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Medienkonferenz zur Bührle-Sammlung
«Eine Nazi-Kunstsammlung hat er uns nicht hinterlassen»

Das Wichtigste in Kürze

  • Um die Kunstsammlung des Waffenhändlers Emil G. Bührle gibt es eine heftige Debatte. Nun haben die Bührle-Stiftung und die Kunstgesellschaft ihre bisherige Linie verteidigt.

  • Anders als das Berner Kunstmuseum, das mehrere Bilder aus der Gurlitt-Sammlung an Erben zurückgibt, will die Bührle-Stiftung den Begriff «NS-verfolgungsbedingter Entzug» nicht zum Massstab für die Rückgabe von Bildern machen.

  • Alle juristischen Ansprüche auf Rückgabe seien verjährt, argumentiert Alexander Jolles, Präsident der Bührle-Stiftung.

Bilanz der Medienkonferenz

Nach hundert Minuten wird die Medienkonferenz für beendet erklärt. Es entsteht ein etwas seltsamer Eindruck: Die Bührle-Stiftung, das Kunsthaus und die Kunstgesellschaft haben wortreich ihre bisherige Position zementiert. Sie lehnen jegliche Ansprüche auf Rückgabe ab – wie auch den neuen Begriff des «NS-verfolgungsbedingten Entzugs», den das Kunstmuseum Bern zum neuen Masstab erhoben hat.

Das Kunsthaus will eine unabhängige Expertenkommission für eine Evaluation der bisherigen Provenienzforschung der Bührle-Stiftung einsetzen.

Eine nationale Kommission zur Rückerstattung von Kunstwerken, die zur Zeit von Parlamentariern gefordert wird, wird vom Kunsthaus ausdrücklich begrüsst. Aber juristische Ansprüche auf Rückgabe von Bildern aus der Bührle-Sammlung seien verjährt, sagt Alexander Jolles.

Der Präsident der Bührle-Stiftung spricht von einem «court of public opinion», der von den Medien gebildet wird. Sie würden neuerdings über die Rückgabe von Bildern entscheiden, meint der Präsident der Bührle-Stiftung. «Eine Nazi-Kunstsammlung hat er uns nicht hinterlassen», sagte Lukas Gloor, Direktor der Bührle-Stiftung, der für die bisherige Provenienzforschung verantwortlich war.

Besonders überrascht hat an der Medienkonferenz Kunsthaus-Direktor Christoph Becker, der sonst keine Interview zum Bührle-Komplex gibt: Er schien bei kritischen Fragen geradezu die Contenance zu verlieren.

Nicht geklärt wurde auch, was alles Gegenstand des Leihvertrags zwischen der Familie und Stiftung Bührle sowie der Kunstgesellschaft ist: Erst im Januar 2022 sollen zumindest Eckpunkte daraus öffentlich gemacht werden. Um welche es sich dabei handelt – und ob es auch die interessanten oder relevanten sind –, bleibt damit offen.

Grossandrang: Blick in die Medienkonferenz im Kunsthaus

Alle Ansprüche verjährt?

Daniel Binswanger von der «Republik» streicht hervor, dass das Kunstmuseum mit dem Begriff «NS-verfolgungsbedingter Entzug» einen neuen Massstab gesetzt hat. Wird das Kunsthaus Zürich und die Bührle-Stiftung nun auch diesen Begriff verwenden, wenn es um die Rückgabe von Bildern geht?

Alexander Jolles, Präsident Stiftung Bührle-Sammlung, hält fest, dass alle Rechtsansprüche zur Bührle-Sammlung verjährt sind und deshalb nicht mehr vor Gericht kommen können. Da es in der Schweiz keine staatliche Verfolgung der Juden während des Zweiten Weltkriegs gab, sei die Situation eine andere. Von «NS-verfolgungsbedingtem Entzug» könne daher nicht gesprochen werden. In der Schweiz und anderswo hätten «Millionen weitergelebt» und «ordentlichen Handel» betrieben, sagt Jolles.

Wer bezahlt die Forschung?

Ein Journalist von Schweiz aktuell will wissen, wie die versammelten Vertreter des Kunsthauses, der Kunstgesellschaft und der Bührle-Stiftung auf die Forderung der Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch reagieren, eine unabhängige Evaluation der bisherigen Provenienzforschung durchzuführen.

Conrad Ulrich, Präsident der Kunstgesellschaft, erklärt, dass in den Verhandlungen über den neuen Subventionsvertrag zwischen Stadt Zürich und Kunstgesellschaft kein Betrag für Provenienzforschung vorgesehen sei. Ulrich verweist auf den Zürcher Gemeinderat, der 500'000 Franken für Forschung zur Provenienz im Budget eingebracht hat.

Kunsthaus-Direktor reagiert gereizt

Yves Demuth vom Beobachter will wissen, wie es sein kann, dass Kunsthaus-Direktor Christoph Becker am Dokumentationsraum mitgearbeitet hat, obwohl er – so Demuth – mit Dieter Bührle befreundet gewesen sei. Demuth will auch wissen, warum im Dokumentationsraum die Zwangsarbeit in Heimen im Toggenburg nicht erwähnt wird, von der Bührle profitierte – und zu der er selbst im Beobachter eine Serie publiziert hat.

Christoph Becker reagiert auf diese Fragen äusserst gereizt. Er will, dass sich Yves Demuth nochmals vorstellt (obwohl er dies schon gemacht hat). Zu einer möglichen Freundschaft mit Dieter Bührle will sich Becker nicht äussern. Die Darstellung im Dokumentationsraum beruhe auf dem Bericht des Historikers Matthieu Leimgruber, der nicht auf die Zwangsarbeit im Toggenburg eingeht. Eine Aktualisierung zur Zwangsarbeit im Toggenburg werde erwogen.

Folgt Zürich dem Berner Beispiel?

Nun ist die Fragerunde eröffnet: Historiker Thomas Buomberger fragt, ob das Kunsthaus Zürich dem Beispiel Bern folgen will? Das Kunstmuseum Bern will zwei Bilder aus der Gurlitt-Sammlung an die früheren Besitzerinnen und Besitzer zurückgeben, obwohl nicht bewiesen ist, dass die Werke als Raubkunst oder Fluchtgut gelten können. Das Kunstmuseum reagiert damit auf Verdacht.

Alexander Jolles, Präsident Stiftung Sammlung E.G. Bührle, argumentiert, dass uns Begriffe nicht weiterhelfen würden. Er weist auch auf den Umstand hin, dass Bilder nach der Rückgabe an mögliche Erben aus den Museen verschwinden und über den Auktionsmarkt in Privatsammlungen gelangen, also der Öffentlichkeit entzogen sein könnten.

Seltsame Medienkonferenz

Die Medienkonferenz wirkt etwas seltsam: Sie wiederholt nun seit fast einer Stunde, was die Bührle-Stiftung, die Kunstgesellschaft und das Kunsthaus schon immer sagten. So wird die Provenienz von Claude Monets «Mohnblumenfeld bei Vétheuil» als geklärt und für unproblematisch erklärt. Juan Carlos Emden, Enkel des früheren früheren Besitzers Max Emden, hat Ansprüche auf dieses Bild gestellt, die von Bührle-Stiftungsdirektor Lukas Gloor aber nicht weiter erörtert werden.

Direktor der Bührle-Stiftung rechtfertigt sich ebenfalls

Lukas Gloor, Direktor der Stiftung Sammlung Bührle

Lukas Gloor, Direktor der Stiftung Sammlung Bührle, setzt in seinem Vortrag – der eine halbe Stunde dauern soll – die Rechtfertigungsstrategie der Kunstgesellschaft und des Kunsthauses fort.

Gemäss Gloor sind von den insgesamt 203 Werken bei 113 Bildern die Herkunft «lückenlos geklärt», also «unproblematisch». Bei 90 Werken sei die Herkunft zwar «nicht lückenlos geklärt», aber es gebe «keinen Verdacht», dass Bührle die Bilder aufgrund von Notlagen (günstig) kaufen konnte. So Lukas Gloor, der für die Bührle-Stiftung die Herkunft der Bilder dokumentiert hat.

Lukas Gloor präsentiert seinen opulenten Bührle-Band

Vertrag frühestens im Januar öffentlich?

Nach Kunsthaus-Direktor Christoph Becker spricht nun Conrad Ulrich, Präsident ad interim der Kunstgesellschaft. Sie hätten die Forderung nach einer Offenlegung des Leihvertrags zwischen der Kunstgesellschaft und der Stiftung und Familie Bührle entgegenommen und verstanden, sagt Ulrich.

Die Kunstgesellschaft würde nun «sehr intensiv» an einer Lösung arbeiten, um im Januar Eckpunkte oder den ganzen Vertrag öffentlich zugänglich machen zu können.

Damit bleiben vorerst viele Fragen offen, was alles im Leihvertrag steht. Gemäss «Republik» ist im Vertrag festgehalten, dass die Stadt Zürich «gar nicht dazu berechtigt» ist, «die entscheidenden Fragen zur belasteten Sammlung», also die Herkunft der Bilder, zu erforschen.

Auf Anfrage der Tamedia und nach Rücksprache mit der Kunstgesellschaft hat die Stadt Zürich diese Information bestritten: «Der Vertrag verbietet Dritten die Provenienzforschung zu den Werken der Sammlung Bührle in keiner Weise.»

Kunstgesellschaft-Präsident ad interim Conrad Ulrich

Kunsthaus-Direktor verteidigt sich

Kunsthaus-Direktor Christoph Becker war in jüngster Zeit sehr schweigsam. Wenn Fragen aufkamen, wurden sie vom Sprecher des Museums beantwortet. Interviewfragen lehnte Becker ab. Nun nimmt der Kunsthaus-Direktor Stellung: Er hebt hervor, dass seit Eröffnung des Kunsthaus-Erweiterungsbaus im Oktober 100'000 Besucherinnen und Besucher im Museum waren – und sich dabei grösstenteils auch die Bührle-Sammlung angeschaut haben.

Becker rechtfertigt nun auch den umstrittenen Dokumentationsraum zur Bührle-Sammlung: Zahlreiche Expertinnen und Experten hätten an der Konzeption des Raums mitgearbeitet. Die Produktionskosten des Dokumentationsraums würden sich «auf einen hohen fünfstelligen Betrag» belaufen. Eine Umfrage und Beobachtung hätte keine Fehler entdeckt. Nur ein Komma und eine Wortdoppelung sei moniert worden.

Kunsthaus-Direktor Christoph Becker

Anders sah dies der Historiker Erich Keller, als wir mit ihm den Dokumentationsraum besuchten: «So geht das nicht», sagte Keller damals. Sehen Sie sich hier das Video unseres Besuchs mit Keller an:

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Prominente Kritiker anwesend

Bei der Pressekonferenz sind neben den Journalistinnen und Journalisten auch prominente Kritiker anwesend: Der Historiker Thomas Buomberger der zusammen mit dem Kunsthistoriker und früheren Kunsthaus-Kurator Guido Magnaguagno 2015 das Schwarzbuch-Bührle herausgegeben hat. Darin wurde die Herkunft von zahlreichen Bildern aus der Bührle-Sammlung als problematisch erklärt.

Auch der Historiker Erich Keller ist anwesend. Er hat mit seinem Buch «Das kontaminierte Museum» die Debatte neu lanciert. Aus Gründen des Standortmarketings habe sich die Stadt Zürich für die Sammlung des Waffenhändlers entschieden, da sie die Chance ergreifen wollte, neben Paris zur zweiten Hauptstadt des Impressionismus zu werden.

Dabei habe Zürich mehr als ein Auge zugedrückt – und in Kauf genommen, dass nun im neuen Kunsthaus-Erweiterungsbau auch Bilder gezeigt werden, deren Herkunft problematisch ist. Darunter Cézannes «Paysage», das nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Notlage verkauft worden sei, wie Keller in seinem Buch «Das kontaminierte Museum» schreibt. Lesen Sie hier unser Porträt von Erich Keller.

Der Historiker Erich Keller vor dem neuen Kunsthaus-Erweiterungsbau.

Willkommen!

Das Interesse für die heutige Medienkonferenz ist riesig: Die Liste der in Zürich anwesenden Journalistinnen und Journalisten umfasst zwei Seiten.

Das erstaunt wenig, hat die Überführung der privaten Kunstsammlung des Waffenhändlers Emil G. Bührle ins staatlich subventionierte Kunsthaus doch international grosse Wellen geworfen: Die New York Times schrieb von einem «Nazi-Vermächtnis», das im neuen Kunsthaus-Erweiterungsbau herumspuke.

Für die heutige Pressekonferenz wurde auch seitens der Bührle-Stitung gross angerichtet: Sie präsentiert den Journalistinnen und Journalisten die Dokumente, auf die sie sich bei ihrer Sicht der Dinge beruft.

Die Ausgangslage

Seit der Eröffnung des Kunsthaus-Erweiterungsbaus gibt es eine heftige Debatte um die Kunstsammlung des Waffenproduzenten Emil G. Bührle, der dank seinen Geschäften während des Zweiten Weltkriegs zum reichsten Schweizer wurde - und sich eine bedeutende Kunstsammlung aufbauen konnte.

Debattiert und gestritten wird um die Herkunft der Bilder: Hat Bührle von Notlagen profitiert beim Kauf der Bilder, die nun im neuen Kunsthaus-Erweiterungsbau gezeigt werden? Nein, sagt die Bührle-Stiftung: Sie hat die Herkunft der Bilder rekonstruiert und die Ergebnisse dieser Untersuchungen auf einer Webseite zugänglich gemacht.

Das genügt nicht, sagen Kritikerinnen und Kritiker. Unter den Bildern aus der Bührle-Sammlung gebe es mehrere, die Bührle nur dank der Notlagen kaufen konnte. Ausserdem müsse die Herkunft der Bilder unabhängig erforscht werden. Und der Vertrag zwischen dem Kunsthaus und den Bührles müsse offen gelegt werden.

Kunsthaus 
Vor welchen Bilder sammeln sich Menschentrauben? Was sind die vermeintlichen Highlights? Wie kommt der Neubau an, wieso gibt es Protest?

Sammlung Bührle

Nach mehreren Jahren, in denen sie die Provenienzforschung der Bührle-Stiftung verteidigt und einen staatlichen Auftrag zur Erforschung der Herkunft abgelehnt hatte, ist die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch in der ersten Novemberhälfte unter dem öffentlichen Druck umgeschwenkt: Zusammen mit Jacqueline Fehr fordert Mauch eine unabhängige Evaluation der bisherigen Provenienzforschung.

Damit setzen Mauch und Fehr die Bührle-Stiftung unter Druck. Nicht zuletzt, weil die Behauptung im Raum steht, die Stadt habe sich auf einen Deal mit der Bührle-Stiftung eingelassen: Im Vertrag zwischen der Kunstgesellschaft (als private Trägerin des Museums) und den Bührles habe es eine Geheimklausel gegeben. Darin sei festgehalten, dass ausschliesslich die Bührle-Stiftung dazu berechtigt ist, die Herkunft der Bilder zu erforschen.

Gemäss «SonntagsBlick» will die Bührle-Stiftung nun alle ihre Verträge offenlegen.