Kolumne «Miniatur des Alltags»Eine Spinne kommt selten allein
Ein Fund in der Garage lässt den Puls mancher Mitbewohner hochschnellen.
Die Vorgeschichte zu dieser Geschichte ereignete sich schon vor einigen Monaten. Wir weilten gerade in den Ferien, als eine Nachricht unsere jüngste Tochter in äusserste Anspannung versetzte: In einem Artikel las sie, dass sich in der Schweiz die Nosferatu-Spinne – eine bis zu sieben Zentimeter grosse Giftspinne – ausbreite.
Für jemanden mit einer Spinnenphobie ist das verständlicherweise keine gute Botschaft. Doch ich konnte das arme Kind beruhigen: Die Chance, dass dieses haarige Tier ausgerechnet bei uns aufkreuzen würde, sei praktisch bei null.
Ein halbes Jahr später holten wir für eine Bastelarbeit eine Kartonröhre aus der Garage. Wir machten grosse Augen, als darin ein dichtes Gespinst aus Spinnenfäden zum Vorschein kam – mit einer grossen Spinne mittendrin. Ein solches Exemplar hatten wir noch nie gesehen.
Kurz überlegten wir, das Tierchen den Hühnern zum Dessert vorzusetzen. Doch der Mann im Haus bekundete Mitleid mit «dem speziellen Geschöpf» und setzte es in der Hecke neben dem Haus aus. Nicht ohne die Spinne vorher noch zu fotografieren.
Als wenige Tage später eine andere Tochter, die Biologie studiert hat, auf Besuch war, wurden ihr die Bilder vorgelegt. Ihr Urteil war schnell gefällt: Bei dem beeindruckenden Tier handle es sich zweifelsfrei um eine Nosferatu-Spinne. Und ein Netz spinne diese nur, wenn sie Nachwuchs erwarte.
Die Vorstellung, dass auf unserem Grundstück nicht nur eine giftige Riesenspinne, sondern auch deren Nachwuchs unterwegs waren, überstieg die Toleranzgrenze der Arachnophobiker im Haus bei weitem. Die angekündigten Szenarien reichten von «nie mehr in die Garage» über «für immer im Zimmer bleiben» bis zu «nie mehr zu Besuch kommen».
Ich machte einen anderen Vorschlag: Ab sofort findet bei uns ein kostenloses und unfreiwilliges Expositionstraining für Spinnenphobiker statt.
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