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Erklärung gegen Gerichtshof für Menschenrechte
Ständerat protestiert gegen Klimaurteil – mit der schärfsten Variante

Beat Rieder, Mitte-VS, Daniel Faessler, Mitte-AI, und Daniel Jositsch, SP-ZH, von links, diskutieren nach Ende der Debatte um das Urteil des Europaeischen Gerichtshofs fuer Menschenrechte, EGMR in Sachen KlimaSeniorinnen Schweiz vs Schweiz, an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 5. Juni 2024 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
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Es ging um grosse Themen. Die Menschenrechte, Montesquieus Gewaltenteilung, das Gelassenheitsgebet, Donald Trumps autokratische Tendenzen: Die Ständerätinnen und Ständeräte haben heute Mittwoch nichts ausgelassen. Einen Vormittag lang sprachen sie über das Klimaurteil gegen die Schweiz. Sind die Strassburger Richter bei der Auslegung der Menschenrechte zu weit gegangen? Und: Wie soll die Schweiz darauf reagieren?

Die Ausgangslage: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Schweiz gerügt, weil sie nicht genug gegen den Klimawandel tue. Die Rechtskommission des Ständerats schlug vor, dass der Rat eine Erklärung dazu abgibt. 

Darin sollte er zwar die Bedeutung der Menschenrechtskonvention und des EGMR würdigen, aber dessen Urteil kritisieren. Besonders umstritten: der letzte Abschnitt mit einer Aufforderung an den Bundesrat. Die Schweizer Regierung soll gegenüber den Europaratsgremien erklären, dass die Schweiz «keinen Anlass sieht, dem Urteil des Gerichtshofs weitere Folge zu geben». 

Klimaurteil einfach ignorieren?

Würde der Bundesrat mit diesem Satz aufgefordert, ein unliebsames Urteil einfach zu ignorieren? Oder würde der Ständerat damit nur zum Ausdruck bringen, dass er die Forderungen des EGMR als erfüllt betrachtet, weil die Schweiz in der Zwischenzeit Klimamassnahmen beschlossen hat? 

Weil das umstritten ist, standen zwei weniger weit gehende Vorschläge zur Diskussion. Die Verfechter einer Alternative argumentierten, eine erklärungsbedürftige Erklärung sei problematisch. «Nur weil das Urteil überschiessend ist, sollten wir mit der Reaktion nicht überschiessen», sagte FDP-Vertreter Matthias Michel.

Am Ende sprach sich der Rat aber mit 26 zu 17 Stimmen für die Version der Rechtskommission aus, die schärfste Variante. Mit 31 zu 11 Stimmen nahm er die Erklärung schliesslich an. Der Nationalrat wird in einer Woche entscheiden. Er kann auch eine andere Variante beschliessen.

Schweiz wäre auf einer Stufe mit Russland

Eine Erklärung eines Rates oder beider Räte – mit oder ohne Aufforderung an den Bundesrat – hat zwar keine rechtliche, aber eine gewisse symbolische Bedeutung. Die Gegnerinnen und Gegner im linken und grünen Lager warnten deshalb vor dem Bild, das die Schweiz damit abgebe.

Was man mit einer Botschaft beabsichtige und was beim Empfänger ankomme, seien zwei verschiedene Dinge, sagte der Grüne Mathias Zopfi. Mit einer Erklärung würde sich das Parlament «ein bisschen zu einem Gericht über ein Gericht machen». Das einzige Land, das bisher ein EGMR-Urteil explizit nicht beachtet habe, sei Russland. Zopfi plädierte für mehr Gelassenheit. Es gelte zu akzeptieren, was man nicht ändern könne – wie es das bekannte Gebet nahelege. 

SP-Ständerat Carlo Sommaruga gab zu bedenken, die Erklärung würde wohl vor allem in Ungarn oder Serbien gehört. Es sei die Charakteristik autoritärer Staaten und Herrscher – jene von Trump oder Bolsonaro –, unliebsame Urteile nicht zu akzeptieren. «Das führt zu einem Diktat der Politik über die Justiz.»

Sommaruga erinnerte auch an frühere umstrittene Urteile des EGMR und des Bundesgerichts. Keines dieser Urteile habe eine Erklärung zur Folge gehabt – auch nicht das Urteil gegen Appenzell Innerrhoden zum Frauenstimmrecht. Der Kanton habe die Landsgemeinde sofort für Frauen geöffnet. Die evolutive Interpretation der Menschenrechte sei notwendig und ermögliche Fortschritt beim Schutz der Bürgerinnen und Bürger. 

Die Gegner einer Erklärung wiesen auch darauf hin, dass ein Richtergremium von Menschenrechtsspezialisten das Urteil gefällt habe. Dies zu kritisieren, sei nicht nur anmassend, es verletze die Gewaltenteilung. «Ich bin konsterniert», sagte die Grünen-Vertreterin Céline Vara. «Ich habe versprochen, die Institutionen zu respektieren, als ich gewählt wurde.» Und: «Die Erklärung ist eine Schande für die Schweiz.» 

Gerichtshof untergräbt eigene Legitimität

Die Befürworter widersprachen. Nicht eine Erklärung verletze die Gewaltenteilung, sondern der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser habe die Rolle einer gesetzgebenden Gewalt eingenommen, sagte SP-Ständerat Daniel Jositsch, der Präsident der Rechtskommission. Es sei nicht Aufgabe eines Gerichts, den Gesetzgeber zu übersteuern und zu entscheiden, welche Klimapolitik ein Land verfolgen müsse. «Der EGMR hat die Aufgabe, die grundlegenden Menschenrechte zu schützen. Wenn er in dieser Form weitermacht, unterminiert er die Akzeptanz des internationalen Rechts.»

«Das Gewaltenteilungsprinzip von Montesquieu ist keine Einbahnstrasse», sagte Mitte-Vertreter Beat Rieder. «Der Dieb ruft: ‹Haltet den Dieb!› Aber wir waren nicht der Dieb.» Man dürfe sich nicht täuschen lassen, wenn Medien und NGOs nun schreiben würden, die Gewaltenteilung werde verletzt. Das Urteil sei «eine krasse Missachtung der Gewaltenteilung» und «historisch falsch».  Kompetenzanmassung könne auch in der Judikative vorkommen. Die Menschenrechte seien Abwehrrechte des Individuums gegenüber dem Staat, nicht Schutzpflichten des Staates gegenüber einem Kollektiv.

Der Tenor im bürgerlichen Lager: Gerade weil die Schweiz sich an internationale Urteile halte, müsse sie jetzt klar sagen, dass sie mit diesem Urteil nicht einverstanden sei. Der Gerichtshof säge an seiner eigenen Legitimität. «Man muss diese wertvolle Institution vor ihren eigenen Richtern schützen», sagte FDP-Vertreter Andrea Caroni.

Am Ende blieb der Einwand von links-grüner Seite, dass der Klimawandel tatsächlich Leben zerstöre. Am Protestwillen der Mehrheit änderte freilich auch dieses Argument nichts.