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Deutschlands «Corona-Minister»
Lauterbach macht einen Salto rückwärts

Musste ganz schnell die Rolle wechseln: Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach letzte Woche vor den Medien in Berlin.
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So unübersichtlich war die deutsche Corona-Politik noch nie. Die Infektionszahlen erreichen täglich neue Rekordwerte, täglich werden irgendwelche Regeln verschärft oder gelockert, von Bundesland zu Bundesland verschieden natürlich. Was gilt, weiss eigentlich niemand mehr. Peak Chaos, spotten Spassvögel.

Erstaunlicherweise geben bisher eher wenige Deutsche den obersten Seuchenbekämpfern dafür die Schuld, Kanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Die beiden Sozialdemokraten sagen, was viele Deutsche glauben: Die Omikron-Welle ist zwar gewaltig, aber sehr viel Schaden scheint sie bisher nicht anzurichten.

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Lauterbach selbst meinte kürzlich, die Lage sei derzeit «unter Kontrolle», wenigstens was die Folgen in den Spitälern angehe. Die Welle habe Deutschland später erreicht und bisher weniger hart getroffen als die Nachbarn – vor allem wegen der seit Anfang Dezember geltenden strengen Zertifikatspflichten. Da mögen die mitregierende FDP und CSU-Chef Markus Söder noch so sehr nach schnellen Lockerungen rufen: Man werde fürs Erste den vorsichtigen Kurs beibehalten, mindestens bis Mitte Februar.

Bevor Lauterbach «Corona-Minister» wurde, war er bei manchen als «Warnsirene» und «Panik-Karl» berüchtigt. Doch seit er Minister ist, bremst er. Schon kurz nach Amtsantritt schloss er einen Lockdown noch vor Weihnachten kategorisch aus, obwohl viele Wissenschaftlerinnen, deren Meinungen er früher gerne verbreitete, ihm dringend dazu rieten.

Lauterbach hat einen recht spektakulären Salto in eine neue Rolle hinter sich. Bevor er Minister wurde, wirkte der Parlamentarier, Professor und Epidemiologe als eine Art freier Berater, der im Fernsehen und auf Twitter verlässlich mehr Vorsicht und Tempo in der Virusbekämpfung anmahnte. Seit Dezember findet sich der Einzelkämpfer plötzlich als Teil der Regierung wieder, dessen Worte nun nicht mehr Einwürfe von der Seitenlinie darstellen, sondern quasi Gesetzeskraft haben.

Spitzentrio: Kanzler Olaf Scholz (Mitte, SPD) mit Vizekanzler Robert Habeck (links, Grüne) und Gesundheitsminister Lauterbach.

Die Verwandlung ging nicht ohne Patzer, Widersprüche und Fehler vor sich. Als eine seiner ersten Amtshandlungen erstellte der Minister ein Inventar der von seinem christdemokratischen Vorgänger Jens Spahn für das erste Quartal 2022 bestellten Impfdosen. Lauterbach schlug sogleich Alarm: «Deutschland hat zu wenig Impfstoff!»

Sofort setzte er alle Hebel in Bewegung, um in ganz Europa mehr Dosen zusammenzukaufen. Schon bei der Vorstellung des Inventars bezweifelten viele die vorgelegte Rechnung. Mittlerweile ist belegt, dass Lauterbach sich geirrt und nun fälschlicherweise ein Mehrfaches der Booster-Dosen eingekauft hat, die in Deutschland – rein theoretisch – überhaupt benötigt werden könnten.

Über Nacht kein gültiges Zertifikat mehr

Geradezu einen Aufschrei löste ein anderer Entscheid aus, der Lauterbach angelastet wird. Das ihm unterstellte Robert-Koch-Institut reduzierte kürzlich über Nacht und ohne vorherige Ankündigung die Gültigkeit des Genesenen-Status von sechs auf drei Monate. Millionen von Menschen fanden sich plötzlich ohne Zertifikat wieder.

Deutschland geht damit einen Sonderweg, der in der Wissenschaft durchaus kontrovers beurteilt wird. Andere Länder haben aus der Entwicklung jedenfalls andere Schlüsse gezogen: In der Schweiz beispielsweise gilt das Genesenen-Zertifikat neun Monate, die EU hat sich wenige Tage nach der Verkürzung in Deutschland auf sechs Monate geeinigt.

Lauterbach verteidigte den Entscheid in der Sache, zeigte sich aber zerknirscht darüber, dass er von der Änderung erst im Nachhinein erfahren hatte. Dabei hatte er den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesländer gerade noch hoch und heilig versprochen, sie gründlich vorab zu informieren. Ähnliches passierte bei der Debatte um die allgemeine Impfpflicht. Erst hiess es, Lauterbach werde im Bundestag einen eigenen Vorschlag einbringen, dann plötzlich, der Minister werde den Prozess neutral begleiten, ein eigener Vorstoss zieme sich nicht.

Die meisten Deutschen nehmen Lauterbach solche Irrläufe bisher nicht übel. Sie teilen vielmehr seine allgemeine Vorsicht.

Die meisten Deutschen nehmen Lauterbach solche Irrläufe bisher nicht übel. Sie teilen vielmehr seine allgemeine Vorsicht und vertrauen seiner Einschätzung. Omikron sei womöglich nicht die ersehnte Express-Fahrkarte in die endemische Lage, gibt der Minister zu bedenken. Das Virus sei unberechenbar, im Herbst könnten leicht neue Varianten auftauchen, die erneut gefährlich sein könnten – zumindest für Ungeimpfte.

Nicht als Minister, aber als Abgeordneter kämpft Lauterbach deswegen auch weiter so entschieden für eine allgemeine Impfpflicht. Omikron sei dazu keine Alternative, sagte er letzte Woche im Bundestag. Bis eine Impfpflicht wirke, dauere es fünf oder sechs Monate. Beschliesse man sie im März, helfe sie im Herbst – gerade rechtzeitig, um neue böse Überraschungen zu vermeiden. Statt den Entscheid auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben, wie unter anderen die FDP beabsichtigt, müsse man «jetzt handeln», rief er in den Bundestag. Da klang Lauterbach auf einmal wieder alarmiert wie früher, als er noch nicht Minister war.

In einer Umfrage des ZDF rangierte Karl Lauterbach Ende letzter Woche als zweitbeliebtester Politiker des Landes – gleichauf mit Kanzler Scholz. Aus einer Erhebung der «Bild»-Zeitung wenige Tage zuvor ging er sogar als Beliebtester hervor. Das erste Mal in seiner Karriere.