Krieg in der UkraineGebt das Getreide frei
Die Afrikanische Union fordert von Russland ein Ende seiner Lieferblockade. Putin verfolgt jedoch andere Ziele.
Einen Tag vor dem grossen Termin auf der politischen Weltbühne kam ein lauter Hilferuf aus einem der ärmsten Länder der Welt: Die Militärregierung des zentralafrikanischen Tschad rief den Ernährungsnotstand aus. Teile der Bevölkerung seien bereits in grosser Not und brauchten dringend humanitäre Hilfe, erklärte der Chef der Junta, Mahamat Idriss Déby: In den vergangenen Monaten habe sich die Versorgungslage «konstant verschlechtert». Das bewertet die UNO ähnlich: Ihren Schätzungen zufolge würden dieses Jahr in dem Land etwa 5,5 Millionen Menschen von Hilfe abhängig sein.
Wesentlich mitverantwortlich für die Krise in dem afrikanischen Land ist der Krieg in der Ukraine. Russland hat mehrere Häfen seines Nachbarlandes blockiert, seither kann von dort keine Getreide mehr exportiert werden. Auch Moskau selbst hält seine Exporte zurück und soll Berichten zufolge grosse Mengen Weizen aus den eroberten Gebieten in der Ukraine nach Russland verfrachten. Ein grosser Teil des Weizens von dort wird normalerweise nach Afrika ausgeführt.
Russland und die Ukraine sind Hauptlieferanten
Bis zum Beginn des Ukraine-Krieges bezog der Kontinent mehr als 40 Prozent seines Bedarfs aus den beiden Ländern. Die Verknappung und die extremen Preissteigerungen treffen auf eine ohnehin schon sehr angespannte Lage: In Afrika sind die Lebensmittelpreise in den vergangenen zwei Jahren bereits stark gestiegen, etwa weil es in dem Zeitraum viele Dürren gab – und auch, weil Kunstdünger immer teurer geworden ist, der wiederum zu grossen Teilen aus Russland kommt.
Jetzt droht dem Kontinent eine der schwersten Hungerkrisen der Geschichte. Man sei «der Situation völlig ausgeliefert», klagte Macky Sall, Präsident von Senegal und zugleich Vorsitzender der Afrikanischen Union, bevor er am Freitag den russischen Präsidenten Wladimir Putin traf.
Der Westen soll schuld sein
Sall plädierte beim Termin, der im Schwarzmeerort Sotschi stattfand, für einen Waffenstillstand, ein Ende des Krieges in der Ukraine und die Freigabe von Lebensmitteln. Der Kreml nutzte diese Forderungen, wie zu erwarten war, um Druck gegen den Westen aufzubauen. Weil russische Frachtschiffe mit Sanktionen belegt seien, könnten diese kein Getreide exportieren, erklärte der russische Aussenminister Sergei Lawrow.
Tatsächlich sind nicht die russischen Schiffe sanktioniert, sie dürfen nur nicht in europäische Häfen einlaufen. Lieferungen nach Afrika sind nicht ausgeschlossen. Aber darum ging es Moskau nicht. Putin hatte bereits vor Tagen, auch gegenüber dem Westen, die grundsätzliche Möglichkeit des Exports von Getreide in Aussicht gestellt, allerdings unter der Bedingung, dass die wegen des Krieges in der Ukraine verhängten Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden. Lebensmittel sind vom Westen nicht sanktioniert, aber der Kreml möchte, wie mit den Frachtschiffen, den Eindruck erwecken, es bestünde eine Verbindung zwischen den Massnahmen gegen den Krieg in der Ukraine und der drohenden Nahrungsmittelkrise.
Putin appelliert ans Misstrauen gegenüber alten Kolonialmächten
Der Termin mit Sall war auch deshalb vom Kreml anberaumt worden. Es ging dabei weniger um humanitäre Hilfe für Afrika, wichtiger war für Moskau das Werben um Verbündete gegen die Ukraine und den Westen. Putin betonte bei dem Treffen am Freitag noch einmal die wachsende Bedeutung Afrikas für Russland.
Dass das Treffen mit Sall in Sotschi stattfand, war sicher kein Zufall: Dort hatte Putin vor drei Jahren einen Gipfel mit 43 afrikanischen Staats- und Regierungschefs veranstaltet. Er appellierte dabei an das immer noch tiefsitzende Misstrauen gegenüber früheren Kolonialmächten wie Frankreich und Grossbritannien und bot sich, ähnlich, wie es China in Afrika schon mit Erfolg getan hat, als Partner auf Augenhöhe an: Man wolle sich nicht an einer «Neuaufteilung» der Reichtümer des Kontinents beteiligen, sagte Putin, sondern wolle in einen «Wettbewerb um die Zusammenarbeit eintreten».
Als Vermittler in der drohenden Nahrungsmittelkrise spielt derzeit noch die Türkei eine Rolle. Lawrow besucht Ankara kommende Woche, und auch bei diesem Termin wird es um die Getreideexporte gehen. Türkische Spezialisten sollen ausserdem dabei helfen, die verminten Schwarzmeerhäfen wieder zugänglich zu machen.
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