Angela Merkel drängtDeutschland debattiert über einen harten Lockdown
Führende Wissenschaftler fordern die deutsche Politik dazu auf, Geschäfte und Schulen noch einmal zu schliessen. Die bisherigen Massnahmen hätten zu wenig gebracht.
Deutschland hat zwar die einschränkenderen Schutzvorkehrungen und um die Hälfte tiefere Infektionsquoten als die Schweiz, dennoch ähneln sich die Debatten: Wissenschaftler und Politiker verlangen schärfere Massnahmen, um die Zahlen der Neuinfektionen und Todesfälle zu senken.
Die Experten der renommierten Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina richteten am Dienstag einen dramatischen Appell an die deutsche Politik. Sie fordern die Verantwortlichen dazu auf, ab nächstem Montag die Schulpflicht aufzuheben und die Kinder bis zum 10. Januar in verlängerte Weihnachtsferien zu schicken.
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Ab Weihnachten, so die Leopoldina, solle zudem das öffentliche Leben bis 10. Januar weitgehend ruhen. Alle Geschäfte, die nicht dem täglichen Bedarf dienen, müssten schliessen. 28 Wissenschaftler haben den Appell unterschrieben, unter ihnen der bekannte Berliner Virenforscher Christian Drosten und Lothar Wieler, der Präsident des renommierten Robert-Koch-Instituts.
Erst Ende November hatten Bundesregierung und Länder beschlossen, die geltenden Kontaktbeschränkungen – nicht mehr als fünf Personen dürfen zusammenkommen, aus nicht mehr als zwei Haushalten – wenigstens für Weihnachten aufzuheben. Davon hält die Leopoldina nichts, im Gegenteil. Vielmehr müsse man die Weihnachtszeit dazu nutzen, die Fallzahlen drastisch herunterzubringen. Sonst zähle man Ende Januar 50’000 neue Infektionen am Tag.
Sachsen geht mit hartem Lockdown voraus
Auch ökonomisch sei ein kürzerer, harter Lockdown einem längeren, weichen vorzuziehen. Die Leopoldina fordert von Bund und Ländern überdies ein klares, mehrstufiges und bundesweit einheitliches System von Regeln. Das besteht in der föderalen politischen Landschaft trotz vieler Bemühungen bis heute erst in Ansätzen.
Vor der Leopoldina hatten am Montag schon Bundeskanzlerin Angela Merkel, Kanzleramtsminister Helge Braun und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder härtere Massnahmen gefordert oder angekündigt. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, ebenfalls ein Christdemokrat, kündigte am Dienstag an, dass Sachsen ab nächstem Montag wieder alle Schulen, Kitas und Läden schliesse, mit Ausnahme der lebensnotwendigen Versorgung.
Merkel: An Krankenschwestern und Pfleger denken
Mit dem bisher Beschlossenen und dem Prinzip Hoffnung komme man nicht durch den Winter, sagte Merkel in einer Sitzung der CDU-Spitze. Gegenwärtig werde ihr zu viel über Glühweinstände gesprochen und zu wenig über die Krankenschwestern und Pflegekräfte, die die Krise am Ende durchstehen müssten. Braun verwies auf Belgien und Frankreich, die mit kurzen, harten Lockdowns die Zahlen weiter heruntergebracht hätten als Deutschland mit seinem wochenlangen «Lockdown light».
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In Deutschland wurde in den vergangenen sechs Wochen zwar das exponentielle Wachstum der Virusausbreitung gebrochen, seither stagnieren aber die Zahlen bei rund 20’000 Neuinfektionen am Tag (pro Kopf der Bevölkerung entsprächen das in der Schweiz 2000). Seit einigen Tagen beginnen die Kurven sogar wieder leicht zu steigen. Sachsen, Berlin und Bayern sind derzeit am stärksten betroffen.
Da das durchschnittliche Alter der Erkrankten steigt, sterben auch immer mehr Menschen an Covid-19: Derzeit sind es fast 500 jeden Tag, mehr denn jemals zuvor. Dies sei unerträglich, meinen nicht nur Merkel und Braun, sondern auch Söder.
Wer wird zuerst geimpft?
Von den wahrscheinlich Ende Jahr anlaufenden Impfungen versprechen sich die Behörden keine schnelle Besserung der Lage. Die zuständige Impfkommission hat gerade festgelegt, wer sich zuerst impfen lassen kann: Höchste Priorität haben alle Menschen, die älter als 80 Jahre alt sind, sowie alle Bewohner von Pflege- und Altersheimen und deren Personal. In Deutschland umfasst allein diese Gruppe 8,6 Millionen Menschen.
Danach folgen, jeweils gestaffelt nach Altersgruppen, die weiteren Pensionierten sowie besonders Gefährdete: Demenzpatientinnen, chronisch Kranke, Obdachlose, Bewohner von Asylheimen, Lehrerinnen, Erzieherinnen oder Saisonarbeiter. Erst danach auch Feuerwehrleute, Polizistinnen oder Politiker. Und erst danach alle anderen unter 60 Jahren – das sind dann immer noch 45 Millionen Menschen.
Im Unterschied zur Schweiz haben viele Bundesländer ihre Impfzentren nicht nur bereits bestimmt, sondern auch weitgehend eingerichtet. Fehlt nur noch der Impfstoff.
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