Spektakuläres UrteilKlimaaktivisten drängen Ölkonzerne in die Ecke
Historische Niederlage von Big Oil: Institutionelle Investoren erzwingen einen Kurswechsel, um das Klima zu schonen – und um die Profite zu steigern.
Die Revolte richtete sich gegen Exxon, zwingt aber die gesamte US-Ölindustrie zum Umdenken. Exxon war bis jetzt stolz darauf, so etwas wie ein Fossil der Ölindustrie zu sein. «Exxon will die Probleme der Gesellschaft als Ganzes lösen», sagt Exxon-Chef Darren Woods. Die Strategien der Konkurrenten zur Reduktion der Emissionen seien dagegen nichts anderes als ein «Schönheitswettbewerb».
Nun haben ihm die Aktionäre den Tarif durchgegeben. Zur Abstimmung stand am Aktionärstag am Mittwoch ein Vorschlag des aktivistischen Hedgefonds Engine No. 1. Vier der zwölf Exxon-Verwaltungsräte sollten durch unabhängige klimabewusste Kräfte ersetzt werden. Neben Blackrock, dem grössten Vermögensverwalter der Welt, unterstützten Legal & General, der grösste britische Vermögensverwalter, sowie die Pensionskassen der Bundesstaaten Kalifornien und New York den Antrag. Die Phalanx der institutionellen Investoren wurde damit zum ersten Mal aufgebrochen, nachdem die ganz grossen Vermögensverwalter wie Vanguard oder Fidelity stets gegen Klimaanträge gestimmt hatten.
Bei Exxon nehmen nun Kaisa Hietala, Umweltwissenschaftlerin und Ex-Direktorin des finnischen Energieunternehmens Neste, und Gregory Goff, Ex-Chef der Andeavor-Raffinerie, Einsitz im Verwaltungsrat.
«Die Corona-Pandemie hat uns gezwungen, die globale Bedrohung des Klimawandels energischer anzugehen.»
Die Revolte der Aktionäre sei ein Misstrauensvotum für Woods, sagen Analysten. Es sei ihm nicht gelungen, die Investoren von den Vorzügen eines unbeweglichen Ölriesen gegenüber einem breit aufgestellten, klimabewussten Energieversorger zu überzeugen. Dabei versuchte Woods, die Niederlage bis zur letzten Minute abzuwenden, indem er die Auszählung der Stimmen unterbrach und oppositionelle Aktionäre zum Umdenken bewegen wollte. Allerdings hatte Blackrock-Chef Laurence Fink schon früh klargemacht, dass Exxon einen Kurswechsel braucht. «Die Corona-Pandemie hat uns gezwungen, die globale Bedrohung des Klimawandels energischer anzugehen.»
Miserable Leistungsbilanz von Exxon
Wie bedeutend der Kampf ist, zeigen die noch nie gesehenen Summen, die beide Seiten in den Abstimmungskampf warfen: 35 Millionen von Exxon und 30 Millionen Dollar von Engine No 1. Die Kritiker warfen Exxon eine miserable Leistungsbilanz vor. Letztes Jahr schrieb der Konzern einen Verlust von 22 Milliarden Dollar, den ersten seit 1999. Auch musste er sich tief verschulden, um die hohe Dividende zahlen zu können, die für institutionelle Anleger ein Hauptgrund ist, die Aktien des Konzerns zu halten.
Noch vor acht Jahren war Exxon der grösste US-Konzern. Seither hat sich der Marktwert halbiert, und das Unternehmen wurde sogar aus dem Dow-Jones-Index der 30 führenden US-Firmen geworfen. Das sture Festhalten an einem auf Öl und Gas fixierten Geschäftsmodell sei bestraft worden, sagte Engine-No-1-Gründer Chris James. Die neuen Verwaltungsräte hätten nun die Aufgabe, die Klimakrise als «Anstoss für ein erfolgreiches Geschäftsmodell» zu begreifen und «nicht mit leeren Worten abtun».
«Woods und Exxon leben in einer Märchenwelt des Nichtstuns, während Kalifornien brennt und Texas friert.»
Exxon trägt mehr zum Klimawandel durch die Erderwärmung bei als viele Staaten. Dabei sei Exxon «eines der am wenigsten gut vorbereiteten Unternehmen für das Geschäft mit erneuerbaren Energien», schreibt der Thinktank Carbon Tracker. «Die Investoren haben einen Warnschuss auf Exxon abgefeuert, aber er hallt in den Verwaltungsräten jedes grösseren Unternehmens der fossilen Energie nach.» Peter Krull, Chef der Investmentfirma Earth Equity Advisors, sagte es gegenüber der «New York Times» so: «Woods und Exxon leben in einer Märchenwelt des Nichtstuns, während Kalifornien brennt und Texas friert.»
Auch bei Chevron rebellieren Aktionäre
Zum Aufstand der Aktionäre kam es auch bei Chevron. Der zweitgrösste Ölkonzern des Landes hatte allerdings anders als Exxon schon früher in alternative Energien investiert und die Klimalüge nicht aktiv befeuert. Die holländische Umweltaktivisten-Gruppe Follow This konnte jetzt 61 Prozent der Aktionäre mit der Forderung überzeugen, Chevron auf eine weitere Reduktion der Emissionen zu verpflichten. Ein Zielwert wurde allerdings nicht festgelegt. Follow This hatte Anfang Monat die gleiche Forderung auch gegen Conoco Phillips und Phillips 66 durchgebracht. Exxon, Chevron und Conoco Phillips liegen punkto Klimastrategie weit hinter der europäischen Konkurrenz. Sie belegen in einer Studie von Carbon Tracker die drei letzten Plätze. An der Spitze liegen ENI, Total und BP.
Gericht zwingt Shell zum Handeln
Doch auch die europäische Konkurrenz steh gewaltig unter Druck. Ein niederländisches Gericht hat den Ölkonzern Royal Dutch Shell diese Woche zu strengeren CO2-Einsparungen verpflichtet. Der Ölriese muss seine Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber dem Stand von 2019 reduzieren. Shell kündigte kurz nach dem Urteil an, Berufung einzulegen.
Der britisch-niederländische Konzern hatte Anfang des Jahres seine Klimaziele vorgestellt, die in der Branche als ehrgeizig gelten. Bis 2023 sollen die Emissionen um mindestens 6 Prozent, bis 2030 um 20 Prozent und bis 2035 um 45 Prozent gegenüber 2016 gesenkt werden. Bis 2050 will der Konzern klimaneutral sein, indem die Öl- und Gasproduktion verringert und der Ausbau der erneuerbaren Energien vorangetrieben werden.
Strategie «ist nicht genug»
Nach Ansicht des Gerichts ist diese Strategie jedoch nicht konkret und an viele Bedingungen geknüpft. «Das ist nicht genug», hiess es im Urteil. «Die Schlussfolgerung des Gerichts ist daher, dass Shell Gefahr läuft, seine Verpflichtung zur Reduzierung zu verletzen.» Die Klage wurde von sieben Umweltschutzorganisationen – darunter Greenpeace und Friends of the Earth Netherlands – im Namen von mehr als 17’000 niederländischen Bürgern eingereicht. Sie werfen Shell vor, Menschenrechte zu verletzen, da der Konzern weiterhin Milliarden in die Produktion fossiler Brennstoffe investiert. Es ist das erste Mal, das Umweltschützer sich an die Justiz gewandt haben, um zu versuchen, ein grosses Energieunternehmen zu einer Strategieänderung zu zwingen.
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