Überfüllte Schweizer GefängnisseHäftlinge im Ausland einsperren? – «Prüfenswert», sagt der Berner Polizeidirektor
Dänemark will verurteilte ausländische Straftäter in den Kosovo schicken. In der Schweiz stösst die Idee ebenfalls auf Interesse. Es gibt jedoch ein Problem.
Jetzt werden Container, Notbetten und zusätzliche Matratzen aufgestellt: In vielen Gefängnissen müssen die Betreiber kreativ werden, um die hohe Zahl an Insassen bewältigen zu können. Am extremsten ist die Situation in Bois-Mermet bei Lausanne, wo 165 Häftlinge untergebracht sind – obwohl eigentlich nur 100 Plätze vorhanden sind. Auch in St. Gallen, Champs-Dollon bei Genf oder Solothurn gibt es Überbelegungen, wie das Monitoring Justizvollzug zeigt.
Gemäss der Statistik des Bundes waren Anfang Januar knapp 6900 Personen inhaftiert. Die Schweizer Gefängnisse waren damit zu 95 Prozent ausgelastet. So hoch war die Belegung letztmals vor zehn Jahren. «Die Situation hat sich innerhalb eines Jahres enorm verändert», sagt Olivier Aebischer vom bernischen Amt für Justizvollzug. Derzeit sind die Haftanstalten im Kanton Bern zu 103 Prozent ausgelastet. Vor einigen Monaten lag man noch bei rund 90 Prozent. «Die Überbelegung ist weder haltbar noch über längere Zeit bewältigbar.» Sowohl für die Mitarbeitenden als auch für die Inhaftierten sei es eine Belastung.
Dänemark mietet Zellen im Kosovo
Mit der Zunahme der Insassen sind auch die Kosten im Schweizer Strafvollzug gestiegen. Lagen diese 2010 noch unter 1 Milliarde, waren es 2022 bereits 1,6 Milliarden Franken. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor.
Dänemark kämpft ebenfalls mit steigenden Häftlingszahlen, gleichzeitig mangelt es dem Land an Gefängnispersonal. Nun will die Regierung 300 verurteilte Straftäter im Kosovo unterbringen. Neulich hat das kosovarische Parlament dem Vorhaben zugestimmt. Für die Miete der Gefängnisplätze für zehn Jahre wollen die Dänen umgerechnet rund 200 Millionen Franken bezahlen.
Der Plan stösst in der Schweiz auf Interesse. «Häftlinge ins Ausland zu verlegen, ist eine prüfenswerte Idee», sagt der Berner Polizeidirektor Philippe Müller (FDP). Es gebe derzeit zwar keine konkreten Pläne. «Wir dürfen uns solchen Massnahmen gegenüber aber nicht verschliessen.» Denn man wisse nicht, wie die Entwicklung weitergehe.
Mehr Kriminalität, mehr Häftlinge
Grund für die überfüllten Gefängnisse ist in erster Linie die Kriminalität, die zugenommen hat. 2023 stieg die Zahl der Straftaten schweizweit um 14 Prozent auf über eine halbe Million Fälle. Es gab auch mehr schwere Gewaltstraftaten, Tötungsdelikte, versuchte Tötungsdelikte oder schwere Körperverletzung. Dieses Jahr geht es im gleichen Stil weiter. Die Tendenz habe sich in den vergangenen Monaten «nicht verändert», schreibt das Zürcher Amt für Justizvollzug. Auch im Gefängnis Zürich-West gab es bis vor kurzem eine Überbelegung.
Die Idee, Häftlinge ins Ausland zu schicken, wurde in der Schweiz vor einigen Jahren bereits geprüft – und als untauglich taxiert. «Ein Strafvollzug in Drittstaaten ist nach geltendem Recht unzulässig», hiess es in einem Gutachten der Universität Luzern, das 2015 im Auftrag des Bundesamts für Justiz erstellt wurde. Der Vollzug im Ausland sei auch nicht mit den Grundrechten von Gefangenen vereinbar – nicht einmal bei mangelnden Vollzugskapazitäten in der Schweiz.
Grundrechte nicht in jedem Fall gleich tangiert
Allerdings wurde im Gutachten eine Hintertür offen gelassen. Bei in der Schweiz verurteilten Ausländern, gegen die ein rechtskräftiger Ausweisungsentscheid vorliege, seien die grundrechtlichen Bedenken «nicht in gleichem Masse angezeigt». Bei diesen Strafgefangenen falle das Ziel der Wiedereingliederung in die schweizerische Gesellschaft nach verbüsster Strafe weg. Geringer seien die Bedenken auch bei Kriminaltouristen. Die verurteilte Person müsste aber der Verlegung ins Ausland zustimmen. Und die Schweiz müsste mit dem Aufnahmeland einen Staatsvertrag abschliessen.
Die Dänen wollen denn auch nur Verurteilte aus Staaten ausserhalb der EU und der Efta in den Kosovo schicken, die nach verbüsster Strafe nicht in Dänemark bleiben dürfen. Diese Fälle sind auch in der Schweiz häufig. «In unseren Gefängnissen sind relativ viele Leute, die nach ihrer Haftstrafe das Land verlassen müssen. Bei ihnen würde es am meisten Sinn machen, sie ins Ausland zu verlegen», sagt der bernische Regierungsrat Müller. Insgesamt beläuft sich der Ausländeranteil in den Gefängnissen auf 73 Prozent.
«Wir haben ein massives Problem bei der Ausländerkriminalität», sagt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. Um diese zu senken, sei die neue Grenzschutz-Initiative der SVP das beste Mittel. «Wenn wir an der Grenze wieder systematische Kontrollen durchführen, werden Illegale und Kriminelle bereits bei der Einreise abgewiesen, und wir brauchen so weniger Platz in den Gefängnissen.» Sollten diese trotzdem überfüllt bleiben, sei die SVP aber auch bereit, andere Massnahmen zu prüfen.
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