun gelingen könnte, unser Verhältnis mit der EU endlich nachhaltig zu regeln. Jede Entwicklung, welche die Schweiz ein Stück näher an die Gemeinschaft der bedrohten westlichen Demokratien führt, ist zu begrüssen. 

Wenige Lichtblicke, doch falls sie sich bewahrheiten: Vielleicht sieht es dann an Weihnachten 2024 schon weniger düster aus.