Dominante Ski-MannschaftSie müssen zusammen Znacht essen – das Geheimnis hinter dem Schweizer Abfahrtswunder
Am Lauberhorn glänzen die Speedfahrer einmal mehr. Das ist kein Zufall. Eine Spurensuche.

Es ist allmählich zum Verzweifeln für die Gegner der Schweizer Abfahrer. Da nehmen sie Wochenende für Wochenende Anlauf, um auch einmal zuoberst auf dem Treppchen zu stehen. Und scheitern Mal für Mal. Nicht einmal auf die zweithöchste Podeststufe reicht es ihnen.
Am Samstag sind die Tempobolzer am Lauberhorn ihr viertes Rennen der Saison gefahren. Marco Odermatt und Franjo von Allmen sorgten für den vierten Schweizer Doppelsieg in Serie. Das hat in der 58-jährigen Geschichte des Weltcups noch gar keine Nation geschafft. Die Dominanz ist erdrückend. Und hat ihre Gründe.

Die Strategie: Viel Geld – aber kein Gärtchendenken
Es ist die Frage, die sich viele stellen in Wengen: Was machen die Schweizer besser als alle anderen? «Sie fahren einfach am besten Ski», sagt der dreifache Lauberhorn-Sieger Beat Feuz. Derweil findet Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann, das gesamte System funktioniere perfekt. «Das ist nicht erst jetzt der Fall, aber erst jetzt begreifen es alle, weil die Resultate überragend sind.»
Lehmann erwähnt die Durchlässigkeit der Trainingsgruppen, die optimal sei. «Im Speedbereich haben wir die Topgruppe von Trainer Reto Nydegger, dann die zweite Weltcupgruppe von Vitus Lüönd und das Europacupteam von Franz Heinzer. Es ist eine Einheit, da gibt es kein Gärtchendenken mehr wie früher, als dem einen Trainer egal war, was im anderen Team passierte.»
Abfahrtschef Nydegger sagt, er könne Fahrer mit gutem Gewissen ins Europacupteam schicken – genau gleich funktioniere es umgekehrt. Zu harmonisch aber gehe es nicht zu und her. Lehmann sagt: «Die Athleten und Trainer sagen sich auch mal deutlich die Meinung. Aber es geht dabei immer um die Sache, es wird nie auf den Mann gezielt.»
Die finanziellen Ausgaben für die Alpinen hat Swiss-Ski in den letzten Jahren nochmals erhöht, im Weltcup fehlt nicht mehr viel zu einer 1:1-Betreuung für die Athleten. Auch ein Technologiezentrum wurde gegründet, zudem werden Nachwuchs-Speedcamps angeboten – in diesem Bereich hinken sämtliche Nationen hinterher. Der Talentpool ist grösser als anderswo, die nationalen Abfahrtsmeisterschaften 2024 sind da ein guter Indikator: In Österreich nahmen an den Titelkämpfen 39 Athleten teil, in der Schweiz waren es über 100.
Walter Reusser, CEO von Swiss-Ski, sagt: «Es ist unser strategisches Ziel, 30 Prozent mehr Athleten und Athletinnen zu haben über alle Disziplinen. Wir wollen, dass unser Nachwuchs schon auf unteren Stufen gute Wettkämpfe hat und jeder und jede weiss, dass er oder sie Leistung bringen muss.» Diesbezüglich sei man auf gutem Weg. Swiss-Ski habe in den letzten Jahren auch den Vorteil optimal genutzt, dass sie in Saas-Fee und Zermatt über zwei Gletscher verfügten – auch wenn die Profis in Zermatt zuletzt wegen Unstimmigkeiten nicht trainieren durften.

Die Konkurrenz: Österreichs Abfahrtskrise
Die Schweizer sind stark wie kaum je. Aber die Konkurrenz schwächelt auch. Sogar Marco Odermatt sagt, er habe ganz andere Zeiten erlebt in der Abfahrt. Als er gegen Leute wie Beat Feuz, Matthias Mayer, Aleksander Kilde, Cyprien Sarrazin oder Johan Clarey fahren musste. Sie sind verletzt oder zurückgetreten, weitere Athleten haben aufgehört.
Er sage nicht, dass es derzeit einfacher sei, vorne hineinzufahren, sagt SRF-Experte Feuz, «aber es hat einen Generationenwechsel gegeben – und der kam für uns zum idealen Zeitpunkt. Vor vier, fünf Jahren wären die Schweizer noch nicht in der Lage gewesen, davon zu profitieren.»
Das Gerangel an der Spitze der Königsdisziplin war schon deutlich grösser als jetzt, mit Nils Allègre etwa gehört ein Franzose zur ersten Startgruppe der besten 10, der noch nie auf einem Abfahrtspodest gestanden ist. «Die Gegner sind teils dünn aufgestellt», sagt Speedtrainer Nydegger. «Wir haben seit Jahren dieselben Leute in den Führungspersonen. Es ist wichtig, dass nicht jeden Frühling Unsicherheit herrscht, ob jemand gehen muss oder nicht. Das war gerade in Österreich in den letzten Saisons ein grosses Thema.»
Nydegger erwähnt auch die Amerikaner als Beispiel, die alle zwei, drei Jahre viele Wechsel hätten. Um eine neue Philosophie zu implementieren, brauche es aber deutlich länger. «Vielleicht fehlt einigen diese Ruhe vom Verband, die wir haben.»
Die Österreicher, vermeintlich die grössten Gegner der Schweizer, kassieren in Wengen die nächste «Watschn», der Beste fährt auf Rang 17. Zu allem Übel zieht sich Vincent Kriechmayr bei seinem Sturz im Ziel-S auch noch eine schwere Innenbandzerrung im rechten Knie zu. Wann der zweifache Wengen-Sieger zurückkehrt, ist ungewiss. Kriechmayr ist der Einzige seines Teams, der zuletzt echte Podestchancen hatte.
Österreichs Speedtrainer Sepp Brunner, der einst bei Swiss-Ski engagiert war und Beat Feuz betreute, sagt: «In der Abfahrt bewegen wir uns auf sehr dünnem Eis, es ist ein Loch da. Die Schweizer arbeiten besser als wir, das muss man akzeptieren.» Er räumt Fehler ein, so seien in Österreich zuletzt etwa kaum noch Speedrennen auf den unteren Stufen ausgetragen worden, «und so gab es in den Regionalverbänden auch wenig Grund, um Abfahrt zu trainieren».
Schon 2017 nach dem Wechsel zurück in seine Heimat habe er davor gewarnt, dass die Schweizer mittelfristig für Probleme sorgen könnten, sagt Brunner. «Für diese Aussage wurde ich damals noch belächelt.» Der Stand heute sieht so aus: Die Schweizer Abfahrer haben diesen Winter 1089 Punkte gesammelt, die Österreicher 300.

Der Teamgeist: Der Auftritt als Familie
Nydegger hat jahrelang Aksel Svindal und Kjetil Jansrud betreut. Bei den Norwegern wird traditionellerweise eine Einheit gelebt wie in keinem anderen Team. Diese Philosophie ist auch Nydegger wichtig, der vor fast sechs Jahren zu den Schweizer Abfahrern stiess. «Mir ist etwa wichtig, dass wir zusammen Zmittag und Znacht essen – und dabei soll sich nicht alles ums Skifahren drehen», sagt der Berner Oberländer. «Davor herrschte nicht immer ein Miteinander bei Swiss-Ski. Viele schauten nur auf sich. Das wollte ich unbedingt ändern.»
Im Frühling stellt Nydegger zusammen mit seinem Team jeweils Regeln auf, die in der Vorbereitung und im Winter für jeden gelten. «Mir ist ja letztlich egal, wer gewinnt, Hauptsache, es ist ein Schweizer.»
Als er seine Philosophie etwa bezüglich der gemeinsamen Essenszeiten den gestandenen Athleten wie Feuz oder Carlo Janka beibringen wollte, sei das zu Beginn nicht ganz einfach gewesen, sagt Nydegger, bald aber hätten sie das adaptiert und den Jungen geholfen.
So gilt Feuz, der vor zwei Jahren in Wengen zurückgetreten ist, als derjenige, der Marco Odermatt das Abfahren so richtig beigebracht hat. Heute gibt Odermatt sein Wissen den jungen Kollegen wie von Allmen oder Alexis Monney, Sieger in Bormio, weiter. Der Nidwaldner ist ein entscheidendes Rädchen in der Maschinerie, weil er ein Teamplayer durch und durch ist. «Wir treten als Familie auf», sagt Nydegger, «jeder ist stolz, dass er dabei ist. Wir schaffen alles miteinander.»
CEO Reusser sagt: «Die Einheit wird schon nur bei der Besichtigung offensichtlich, wenn der eine mit dem anderen diskutiert. Das macht mich am meisten stolz. Keiner ist eifersüchtig, jeder kann sich auch für den anderen freuen.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.