Polen und Ungarn verbieten ImportWarum Weizen, Eier, Wein und Gemüse aus der Ukraine unerwünscht sind
Die Solidarität mit der kriegsgeplagten Ukraine erreicht in Osteuropa dann ihre Grenzen, wenn sie den Bürgern im eigenen Land Probleme macht. In diesem Fall: den Bauern.
Ukrainisches Getreide drückt in der EU die Preise, und Bauern in Polen oder Bulgarien bleiben auf ihren Erzeugnissen sitzen. So lässt sich in etwa zusammenfassen, was Landwirte und Regierungen der vier Visegrád-Länder Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei sowie in Rumänien und Bulgarien derzeit umtreibt. Schon mehrmals hatten sich die Regierungen hilfesuchend an die EU-Kommission gewendet. Nun haben Polen und Ungarn beschlossen, die Importe aus der Ukraine zu stoppen. Und zwar nicht nur Einfuhren von Weizen oder Gerste, sondern gleich von allen erdenklichen Landwirtschaftsprodukten, darunter Eier, Wein, Gemüse und Rindfleisch. Die Slowakei will nur noch Transite genehmigen.
Die Solidarität mit der kriegsgeplagten Ukraine erreicht also dann ihre Grenzen, wenn sie den Bürgern und Bürgerinnen im eigenen Land Probleme macht. In diesem Fall: den Bauern. Im Mai vergangenen Jahres hatte die EU sogenannte Solidarity-Lanes eingerichtet, um ukrainische Importe zu erleichtern, Zölle wurden gestrichen. Nachdem Russland zwischenzeitlich die ukrainischen Schwarzmeerhäfen blockiert hatte, konnten die Agrarprodukte so leichter auf dem Landweg exportiert werden – blieben dann aber vor allem in den östlichen EU-Staaten, was zu einem Verfall der Preise führte. Denn das ukrainische Getreide ist wesentlich günstiger.
Proteste in Polen
In Polen fahren nun schon seit mehreren Wochen Bauern mit ihren Traktoren in die Städte, um zu protestieren. Ein Landwirtschaftsminister trat bereits zurück, die regierende PiS gerät unter Druck. Auch beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski Anfang April in Warschau war das Getreide ein wichtiges Thema. Danach hiess es zunächst, die Ukraine wolle nun von sich aus die Ausfuhren nach Polen stoppen. Am Freitag hatte der slowakische Landwirtschaftsminister Samuel Vlčan dann nach einer Besprechung mit seinen Kollegen aus Polen, Ungarn, Tschechien, Rumänien und Bulgarien dafür geworben, dass die EU gemeinsam mit dem Welternährungsprogramm das Getreide aufkaufe.
Polen und Ungarn aber entschieden sich kurz darauf für den Einfuhrstopp. Die Slowakei schloss sich an, will aber Transite genehmigen. Schon zuvor hatten slowakische Behörden 1500 Tonnen ukrainisches Getreide beschlagnahmt – es seien Pestizidrückstände in unzulässiger Höhe festgestellt worden. Tschechien erhöhte daraufhin die Kontrollen. Bisher sei aber nichts Verdächtiges festgestellt worden, heisst es aus dem Landwirtschaftsministerium. Polnische Bauern wiederum erheben Vorwürfe gegen ihre Regierung, das ukrainische Getreide sei überhaupt nicht untersucht worden, es könne Schädlinge und Pilze enthalten.
Kritik und Hilfe aus Brüssel
Die EU-Kommission, gemäss den europäischen Verträgen allein zuständig für Handelspolitik, äussert sich noch vorsichtig. Man habe die Ankündigungen aus Polen und Ungarn im Blick, heisst es in einer Stellungnahme, und fordere zunächst weitere Informationen aus den Ländern an. «In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zu betonen, dass die Handelspolitik in die ausschliessliche Zuständigkeit der EU fällt und daher einseitige Massnahmen nicht akzeptabel sind», teilte die Kommission mit. «In solch schwierigen Zeiten ist es von entscheidender Bedeutung, alle Entscheidungen innerhalb der EU zu koordinieren und abzustimmen.» Polens staatliche Nachrichtenagentur PAP dagegen zitierte einen Regierungssprecher, wonach Polen in ständigem Kontakt mit der Kommission stehe. Das Embargo sei zulässig wegen einer Sicherheitsklausel.
Bereits im März war die EU-Kommission den Landwirten in Polen, Bulgarien und Rumänien mit 56,3 Millionen Euro zu Hilfe gekommen. Allein 29,5 Millionen Euro davon sollen an Polen ausgezahlt werden. Die polnische Regierung will auch selbst die Lage mit Geld beruhigen und Getreide sowie Düngemittel subventionieren. Dass das ukrainische Getreide nicht an die europäischen Häfen transportiert wurde, hat auch logistische Gründe, weder Zugstrecken noch Häfen sind auf solche Mengen eingestellt. In Polen wird nun über die Frage diskutiert, welche Unternehmen das günstige Getreide einkauften. In der Slowakei warnen sich Verbraucher gegenseitig vor billigem Mehl bei Discounterketten.
Das Getreideabkommen, mit dem die Blockade der ukrainischen Häfen im vergangenen Sommer gelöst wurde, läuft am 18. Mai aus. Russland hat bereits angedeutet, es nicht verlängern zu wollen. Der Druck auf die Agrarmärkte in der EU könnte dann rasch wieder steigen.
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