Trotz vielen BefürworternKonservative wollen «Ehe für alle» erschweren
Viele Ständeräte sind gegen eine Öffnung der Ehe für Homosexuelle und die Samenspende für lesbische Paare. Sie drängen auf eine Volksabstimmung – dabei hilft ihnen ein umstrittenes Gutachten.
Am 11. Juni 2020 hatte der Nationalrat mit 132 zu 52 Stimmen nicht nur die Ehe für alle befürwortet, sondern auch den Zugang zur Samenspende für lesbische Paare. Ein unerwartet gutes Resultat nach relativ kurzer Debatte. Der Bundesrat hätte die Samenspende ausklammern und mit der Revision des Fortpflanzungs- und Abstammungsrechts später behandeln wollen. Die grosse Mehrheit des Rats wollte aber vorwärtsmachen.
Doch nun kommt die schwierigere Hürde. Wenn die Rechtskommission des Ständerats heute Donnerstag die Vorlage berät, ist nicht so klar, ob die Vorlage bei den Ständeräten überhaupt im Grundsatz Chancen hat. Selbst die Ehe-Öffnung, ohne Zugang zur Samenspende, ist bei einigen konservativen Vertretern von SVP, CVP und auch der FDP umstritten, und diese sind im Ständerat stärker vertreten.
Ein geheimes Gutachten
So hatte die Kommission an ihrer Sitzung im August beschlossen, die Verfassungsmässigkeit der «Ehe für alle»-Vorlage generell zu überprüfen, auch speziell mit Blick auf die Fortpflanzungsmedizin und die Adoption. Inzwischen hat die Kommission mehrere Interessenvertreter angehört, die Mitglieder sind mit rechtswissenschaftlichem Material von verschiedenen Seiten versorgt worden. Darunter ist auch ein Gutachten, das Gegner der «Ehe für alle» bei der Zürcher Rechtsanwältin Isabelle Häner in Auftrag gegeben haben. Das Gutachten bestätigt die Ansicht der Gegner, dass es für eine «Ehe für alle» zuerst eine Verfassungsänderung brauche.
Der «Blick» berichtete Anfang Woche über das «geheime Gutachten» – tatsächlich scheinen es nur die Mitglieder der ständerätlichen Rechtskommission erhalten zu haben, weder andere Parlamentarier noch die Öffentlichkeit dürfen wissen, was darin steht. Und die Kommissionsmitglieder unter Präsident Beat Rieder (CVP), Rechtsanwalt aus dem Kanton Wallis, sind zu eisernem Schweigen angehalten. Dieses Vorgehen ist ungewöhnlich. Normalerweise streuen Interessengruppen solche Gutachten so breit wie möglich.
Was sagt die Verfassung?
Die SVP-Nationalräte Pirmin Schwander und Yves Nidegger haben bei der Debatte im Juni auf eine Verfassungsänderung gedrängt. Bei dieser wichtigen Frage müsse das Volk mitreden, der Gesetzgeber könne die Ehe nicht einfach beliebig definieren. Wer sage denn, dass nicht auch Polygamie eingeführt werden soll, wie eine Minderheit sich das vielleicht wünsche?
Der Verfassungsgeber hat den Ehe-Begriff einst bewusst offen formuliert, wohl im Wissen um die wandelnden Wertvorstellungen. Es heisst lediglich: «Das Recht auf Ehe ist gewährleistet.» Eine weitere Einschränkung gibt es nicht, ausser dass die Beteiligten mündig sein müssen und die Ehe freiwillig eingehen.
Die Frage, ob auch der Zugang zur Samenspende für lesbische Paare verfassungskonform ist, ist ein wenig komplexer. Doch auch hier stimmt die Lehre mehrheitlich zu: Die Verfassung erlaubt Samenspende bei «Unfruchtbarkeit» – was je nach Auslegung auch zutrifft, wenn ein Paar aufgrund der Umstände keine Kinder bekommen kann. Zudem wird aus dem Kontext der Bestimmung klar, dass der Verfassungsgeber Missbrauch bei der künstlichen Befruchtung verhindern wollte. Es geht nicht daraus hervor, dass er den Anwendungsbereich auf heterosexuelle Paare beschränken wollte.
82 Prozent befürworten «Ehe für alle»
Und so werden die Diskussionen heute in der Ständeratskommission sowie in der Wintersession, wenn das Ständeratsplenum die Vorlage behandelt, von nicht ganz so eindeutigen Mehrheiten gekennzeichnet sein. Mit einfliessen wird wohl auch eine von Pink Cross in Auftrag gegebene und vor wenigen Tagen publizierte Umfrage, nach der die «Ehe für alle» von 82 Prozent befürwortet wurde, der Zugang zur Fortpflanzungsmedizin von rund 70 Prozent. Auch bei Sympathisanten der CVP und SVP war die Zustimmung hoch.
In der Regel folgt der Ständerat den Empfehlungen seiner vorberatenden Kommissionen. So war es lange Zeit Tradition. Auch vertiefen die Kommissionen eine Diskussion oft so lange, bis übereinstimmend ein Entscheid gefällt wird. Bei der «Ehe für alle» könnten beide Regeln gebrochen werden.
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