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Künstliche Intelligenz gegen Trauer
Mit den Liebsten reden – obwohl sie tot sind

Kommunizieren über dem Tod hinaus: Künstliche Intelligenz lässt Verstorbene weiterleben.
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Als Marina Smith schon einige Tage tot war, wollte ihr Sohn noch etwas von ihr wissen. Bei der Trauerfeier fragte Stephen Smith laut und betont deutlich sprechend ins Mikrofon: «Was würdest du auf deiner Beerdigung sagen?»

Dutzende Trauergäste sahen erwartungsvoll auf den grossen Monitor, der in einer Ecke des Raumes stand. Marina Smith, die alte Frau auf dem Bildschirm mit dem runden, freundlichen Gesicht, begann plötzlich zu sprechen: «Bei meiner Beerdigung würde ich sagen, dass ich so froh bin, dass ich so viele gute Menschen getroffen habe, die mein Leben beeinflusst haben, und dass ich ein glückliches Familienleben hatte.»

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Dann sprach die 87-Jährige, die in einem altmodischen Ohrensessel in ihrem Wohnzimmer sass, weiter. Sie redete langsam und nachdenklich, manchmal war ihre Stimme etwas brüchig und schwer zu verstehen. Ein-, zweimal sah es so aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen. Aber sie verzog nur kurz das Gesicht und sprach weiter.

«Ich habe vielleicht nicht alles richtig gemacht, aber ich habe mit Gottes Hilfe mein Bestes getan. Und ich bin bereit, zu gehen und für immer bei ihm zu sein.» Dann schaute sie noch ein paar Sekunden unschlüssig in die Kamera. Schliesslich sagte sie einfach nur unsicher lächelnd: «Bye!»

Das ewige Leben in Form einer Videodatei gibt es ab 49 Dollar.

Doch wenn es nach ihrem Sohn geht, nicht für immer. Stephen Smith (56) ist CEO des US-Unternehmens Storyfile. Die Beerdigung seiner Mutter war so etwas wie ein Test unter realen Bedingungen für das Produkt, das er verkauft. Deshalb hat er seine Mutter vor ihrem Tod mehrmals befragt und gefilmt. Auch eine Aufnahme der Trauerfeier hat er ins Netz gestellt.

Seine Firma hat sich darauf spezialisiert, interaktive Videos zu produzieren, bei denen die Kundinnen und Kunden auf vorgegebene Fragen antworten. Mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) soll es dann möglich sein, ein Gespräch mit ihnen zu führen, selbst wenn sie schon tot sind – allerdings ein ziemlich einseitiges, denn man kann den Menschen in den Filmen nur Fragen stellen, sie selbst wollen nichts von einem wissen. Das ewige Leben in Form einer Videodatei gibt es ab 49 Dollar. Die Datei wird in der Cloud gespeichert, so ist man zumindest verbal dem Himmel schon ziemlich nah.

Holocaust-Überlebende als Inspiration

Auf der Website von Storyfile kann man als Demonstration mit dem Schauspieler William Shatner reden, berühmt geworden als Captain Kirk in «Star Trek». Auf die Idee für die interaktiven Aufnahmen ist Stephen Smith vor mehr als zehn Jahren gekommen, als er für die Shoah Foundation von Steven Spielberg Gespräche mit jüdischen Überlebenden des Holocaust führte.

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«Wir haben diese interaktiven Interviews in Museen wie dem United States Holocaust Memorial Museum gezeigt. Viele Besucher, die das gesehen haben, fanden es faszinierend und haben uns gefragt: ‹Kann ich das auch mit meiner Grossmutter machen? Oder mit dem Gründer meines Unternehmens?› Da haben wir uns gedacht: Vielleicht ist das etwas, was jeder für sich nutzen kann.»

«Niemand, der dabei war, fand das creepy.»

Stephen Smith

Dass man es auch gruselig finden kann, wenn ein Sohn mit seiner toten Mutter spricht, versteht Stephen Smith nicht: «Niemand, der dabei war, fand das creepy. Niemand, nicht eine Person, hat zu mir gesagt: ‹Wieso hast du das nur getan, das war furchtbar.› Alle haben gesagt, dass es so schön war, Marinas Gesicht und ihr Lächeln zu sehen.» Er legt Wert darauf, dass die KI von Storyfile nur dabei hilft, ein Gespräch zu simulieren, sie erfindet keine Antworten.

Storyfile ist nicht das einzige Technologieunternehmen, das Tote weiterleben lassen will, wenn auch nur virtuell. Mit der Smartphone-App von Hereafter AI aus Kalifornien kann man unter anderem sein ganzes Leben erfassen. Die Software stellt Hunderte Fragen, die die Nutzerinnen und Nutzer beantworten sollen, etwa wann sie das erste Mal jemanden geküsst haben.

Dazu können sie Fotos hochladen und mit Sprachnachrichten Geschichten erzählen. Später sollen die Angehörigen über die App dann ähnlich wie bei Storyfile eine Konversation mit den Toten führen können, hier aber ohne Videos. (Hier finden Sie weitere Apps zum Thema Lebensende.)

Sie sagen Dinge nach dem Tod zum ersten Mal

Technisch ist es allerdings längst kein Problem mehr, die Toten auch etwas sagen zu lassen, was sie vorher nie aufgenommen haben. In einer Dokumentation über Anthony Bourdain las der Starkoch eine E-Mail vor, obwohl er schon drei Jahre vorher gestorben war. Der Regisseur hatte seine Stimme mit künstlicher Intelligenz aus Sprachschnipseln rekonstruieren lassen. Einige Minuten Aufnahme reichen aus, um fast jede Stimme von einer KI täuschend echt nachahmen zu lassen.

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Wie man das für Familien nutzen könnte, zeigte Amazon mit seinem Sprachassistenten Alexa vor zwei Jahren an einer Entwicklerkonferenz. In der Präsentation liess sich ein kleiner Junge ein Kinderbuch von der Stimme seiner toten Grossmutter vorlesen.

«Wir leben zweifelsohne in der goldenen KI-Ära, in der unsere Träume und Science-Fiction Realität werden», schwärmte Rohit Prasad, Chefentwickler von Alexa, als er die Funktion vorstellte. Und er verschwendete offensichtlich keinen Gedanken daran, dass sein Traum für andere wie ein Albtraum klingen könnte. Ob diese Technologie tatsächlich auf den Markt kommen wird, möchte Amazon zurzeit nicht verraten.

Chatbot schickt dieselben Emojis wie der Verstorbene

Noch einen Schritt weiter geht «You, Only Virtual» (YOV). Kunden des amerikanischen Start-ups können das Programm mit Informationen über sich oder andere Personen füttern, etwa mit E-Mails, Whatsapp-Nachrichten oder Facebook-Einträgen. Die Software erstellt daraus einen Chatbot, also ein intelligentes Computerprogramm, mit dem man sich per Text unterhalten kann. Er soll sich genauso verhalten wie der Mensch, den er simuliert – bis hin zu den Formulierungen oder Emojis, die er verwendet.

Für YOV-Gründer Justin Harrison gehen Storyfile, Hereafter AI und ähnliche Programme bisher nicht weit genug in ihrem Bemühen. «Das blosse Wiedergeben von Erinnerungen hat nur wenig mit der eigentlichen Beziehung zu tun», sagte er dem Magazin «MIT Technology Review».

Harrison entwarf die Software, als er erfuhr, dass seine Mutter an unheilbarem Krebs litt. Jetzt kann er jederzeit mit Melodi reden, als wäre sie noch am Leben. Dabei imitiert die KI die Tote nur, aber Harrison freut sich, wenn ihn seine virtuelle Mutter daran erinnert, dass er besser auf sich achtgeben und mehr Wasser trinken soll.

«Trauer ist eines der unangenehmsten Gefühle, die man überhaupt empfinden kann.»

Hansjörg Znoj, Trauerforscher

Doch was macht es mit Menschen, wenn mit dem Tod die Beziehung zu den Toten nicht mehr endet? Wenn sie nie mehr Abschied nehmen müssen, weil ihre Mutter, ihr Sohn, die grosse Liebe ihres Lebens immer noch irgendwie da ist, selbst wenn der Körper längst beerdigt oder eingeäschert ist? Denn genau dafür wirbt YOV mit dem Claim «Never Have to Say Goodbye» – nie mehr Abschied nehmen müssen.

Für den Psychologen und Trauerforscher Hansjörg Znoj klingt dieses Versprechen eher wie eine Drohung. «Das ist wie Morphium für Trauernde», sagt Znoj, der jahrelang an der Universität Bern gelehrt hat. «Trauer ist eines der unangenehmsten Gefühle, die man überhaupt empfinden kann. Ich kann den Schmerz, den ich nach dem Tod eines Menschen spüre, mit solchen problematischen Mitteln vielleicht reduzieren. Aber das heisst ja nicht, dass das Problem gelöst ist.»

Schadet Software den Trauernden?

Trauern ist ein biologisch notwendiger Prozess, erklärt Znoj, bei dem sich das emotional kognitive System neu anpasst. Die Hinterbliebenen müssen sich an den neuen Zustand gewöhnen, vor allem daran, dass sie keine bestätigenden Signale mehr bekommen, die wichtig sind für menschliche Bindungen.

«Wenn man sich durch diese Programme der Illusion hingeben kann, dass noch ein lebendiger Kontakt besteht, dann könnte das die Trauer andauernder oder sogar chronisch machen.» Im schlimmsten Fall kann das zu einer Trauerstörung führen, mit schweren psychischen Leiden.

Ganz verdammen möchte Znoj die Programme aber nicht: «Im besten Fall können sie helfen, sich noch mal mit dem Verlust auseinanderzusetzen. Trauerverarbeitung ist etwas sehr Individuelles. Da gibt es keine Vorschriften: Das ist richtig, das ist falsch.»

«Ich glaube nicht, dass die Verwendung dieser Technologie etwas anderes als zutiefst menschlich ist.»

Stephen Smith, Chef von Storyfile

Stephen Smith von Storyfile verteidigt seine Geschäftsidee gegen solche Vorwürfe. Er sieht nicht die Gefahr, dass seine Software Trauernde verstören oder ihnen sogar schaden könnte: «Ich bin kein Psychologe. Ich weiss nur, dass Menschen, seit es menschliches Bewusstsein gibt, immer einen Weg gefunden haben, ihrer Vorfahren zu gedenken. Ich glaube nicht, dass die Verwendung dieser Technologie etwas anderes als zutiefst menschlich ist.»

Er wehrt sich auch gegen den Begriff «Grief-Tech», Trauertechnologie, unter dem Programme wie Storyfile, Hereafter AI und YOV oft zusammengefasst werden, obwohl sein Unternehmen einer der führenden Anbieter ist. «Ich nenne es lieber Memory-Tech. Eines Tages sterben wir alle. Und dann hinterlassen wir vielleicht ein Fotoalbum, ein Video von unserer Hochzeit, eine Autobiografie oder eine Storyfile-Aufnahme.»

Dabei macht es einen grossen Unterschied, ob Schüler mit einem Holocaust-Überlebenden reden, den sie nie persönlich kennen gelernt haben, oder eine Mutter mit ihrem toten Kind, das viel zu früh gestorben ist.

Mehr Möglichkeiten, um Tote auferstehen zu lassen

Im Gegensatz zu Chatbots wie YOV erzeugt die Storyfile-KI keine neuen Antworten, die Menschen in den Videos können nur sagen, was sie vorher eingesprochen haben. Aber auch Stephen Smith bekommt schon Anfragen, ob er das ändern kann. «Technisch ist das kein Problem.»

Für Trauernde, die sich jeden Tag mit ihrer toten Frau oder ihrem toten Mann unterhalten wollen, wird es bald noch mehr Möglichkeiten geben. Der KI-Marktführer Open AI hat erst vor wenigen Tagen eine Erweiterung von Chat-GPT vorgestellt, mit der sich Chatbots zu den verschiedensten Themen einfach erstellen lassen. Für Grief-Tech-Unternehmen wird es dann einfacher werden, die Toten auferstehen zu lassen. Und wer etwas von Technik versteht, kann dann mit etwas Mühe auch selbst ein virtuelles Abbild seiner grossen Liebe erschaffen.

Und wird nie mehr Abschied nehmen müssen. Oder können.