Raubkunst und Fluchtgut«Zahnloser Papiertiger» – Kritik an Kommission für belastetes Kulturerbe
Die vom Bundesrat geschaffene Kommission soll nicht bindende Empfehlungen aussprechen können. Die Funktionen der Behörde seien vage, sagt ein Experte für Staats- und Verfassungsrecht. Es fehle die gesetzliche Basis.
Die «Unabhängige Kommission für historisch belastetes Kulturerbe in der Schweiz», die der Bundesrat am 1.1.2024 per Verordnung in Kraft gesetzt hat, ist gemäss der Analyse von Felix Uhlmann, Professor für Staats- und Verfassungsrecht an der Universität Zürich, ein zahnloser Papiertiger.
An einem Symposium über Kunstrecht am Rande der Art-Woche in Basel legte er seine detaillierte Kritik dar. Als Zuhörer konnte man sich nur wundern, wie man im Rechtsstaat Schweiz eine derart unscharfe, jeder gesetzlichen Grundlage entbehrende Verordnung, die überdies nie in einer Vernehmlassung war, durchwinken konnte.
Die «Unabhängige Kommission» soll in der Schweiz ähnlich wie die «Limbach-Kommission» in Deutschland Empfehlungen abgeben, ob Raubkunst und Fluchtgut von ihren heutigen Besitzern an die Erben ehemaliger Besitzer zurückgegeben werden sollen. Über den Aufgabenbereich der «Limbach-Kommission» hinausgehend gehört auch Kulturgut aus kolonialen Kontexten zum Aufgabenbereich der Schweizer Kommission, über deren Mitglieder man übrigens noch nichts weiss und die auch noch nicht operativ ist.
Die Empfehlungen der Unabhängigen Kommission basieren auf der Washingtoner Erklärung in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden (1998), und der Erklärung von Terezin (2009), wie die Verordnung feststellt. Rechtsgrundlagen, auf die sich künftige Empfehlungen für die Rückgabe von Kulturgut aus kolonialen Kontexten stützen könnten, fehlen aber vollständig. Es wird darum der Kommission überlassen sein, Grundlagentexte ausfindig zu machen, die bei Empfehlungen für Objekte aus kolonialen Kontexten herbeigezogen werden können.
Seltsame Doppelrolle
Die Verfasser der Verordnung zur Unabhängigen Kommission wollten, dass sie einseitig angerufen werden kann, also zum Beispiel nur von den Erben früherer Besitzer eines Kunstwerks, die auf Rückgabe eines NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes klagen. Dem Ständerat war dieser Passus aber am 4. Juni 2024, bei der Debatte über eine Anpassung des Bundesgesetzes über den internationalen Kulturgütertransfer, zu extrem. Er entschied, dass beide Seiten, also sowohl die Erbberechtigten der früheren Besitzer als auch die Museen oder Privatsammler, die ein Bild momentan besitzen, eine Empfehlung über die Rückgabe beantragen müssen.
Der Kommission wird auch eine seltsame Doppelrolle übertragen. Sie soll einerseits den Bundesrat in allgemeinen Restitutionsfragen beraten, andererseits in Einzelfällen quasi Gericht spielen und Empfehlungen an Besitzer von strittigen Kunstwerken abgeben. Diese Empfehlungen sollen nun nach dem Willen des Ständerats so unverbindlich wie möglich sein. Eingedenk der Tatsache, dass man sich bei Restitutionsfragen immer im Bereich von soft law – nicht verbindliche Übereinkünfte oder Leitlinien – bewegt und auf den Goodwill aller Beteiligten angewiesen ist, schwächte er die Formulierung, wonach Empfehlungen abgegeben werden können, dahingehend ab, dass nun ausdrücklich «nicht bindende Empfehlungen» gemacht werden sollen. Wie wenn es darum ginge, dem Papiertiger auch noch die letzten Zähne zu ziehen.
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