Die Socar-ConnectionWie Milliardendeals in der Schweiz die Kriegskassen von Aserbeidschan füllen
«Glaub nicht Armenien!»: Socar betreibt krudeste Propaganda gegen Armenien. Der Ölkonzern hat einen Sitz in Genf und macht hier Milliarden.
Eigentlich ist Socar im Ölgeschäft tätig. Auf dem Weltmarkt verkauft der aserbeidschanische Konzern Rohöl und Erdgas – und in der Schweiz an 200 Socar-Tankstellen Benzin, Schokolade und Gipfeli.
Doch seit zwei Monaten entfaltet die Firma eine neue, brisantere Aktivität. Socar rührt die Kriegstrommel.
Seitdem zwischen Aserbeidschan und Armenien Krieg ausgebrochen ist, veröffentlicht Socar auf seiner Facebook-Seite fast nur noch Propaganda und Hass gegen das Nachbarland: «Stoppt den armenischen Faschismus! Glaubt nicht Armenien! Stoppt die armenische Aggression! Karabach ist aserbeidschanisch!»
Solche Kampfparolen garniert Socar mit Fotos und Videos von Soldaten und Panzern – sowie mit Kriegsreden des in Baku herrschenden Autokraten, Ilham Alijew. Selten hat sich eine kommerziell tätige Firma auf solche Weise zur Kriegspartei gemacht. Und selten pflegte eine solche Firma derart enge Beziehungen zur Schweiz.
Milliarden aus der Schweiz
Socar verbucht in der Schweiz mehr Einnahmen als in jedem anderen Land der Welt. Sogar mehr als in Aserbeidschan. Umgerechnet rund 48 Milliarden Franken hat der Konzern 2019 weltweit umgesetzt – rund 36 Milliarden oder 76 Prozent davon in der Schweiz. Diese Zahlen finden sich im Socar-Geschäftsbericht 2019.
Socar besitzt in der Schweiz zwei wichtige Tochtergesellschaften. Die Socar Energy Switzerland GmbH mit Sitz in Zürich hat 2012 die früheren Esso-Tankstellen übernommen. Zusammen mit der Migros-Tochter Migrolino betreibt Socar überdies 56 Tankstellenshops (mehr darüber lesen Sie hier).
Anders als die Tankstellen ist die Socar Trading SA in Genf nur wenigen bekannt. Doch finanziell ist diese zweite Tochterfirma viel bedeutender. Gegründet 2007, handelt die Firma weltweit mit Öl und Gas. Selbst bezeichnet sie sich als «weltweit grösste Lieferantin von aserbeidschanischem Rohöl». Mit bloss rund 100 Angestellten in Genf (weltweit sind es gut 200) erzielte die Firma 2019 einen Umsatz von rund 36 Milliarden Franken; 2018 waren es sogar 53 Milliarden. Das entspricht mehr als der Hälfte des Budgets der Eidgenossenschaft.
Beide Tochterfirmen befinden sich zu 100 Prozent im Besitz des Mutterkonzerns, der wiederum dem Staat Aserbeidschan gehört. Gewinne aus der Schweiz fliessen also direkt nach Baku. Socar Trading SA in Genf ist auch politisch mit dem Regime in Baku verbandelt. Ihr Verwaltungsratspräsident Rovnag Abdullayev ist gleichzeitig der Präsident des Mutterkonzerns – und Mitglied des Parlaments von Aserbeidschan.
Bundesrat soll intervenieren
Warum Socar sein Handelsgeschäft aus der Schweiz heraus betreibt, erklärt die Pressestelle von Socar Trading so: «Genf ist ein bedeutender Hub für Handel und Rohstofffinanzierung.» Tatsächlich gilt Genf als Welthauptstadt des Ölhandels.
Ständerat von Genf ist Carlo Sommaruga – und für ihn ist Socars Verhalten ein Problem für die Schweiz als Land. «Dass eine Firma mit derart engen Beziehungen zu unserem Land offen Kriegspropaganda betreibt, ist schockierend.» Der Bundesrat müsse der Firma klarmachen, dass die Schweiz ein solches Verhalten nicht akzeptiere. Aus Sommarugas Sicht haben die wirtschaftlichen Verflechtungen mit Baku auch politische Folgen. «So kann die Schweiz ihre Rolle als neutrale Vermittlerin nicht wahrnehmen», sagt der SP-Politiker. Der Fall Socar zeige, dass die Schweiz den Rohstoffhandel endlich regulieren müsse.
«Billig» findet solche Kritik hingegen der Genfer SVP-Nationalrat Yves Nidegger. Im Kaukasus-Konflikt sei «die verbale Gewalt auf beiden Seiten gross». Darum sei es «künstlich», von Socars politischen Äusserungen in Aserbeidschan einen Bezug zur Schweiz herzustellen. Es gebe keinen Grund, warum eine solche Firma in der Schweiz nicht mehr willkommen sein solle. Der Rohstoffhandel sei ökonomisch für Genf enorm wichtig, sagt Nidegger. «Doch die Linken wollen alles zerstören, was in der Schweiz funktioniert.»
Dank Ölmilliarden zum Sieg
Im Krieg waren die Milliarden, die Aserbeidschan mit Öl und Gas verdient, entscheidend. In den letzten Jahren hat Baku seine Armee stark aufgerüstet, und die technologische Überlegenheit verhalf ihm nun zum Sieg. Auf dem Schlachtfeld den Unterschied machten vor allem Kampfdrohnen aus israelischer und türkischer Produktion.
Finanziert hat Baku die modernen Waffensysteme mehr oder weniger direkt aus seinen Öleinnahmen. Diese sind enorm: Im laufenden Jahr stammen 57 Prozent des Staatsbudgets aus dem Ölgeschäft.
Rund 6 Prozentpunkte davon kommen direkt von Socar, das heisst: mehrheitlich von der Rue du Rhône in Genf, wo Socar Trading SA ihren Sitz hat. 47 Prozentpunkte von Bakus Staatsbudget kommen aus dem staatlichen Ölfonds Sofaz. Diese Zahlen nennt der aserbeidschanische Ökonom Gubad Ibadoghlu, der für einen regierungskritischen Thinktank in Baku forscht und an der Rutgers-Universität in den USA lehrt.
Über geschäftliche Verbindungen zwischen dem Ölfonds und der Socar Trading SA in Genf ist nichts bekannt. Die Frage stellt sich aber: Macht Socar Trading auch Geschäfte mit (beziehungsweise für) den Ölfonds? Sollte dies der Fall sein, wäre die Schweiz als Geldquelle für Aserbeidschan noch wichtiger, als sie es ohnehin ist. Zu solchen Fragen sagt Socar Trading nur: «Das legen wir nicht offen.»
Socar, die Dunkelkammer
Generell ist die Intransparenz im aserbeidschanischen Ölgeschäft hoch. Das beschreibt Ökonom Ibadoghlu in einem unlängst publizierten Report. Die Folge der Intransparenz sei ein hohes Korruptionsrisiko, so Ibadoghlu.
So erreicht Aserbeidschan im Korruptions-Ranking von Transparency International nur Rang 126 von 198 Ländern. 2017 ist Baku sogar aus der EITI ausgetreten, einer internationalen Organisation, welche rohstoffreichen Ländern bei der Korruptionsbekämpfung helfen will.
Auch innerhalb von Socar seien die Finanzflüsse sehr undurchsichtig, sagt Ibadoghlu im Gespräch. So weist der Gesamtkonzern für 2019 einen Gewinn von bloss 650 Millionen Franken aus. Das sei bei einem Umsatz von 48 Milliarden «eigentlich zu wenig«, urteilt Ibadoghlu. Für ihn wirft dies die Frage auf, ob Socar alle Finanzabflüsse offenlegt. Konkret kritisiert Ibadoghlu, es sei undurchsichtig, zu welchen Preisen das Öl zwischen der Muttergesellschaft in Baku und der Handelsgesellschaft in Genf konzernintern verrechnet werde.
«Sehr schweizerische Firma»
Vergleichsweise bieder macht sich im Vergleich dazu Socars Geschäft mit den Tankstellen aus. Umsatz- und Gewinnzahlen weist zwar auch Socar Energy Switzerland nicht aus. Doch verglichen mit dem Handelsgeschäft sind diese Zahlen laut Branchenkennern bescheiden.
Trotzdem ist auch dieser Geschäftszweig für Baku nicht unbedeutend: Die Schweiz war 2012 das erste westeuropäische Land, in dem Socar eigene Tankstellen eröffnete. Die Schweiz dient dem Konzern als Testmarkt im Westen. Bis heute betreibt Socar in keinem anderen westlichen Land mehr Tankstellen als hier.
«Mit Politik haben wir hier bei Socar Schweiz nichts zu tun.»
Socar Energy Switzerland sei eine «sehr schweizerische Firma», sagt der Geschäftsführer, der Schweizer Edgar Bachmann. Bloss ihr Aktionär sei international, so wie bei anderen Firmen auch. «Wir versuchen hier einfach für unsere Kunden einen guten Job zu machen mit 800 Mitarbeitern, die in der Schweiz leben», sagt Bachmann. «Mit Politik haben wir hier bei Socar Schweiz nichts zu tun.»
Am Socar-Hauptsitz in Baku feiert man derweil auf Facebook den militärischen Triumph über Armenien. «Wir sind stolz auf unsere mächtige Armee!», schreibt das Unternehmen. Und fast täglich publiziert es in Wort und Bild Elogen auf «unsere Helden»: So nennt Socar jene seiner Angestellten, die als Reservesoldaten mitgeholfen haben, den «bösartigen Feind» zu besiegen.
Manche dieser kämpfenden Angestellten sprayten in eroberten armenischen Ortschaften gleich noch den Firmennamen Socar auf den Boden. Militärische Eroberungen für einen Ölkonzern, der fast ebenso schweizerisch ist wie aserbeidschanisch.
Nachtrag: Die Genfer Firma Socar Trading SA legt Wert auf die Feststellung, dass sie bei ihren Geschäftspraktiken internationale Anforderungen respektiere und nach eigenen hohen Standards handle. Mit diesem Ziel habe sie in den letzten zwei Jahren beträchtliche Ressourcen in die Implementierung von robusten Compliance- und internen Prüf-Systemen investiert.
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