Kommentar zum Ukraine-KriegPutins perfides Spiel
Der Westen wird kriegsmüde, der russische Diktator wittert darin seine Chance – und stellt neue Forderungen. Warum jetzt der falsche Moment für Verhandlungen ist.
Wladimir Putin ist seinen Widersachern immer einen Schritt voraus. Die Fantasie des Kremlpotentaten bewegt sich näher am Unvorstellbaren, der Eskalationswille ist stets höher, die Leidensbereitschaft und die Fähigkeit zur Zumutung erscheinen grenzenlos. Warum also sollte Putin jetzt Verhandlungen zustimmen, wie es ihm der französische Präsident und der deutsche Kanzler nahegelegt haben?
Russland hat die Misserfolge aus den ersten Wochen der Invasion hinter sich gelassen. Mit einer Zeitlupen-Strategie der Zerstörung beisst sich die russische Armee im Donbass fest, hinterlässt ausgebrannte Häuserhüllen und blutgefüllte Granattrichter. Die Oblaste Luhansk und Donezk sind weitgehend besetzt, die Landbrücke zur Krim ist gesichert, Odessa und damit die komplette Schwarzmeerküste liegen im Zielvisier. Warum also aufhören?
Putin ist ein Meister des richtigen Zeitpunkts, Olaf Scholz und Emmanuel Macron sind es offenbar nicht. Wie sicher sich Putin seiner Sache wähnt, zeigt sein perfides Verhandlungsangebot: Über einen Export ukrainischen Weizens könne gesprochen werden, sofern der Westen im Gegenzug Sanktionen für den Export russischen Getreides aufhebe. Putin spielt mit der Sorge um eine humanitäre Nahrungsmittelkatastrophe. Er weiss, dass die Hungernden aus Nahost und aus Afrika zuerst Westeuropa ansteuern werden.
Dieser Westen ist verwirrt, er ist uneins, er wird langsam kriegsmüde.
Was der russische Diktator ebenfalls nach oberflächlicher Lektüre westlicher Medien weiss: Dieser Westen ist verwirrt, er ist uneins, er wird langsam kriegsmüde. Die Kakofonie bei der Diskussion über ein anzustrebendes Kriegsziel zeugt von enormer Uneinigkeit, die Bereitschaft zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte lässt nach, die Folgen des Krieges sind vor allem in Europa immer mehr zu spüren, und die Heizperiode hat noch nicht einmal begonnen. Ein einziger Regierungschef, Viktor Orban aus Ungarn, zerkrümelt die Entschlossenheit der EU mit seinem Widerstand gegen ein Ölembargo.
Entschlossenheit ist aber das Schlüsselwort im Umgang mit Putin. Wenn dieser Mann stets in der Lage ist, einen Schritt weiter zu laufen, eine Brutalität mehr zu begehen, eine zusätzliche Erpressung zu wagen – dann wird man diesen Willenskrieg gegen ihn nicht gewinnen können. Dann wird Putin seinem Kriegsziel immer näher kommen: der Rückkehr zu einer europäischen Staatenordnung von vor der Zeit der Nato-Erweiterung mit Puffernationen, einer gespaltenen EU und den USA, die sich jenseits des Atlantiks um ihre eigenen Probleme kümmern.
Dieser Krieg wird nicht im Donbass enden, sondern sich entlangfressen bis nach Moldau hinein.
Es ist erstaunlich, dass es dem Westen und vor allem seinen europäischen Führungsnationen Frankreich und Deutschland nach wie vor nicht gelingt, Putins Russland als existenzielle Bedrohung für die eigene Stabilität zu verstehen. In diesem Krieg wurden vor Jahren schon Desinformation, Unterwanderung und Terror eingesetzt, inzwischen heissen die Waffen Öl, Gas und Weizen. Dieser Krieg wird auch nicht im Donbass enden, sondern sich an die Küste des Schwarzen Meeres entlangfressen bis nach Moldau hinein.
Deshalb ist es bemerkenswert, wie schnell eine prinzipielle Gefahr relativiert werden kann, wenn die Entschlossenheit erst einmal schwindet. Für den Westen entscheidet sich der Willenskampf mit Putin jetzt.
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