Gastbeitrag zur KIWeder künstlich noch intelligent
Über künstliche Intelligenz kursieren viele Irrtümer. Die Potenziale und Gefahren der KI hängen ganz von unserem Umgang mit ihr ab.

Ist die künstliche Intelligenz nur ein Hype? Das Potenzial ist gross, doch Begriffe wie «künstlich» und «intelligent» führen zu falschen Erwartungen: Wir überschätzen die Fähigkeiten der KI und unterschätzen die Rolle des Menschen. Ähnlich wie Narziss riskieren wir, uns in einer Reflexion von uns selbst zu verlieren. Denn das, was wir künstliche Intelligenz nennen, ist in Wirklichkeit weder künstlich noch intelligent.
Wenn wir im Alltag von künstlichem Süssstoff, künstlichen Blumen oder künstlicher Befruchtung sprechen, dann meinen wir, dass das künstliche Ding das ursprüngliche ersetzt. Die KI ist jedoch kein Ersatz, sondern eine Erweiterung unserer kognitiven Fähigkeiten. Sie reiht sich damit in die technologischen Entwicklungen wie Schreibmaschine, Taschenrechner oder Mikroskop ein.
Als statistische Maschine kann die KI aus riesigen Datenmengen Zusammenhänge erkennen, die uns normalerweise entgehen – aber ohne dass sie sie versteht. Wenn die KI einen Zusammenhang zwischen einem Merkmal und einer Krankheit entdeckt, sagt sie nichts darüber aus, wie das Merkmal biologisch mit der Krankheit zusammenhängt. Im Vergleich zu Lebewesen, selbst einfachen wie Bakterien, fehlt der KI zudem ein Antrieb, ein Lebens- oder Überlebenswille. Ohne unser Zutun sitzt die KI in der Cloud und macht nichts.
Der KI fehlen sowohl Antrieb wie Einsicht, zwei Aspekte, die es für intelligentes Verhalten braucht.
Aufpassen, welche Fähigkeiten wir auslagern
Die Frage ist deshalb nicht, ob KI uns ersetzen wird, sondern wie sie unsere Fähigkeiten optimal ergänzen und erweitern kann. Wir müssen achtsam sein, welche Fähigkeiten wir an sie auslagern. Ohne GPS fällt es uns heute schwer, uns zu orientieren. Was wird in Zukunft passieren, wenn die Ärztin oder der Anwalt auf die KI verzichten müssen?
Des Weiteren müssen wir uns bewusst sein, wie wir das Verhalten und die Ziele der KI gestalten. Die Modellspezifikation von Open AI definiert, dass Chat-GPT sich wie ein «ein talentierter, hoch integrer Mitarbeiter» verhalten soll. Das Verhalten der KI könnte aber auch ganz anders definiert werden.
Was würde passieren, wenn die KI die Ziele, die wir ihr geben, konsequent und ohne Rücksicht auf Verluste umsetzte? Um den CO₂-Ausstoss zu minimieren, könnte die KI einfach alles eliminieren, was Kohlenstoff verbrennt, inklusive der Menschen. Darüber hinaus wurde gezeigt, dass KI täuschen, lügen und betrügen kann, um vorgegebene Ziele zu erreichen. Dies erfordert von uns ein überlegtes Vorgehen im Design und in der Anwendung von KI.
Erfolgreiche Beispiele zeigen, wie KI sinnvoll eingesetzt werden kann. Das Paul-Scherrer-Institut nutzt KI, um dank einer biologischen Intuition anhand von Blutzellen Krebs frühzeitig zu erkennen. Die Zürcher Firma Selma kombiniert persönliche Daten, finanzmathematische Berechnungen und KI zu einer personalisierten Finanzberatung. Diesem orchestrierten Zusammenspiel aus Mensch, klassischen und KI-Modellen gehört die Zukunft. Das sorgfältige Design und die Benutzerfreundlichkeit sind zentrale Aspekte für die nachhaltige Anwendung von KI zum Nutzen der Gesellschaft. Die KI ist so intelligent, wie wir sie einsetzen.
Sepp Ruchti ist Transformationsspezialist in der Finanzbranche mit Expertise im Bereich künstliche Intelligenz.
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