Kommentar zu Berg-Karabach100’000 Menschen werden vertrieben – die Schweiz reagiert beschämend
Die ethnische Säuberung in Karabach ist erst der Anfang. Aserbaidschans Diktator Alijew plant bereits den nächsten Krieg. Und die Schweiz hilft ihm dabei.
Man stelle sich eine Bevölkerung von der Grösse des Kantons Zugs oder der Stadt Bern vor. Man stelle sich also über 100’000 Menschen vor: Erwachsene, Schüler, Säuglinge, Grossmütter. Und dann stelle man sich vor, dass all diese Menschen innert weniger Tage aus ihren Häusern vertrieben werden. Sie fliehen alle, in Panik, weil fremde Soldaten einmarschiert sind und es bereits Berichte gibt über Massaker in den Zuger Dörfern oder in den Berner Quartieren.
Genau das passierte in den letzten Tagen vor den Toren Europas. In Karabach, einem gut 4000 Quadratkilometer grossen Berggebiet im Südkaukasus. Ein Gebiet, das seit Menschengedenken mehrheitlich von Armeniern bewohnt wird und das jetzt von der aserbaidschanischen Hightecharmee überrollt wurde. Innert weniger Tage ist fast die ganze Bevölkerung in die Republik Armenien geflohen. Eine ethnische Säuberung.
Und Karabach ist für Aserbaidschans Diktator Ilham Alijew erst der Anfang. Er hat klargemacht, dass er mehr will: einen Landkorridor in die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan und von dort weiter in die Türkei. Ein Korridor, der quer durch das Nachbarland, die demokratische Republik Armenien, führen würde.
Und wie reagiert die Welt auf all das?
Viele westliche Regierungen kritisieren Aserbaidschan zwar. Aber niemand tat etwas. Dabei war Aserbaidschans Angriff seit Monaten absehbar. Zuvor hatte Aserbaidschan die Karabach-Bevölkerung bereits mit einer neunmonatigen Blockade auszuhungern versucht.
Doch anstatt Alijew die Grenzen aufzuzeigen, tat der Westen das Gegenteil. Er umwarb ihn und beschenkte ihn mit lukrativen Businessverträgen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen höchstpersönlich warf sich im Juli 2022 vor Alijew rhetorisch in den Staub, um von ihm einen neuen Gasliefervertrag zu bekommen.
Aserbaidschan hat sich das Wegschauen der Welt erkauft – mit seinem Erdgas, seinem Erdöl und seiner geostrategischen Lage (Israel und die USA könnten dereinst ab aserbaidschanischen Flughäfen den Iran angreifen). Selten wurde so offensichtlich, dass die Weiterverwendung fossiler Treib- und Brennstoffe nicht nur schlecht für das Klima ist – sondern auch höchst unmoralisch.
«Selten wurde so offensichtlich, dass die Verwendung fossiler Treibstoffe nicht nur schlecht für das Klima ist – sondern auch höchst unmoralisch.»
Zur Ehrenrettung der EU muss man sagen, dass sie Aserbaidschans Vorgehen immerhin mit sehr deutlichen Worten verurteilt hat. Nicht so die Schweiz. Die Schweizer Botschafterin Pascale Baeriswyl zeigte sich im UNO-Sicherheitsrat lediglich «tief besorgt». 100’000 Menschen werden vertrieben, und die offizielle Schweiz ist «tief besorgt»? Noch verharmlosender geht es kaum.
Beim Bund wird die zurückhaltende Wortwahl damit begründet, dass man sich die Möglichkeit nicht verbauen wolle, als Vermittlerin aufzutreten. Man habe beiden Seiten die Guten Dienste angeboten. Lässt die Schweizer Diplomatie diesen schön klingenden Worten hinter den Kulissen auch wirklich handfeste Taten folgen? Man hofft es, weiss es aber nicht.
Was man hingegen weiss: Aserbaidschan finanziert seine Hightecharmee wesentlich mit den Milliarden, welche die staatliche aserbaidschanische Erdölgesellschaft Socar verdient – und zwar in der Schweiz. Rund drei Viertel ihres globalen Umsatzes macht Socar über eine Handelsgesellschaft in Genf. Allein im Jahr 2019 flossen so rund 36 Milliarden Franken aus der Schweiz nach Baku (lesen Sie hier mehr darüber). Auch die Migros ist involviert: Sie betreibt an mehreren Dutzend Socar-Tankstellen Migrolino-Shops und zahlt der aserbaidschanischen Staatsfirma dafür Geld.
Auch viele Schweizerinnen und Schweizer reagieren gleichgültig und alimentieren Bakus Kriegskasse mit – indem sie weiterhin bei Socar tanken und anschliessend im Migrolino-Shop ihr Gipfeli und ihren Kaffee kaufen.
Die Schweiz ist im Konflikt zwischen den Armeniern und Aserbaidschan nicht die neutrale, noble Vermittlerin, als die sie sich gern sieht. Durch unser Verhalten unterstützen wir als ganzes Land einen Aggressor.
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