Analyse zur GeldpolitikLagarde hat Jordan einen Gefallen getan
Die Zentralbanken haben zu lange Gas gegeben. Jetzt müssen sie gegen die steigende Inflation vorgehen – ausgerechnet während des Ukraine-Kriegs.
Am Montag war der Euro kurzzeitig nur noch einen Franken wert, im Laufe der Woche kratzte der Euro-Franken-Kurs ständig an dieser Schwelle. Aber nur bis Donnerstagmittag. Sobald die Europäische Zentralbank (EZB) ihren geldpolitischen Entscheid veröffentlicht hatte, entfernte sich der Kurs schlagartig von der Parität, der Euro wurde stärker, der Franken schwächer.
Thomas Jordan, Präsident der Schweizerischen Nationalbank, konnte für den Moment aufatmen. Endlich reagiert die EZB auf die steigende Inflationsgefahr. Sie will die Anleihenkäufe früher als erwartet zurückfahren. Präsidentin Christine Lagarde geht nun nicht mehr davon aus, dass die Leitzinsen nochmals gesenkt werden könnten. Im Gegenteil: Sie hält die Option offen, die Zinsen noch in diesem Jahr zu erhöhen. Die US-Notenbank Fed wird wahrscheinlich nächste Woche konkrete Angaben zu Zinserhöhungen machen.
Mit dieser Aussicht verringert sich der Druck auf die Nationalbank. Sie befindet sich in «Geiselhaft» der EZB: Solange diese mit ihren Anleihekäufen die Zinsen nach unten drückt, fliesst Kapital in den Franken, und die Nationalbank sieht sich gezwungen, mit Devisenkäufen und Negativzinsen dagegenzuhalten. Macht Lagarde den ersten Zinsschritt, kann Jordan folgen und endlich die Negativzinsen von 0,75 Prozent reduzieren oder gar aufheben.
Fed und EZB müssen jetzt versuchen, den Geist wieder in die Flasche zu bringen.
Doch die Risiken sind beträchtlich. Die Zentralbanken haben die Inflation zu lange unterschätzt. Diese erreichte in den USA im Februar 7,9 Prozent, den höchsten Stand seit 40 Jahren. Im Euroraum ist die Teuerung auf 5,8 Prozent gestiegen, so hoch wie noch nie seit Bestehen des Euro. Und das war vor dem russischen Angriff auf die Ukraine – da kommt also noch mehr.
In den letzten 30 Jahren haben wir noch nie einen so starken und schnellen Anstieg der Rohstoffpreise beobachtet. Auch die Preise für Dünge- und Nahrungsmittel schiessen hoch. Die Ökonomen der Bantleon Bank in Zürich halten eine Inflationsrate von bis zu 7 Prozent im Jahresverlauf im Euroraum für wahrscheinlich.
Fed und EZB haben zu lange Gas gegeben, ihre Bilanzen aufgebläht und die Märkte mit Liquidität geflutet. Jetzt müssen sie versuchen, den Geist wieder in die Flasche zu bringen. Und dies ausgerechnet während der Krieg in der Ukraine für enorme Unsicherheit sorgt.
Die Ukraine-Krise wird die Preise langfristig hochtreiben. Dafür sorgt zum einen die weltweite Aufrüstungswelle, die der russische Präsident Wladimir Putin losgetreten hat. Zum anderen versucht der Westen die Energieabhängigkeit von Russland zu reduzieren – das wird teuer.
Die Unternehmen holen die Produktion verstärkt in die Nähe. Auch das kostet.
Wie die Pandemie wird der Ukraine-Krieg den Widerstand gegen höhere Staatsschulden aushebeln. Es wird viel staatliches Geld fliessen. Aber die Wirtschaft ist vielerorts ausgelastet, die Arbeitslosigkeit ist in den meisten westlichen Ländern auf einem Tiefpunkt. Logische Folge: Die Preise steigen.
Dazu kommt ein Trend zur Deglobalisierung. Nach den Schwierigkeiten mit den globalen Lieferketten wegen der Pandemie und nun erneut wegen der Sanktionen gegen Russland holen die Unternehmen die Produktion verstärkt in die Nähe. Auch das kostet.
Der Ukraine-Krieg dämpft das globale Wachstum und heizt die Inflation an. Das weckt Erinnerungen an die Stagflation nach der Ölkrise in den 1970er-Jahren. Regierungen und Zentralbanken befinden sich auf einer heiklen Gratwanderung.
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