Russische Angriffe auf HafenstädteLage im Schwarzen Meer spitzt sich zu
Ukrainische Häfen und Getreidespeicher sind schwer von Geschützen Moskaus getroffen worden. EU-Chefdiplomat Josep Borrell kritisiert dies als «barbarisch». Doch nun droht auch Kiew, gegen Frachtschiffe vorzugehen.

Die Hafenstädte im Südwesten der Ukraine sind in der Nacht zum Donnerstag erneut das Ziel russischer Angriffe geworden. Vor allem Mykolajiw und Odessa sollen schwer getroffen worden sein, in beiden Städten wurden laut Angaben der ukrainischen Behörden Wohnhäuser beschädigt und teilweise zerstört. Allein in Mykolajiw soll dabei mindestens ein Mensch getötet und 19 verletzt worden sein, darunter auch Kinder.
Laut dem ukrainischen Militär hatte die russische Armee jeweils 19 Drohnen und Marschflugkörper gestartet, von denen nur 13 Drohnen und 5 Marschflugkörper abgefangen werden konnten. Die ukrainische Flugabwehr ist zwar sehr effektiv, derzeit aber nicht gut genug ausgestattet, um alle Ballungsräume und potenziellen Ziele ausreichend zu schützen.
60’000 Tonnen Getreide vernichtet
So sollen auch die ukrainischen Schwarzmeerhäfen wieder getroffen worden sein. Bereits in der Nacht auf Mittwoch waren auch Getreidespeicher am Schwarzen Meer das Ziel russischer Angriffe gewesen. Im Hafen von Tschornomorsk südlich von Odessa sollen 60’000 Tonnen Getreide vernichtet worden sein. Es ist noch unklar, welche Schäden die neuen Angriffe verursacht haben. Der Aussenbeauftragte der EU, Josep Borrell, kritisierte die Angriffe scharf. Hafenanlagen und Getreidespeicher zu bombardieren, sei «barbarisch», sagte Borrell beim Treffen der Aussenministerinnen und -minister der EU in Brüssel.
Anfang der Woche hatte die russische Regierung das Abkommen auslaufen lassen, das trotz des Kriegs die Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine über das Schwarze Meer ermöglicht hatte.
Nach der russischen Aufkündigung des Getreideabkommens und der Drohung Moskaus, künftig alle Schiffe im Schwarzen Meer, die ukrainische Häfen ansteuern, als «potenzielle Transporter von Militärgütern» und damit als «Gegner» zu betrachten, warnten die Vereinigten Staaten nun vor Angriffen auf die zivile Schifffahrt in der Region. Es gebe Hinweise darauf, dass vor ukrainischen Häfen weitere Seeminen ausgelegt worden seien. Adam Hodges, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates im Weissen Haus, sagte: «Wir glauben, dass dies ein koordiniertes Vorgehen ist, um Angriffe auf zivile Schiffe im Schwarzen Meer zu rechtfertigen und der Ukraine die Schuld für diese Angriffe zu geben.»
Die EU hat sogenannte Solidaritätskorridore geschaffen. Über die Korridore kann Getreide per Schiene zu Häfen in der EU gebracht und von dort aus verschifft werden.
Das ukrainische Verteidigungsministerium reagierte am Donnerstag ebenfalls auf die Drohung aus Moskau und kündigte an, seinerseits alle Schiffe, die russische oder von Russland besetzte Schwarzmeerhäfen anlaufen, als potenziell mit Militärgütern beladen anzusehen. Man verfüge ausserdem über die Mittel, russische Aggressionen auf dem Meer abzuwehren. Auch wenn die ukrainische Seite damit vor allem die russische Ankündigung spiegelt, ist das als Drohung gegenüber allen Staaten zu verstehen, unter deren Flagge Schiffe im Schwarzen Meer unterwegs sind. Ein weiterer Export von Getreide über den Seeweg scheint bis auf weiteres ausgeschlossen.
Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock sagte in Brüssel, die EU solle angesichts der blockierten Route über das Schwarze Meer dabei helfen, dass mehr ukrainisches Getreide auf dem Landweg exportiert werden könne. Die EU hat sogenannte Solidaritätskorridore geschaffen. Sie führen durch Polen und das Baltikum an die Ostsee sowie über den Balkan ans Schwarze und ans Mittelmeer. Über die Korridore kann Getreide per Schiene zu Häfen in der EU gebracht und von dort aus verschifft werden.

Allerdings funktionieren diese Korridore nicht problemlos. Mehrere osteuropäische Länder haben sich in den vergangenen Monaten darüber beklagt, dass das ukrainische Getreide bei ihnen im Land bleibe und den heimischen Landwirten die Preise verderbe. Der Verkauf von ukrainischen Agrargütern auf dem EU-Binnenmarkt ist möglich, weil die Union dem angegriffenen Land aus Gründen der politischen Solidarität und der wirtschaftlichen Unterstützung temporär zollfreien Zugang zu ihrem Markt gewährt hat. Um die protestierenden Osteuropäer zu beruhigen, zahlte die EU Ländern wie Polen und Ungarn Hilfen in dreistelliger Millionenhöhe.
Die EU-Aussenminister berieten in Brüssel auch über einen Vorschlag von Borrell zur langfristigen Finanzierung der europäischen Militärhilfe für die Ukraine. Borrell will dazu einen EU-Sonderfonds mit 20 Milliarden Euro für vier Jahre ausstatten. Einen solchen Fonds, aus dem Staaten entschädigt werden, die Waffen an die Ukraine abgeben, gibt es bereits. Er wird aber jeweils von den EU-Ländern ad hoc mit einigen wenigen Milliarden aufgefüllt, wenn er leer ist. Die von Borrell vorgeschlagene Lösung stiess bei den EU-Aussenministern auf wenig Begeisterung.
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