Gespräch über kulturellen Einheitsbrei «Das Ignorieren von Algorithmen bringt einen nur bedingt weiter»
Der Technik-Journalist Kyle Chayka über die Gefahr der kulturellen Verflachung durch Algorithmen und darüber, was sich als Konsument dagegen tun lässt.

Herr Chayka, die künstliche Intelligenz wird die Macht der Algorithmen weiter stärken. Kommt das gut?
Algorithmische Feeds sind bereits eine Form der KI. Ich denke, dass eine erweiterte, leistungsfähigere künstliche Intelligenz die Wirkung der Algorithmen verschlimmern wird: Es wird noch mehr kulturelle Verflachung geben, mehr generische Inhalte, mehr Passivität.
Könnte man sagen, dass Algorithmen nicht nur die Kultur verflachen, sondern sie auch amerikanisieren?
Tatsächlich findet eine enorme algorithmische Globalisierung statt, und die Kultur, auf der sie aufbaut, ist die amerikanische Kultur des Silicon Valley. Auch wenn viele Techunternehmen international sind, werden sie immer noch von amerikanischen Entscheidungsträgern geprägt.
Es ist interessant, dass Sie die Figur des Kurators als Alternative zu den Algorithmen einführen – ein kultureller Vermittler und ein sehr altes Konzept. Das impliziert im Grunde, dass man Algorithmen nur umgehen kann, indem man sie ignoriert?
Ich wollte die Leser daran erinnern, dass es gar nicht so schwer ist, dem Algorithmus zu entkommen. Man kann eine menschliche Stimme hören, wann immer man will, z. B. einen unabhängigen Radio-DJ. Aber das Ignorieren von Algorithmen bringt einen nur bedingt weiter, denn die gesamte Kulturlandschaft ist auf die Anreize algorithmischer Feeds ausgerichtet, weil sie darüber bestimmen, wie viele Kulturschaffende ihre Arbeit zu Geld machen. Wirtschaftlich gesehen wird also jede Kultur von Algorithmen beeinflusst, unabhängig davon, ob Sie als Verbraucher sie nutzen oder nicht.
Andererseits bieten uns Algorithmen etwas Entscheidendes in der Massenwelt der Internetoptionen: Auswahl. Wir werden mit Millionen von Liedern, Filmen und auch Podcasts überflutet. Ist das nicht ein nützlicher Aspekt?
Es stimmt, wir haben heute so viele Möglichkeiten, dass wir in gewisser Weise die Qual der Wahl haben. In den 2000er- und 2010er-Jahren ist die Menge der Inhalte, insbesondere der Multimedia-Inhalte, im Internet explodiert. Wir bräuchten also eine algorithmische Filterung, die uns dabei hilft, uns zurechtzufinden. Aber ich denke, dass die Art und Weise, wie sich die digitalen Plattformen entwickelt haben, letztlich zu sehr auf algorithmische Empfehlungen setzt und nicht auf das beste Nutzererlebnis ausgerichtet ist. Sie sind für den Verkauf von Werbung optimiert.
Als Alternative zur Manipulation durch Algorithmen führen Sie kleine, engagierte, kuratierte Websites für wenige. Etwa bei Filmen, Büchern oder Musik. Wäre es nicht möglich, sorgfältig erstellte Wiedergabelisten in bestehende Systeme wie Spotify einzuführen?
Es wäre durchaus möglich, grosse Plattformen wie Spotify mit mehr menschlicher Auswahl und Kuratierung auszustatten. Apple Music hat zum Beispiel von Musikern ausgewählte Playlists und Radiosender. Einige Plattformen sind besser als andere, Spotify allerdings scheint wenig an solchen Erweiterungen interessiert.
Ein Beispiel, das Sie genannt haben, hat mich besonders überzeugt: der New Yorker DJ, der eine sehr persönliche Auswahl von Songs gespielt hat. Glauben Sie, dass diese Art von kuratierter Kultur eine Zukunft hat, oder wird sie von den Algorithmen verschlungen werden?
Ich glaube, wenn die Menschen von den Algorithmen genug haben, werden sie sich mehr und mehr Figuren wie dem New Yorker Radio-DJ zuwenden, der selber auswählt, was er spielen möchte.
Was Sie vorschlagen, ist ein Bezahlsystem, bei dem der Kunde einen finanziellen Beitrag im Gegenzug für gute Qualität und persönliche Auswahl leistet.
Ja, ich denke, wenn digitale Plattformen auf Abonnements oder direkten Zahlungen zwischen Urhebern und Verbrauchern beruhen würden, wären die Anreize für die Kultur viel besser. Wenn wir für die Google-Suche bezahlen müssten, hätte Google mehr Anreize, ein besseres Nutzererlebnis zu bieten, anstatt Suchresultate für Werbekunden zu optimieren.
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