Kims HexenapothekeAn die Mordopfer, über die kaum jemand spricht
Entsorrygung, wieder mal nicht so Fun vom Horizont her kommend. Ich möchte dieses Jahr damit beginnen, an die weltweit verübten Morde an 321 trans und geschlechterdiversen Personen aus dem Jahr 2023 zu erinnern.

Ich habe bereits eine Kolumne über Femizide in der Schweiz geschrieben. Der Begriff «Femizid» wurde erstmals 1976 von der südafrikanischen Feministin Diana E. H. Russell verwendet. Meist werden darunter Morde an cis Frauen durch ihre Partner verstanden. Der Begriff «Transizid» für Morde an trans Menschen, weil sie trans sind, wird kaum verwendet. Nicht, weil es nicht vorkommt, sondern weil kaum darüber gesprochen wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass du als trans Frau oder trans Mann Gewalt erfährst, ist je viermal höher als für cis Frauen oder cis Männer. Über Menschen ausserhalb des binären Spektrums habe ich keine Zahlen gefunden.
Im Jahr 2023 wurden weltweit 321 trans und geschlechterdiverse Personen ermordet. 94 Prozent waren transfeminin, waren also bei Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet worden. Ich möchte aber keinen Unterschied machen, auf welcher Reise die Personen mit ihrem Körper waren. Ich möchte sagen: Morde an trans Menschen sind wie jene an cis Frauen dem Patriarchat geschuldet. Wir werden aufgrund unseres Geschlechts ermordet, und wir morden aufgrund unseres Geschlechts und weil wir in einem Geschlechtersystem leben, das jegliche geschlechtliche Beziehungen in Stufen von Unterwerfung und Unterordnung denkt.
Wie hoch ist die Dunkelziffer?
Wie gross die Dunkelziffer ist, möchte ich mir nicht in meinen abgefucktesten Albträumen vorstellen. Ich habe kaum Einschätzungen oder Kommentare dazu gefunden. Ein paar Gedanken meinerseits, weshalb sich so wenig zur Dunkelziffer finden lässt beziehungsweise es so schwierig ist, etwas zu ihr zu sagen:
a) Nobody cares about dead trans people. Nur lebendig sind sie als Sündenböcke oder Fetischobjekte gut. Ich meine: Viele trans Menschen leben derart an den Rändern ihrer Gesellschaften, dass sie bereits vor ihrer Ermordung als «verschwunden» gemeldet werden.
b) Die Person lebte in einem Land, einer Region oder einem Umfeld, in dem sie ihr Geschlecht nicht ändern konnte.
c) Die Person lebte in einem Land, einer Region oder einem Umfeld, in dem sie ihr Geschlecht ändern könnte, das aber nicht wollte – oder sie tat es auf eine Art und Weise, die ihr Umfeld nicht als «trans» erkannte. Ein riesiger Teil von trans Menschen ist nämlich unsichtbar. Ja, wir sind überall, und überall fürchten wir uns, uns zu zeigen. Trauriger Funfact: Ich war mal an einem queeren Gathering. Eine trans Person mäkelte am ersten Tag, dass zu wenig getan werde, um trans Menschen anzuwerben. Von dreissig queeren Anwesenden las die Person nur zwei andere als trans. Nach ihrer Bemerkung meldeten sich fünf weitere, die sich als trans und/oder nonbinär identifizierten. Sogar von unseren eigenen Augen also sind wir nicht immer sofort lesbar.
d) Weder das soziale Umfeld noch irgendeine Newsplattform berichtet über den Mord und die Identität der Person. Die einzigen Daten über die globale Lage, die ich kenne, stammen vom «Trans Murder Monitoring» – eine Seite, die ihre Daten von offiziellen und sozialen Medien zusammensucht. Ich wüsste nicht, welcher Staat dieses Planeten einen Rappen ausgibt, um über die Gewalt an trans Personen zu berichten. Die Schweiz, beispielsweise, unsere stramme Flamme im sozialen Fortschritt, macht ja noch nicht einmal ein offizielles Monitoring von Femiziden – Morden an cis Frauen.
80 Prozent der Ermordeten waren People of Colour. Das sind 15 Prozent mehr als im Vorjahr. 45 Prozent der in Europa ermordeten Personen, deren Migrationsgeschichte bekannt war, waren migriert oder geflohen. Dies zeigt, wie extrem viel vulnerabler Personen sind, die nicht als weiss gelesen werden oder die als weiss gelesen werden können, aber aufgrund von Konflikten migrieren müssen. Zur Frage der Einkünfte dieser Personen habe ich keine Angaben gefunden. Es ist offensichtlich, dass Klasse ebenfalls einen riesigen Faktor spielt. Knapp die Hälfte dieser Menschen hat nämlich Sexarbeit geleistet. Transphobie kulminiert also dort, wo sie sich mit anderen Diskriminierungsformen wie racism und Klassismus überschneidet.
Ich schreibe hier nur sieben von euch auf, stellvertretend aus verschiedenen Regionen. Die restlichen nenne ich im Video. Mögt ihr weitergehen, wenn ihr wollt. Mögt ihr eine Ruhe und einen Glanz und ein sterniges Glimmern und Glammern und Flammern finden, wenn ihr wollt. Mögt ihr dazu alles zurücklassen, was ihr nicht braucht. Besonders auch eure rechtmässige Wut, wenn ihr sie uns zur Hilfe lassen wollt, eine andere Zukunft zu gestalten.
Eure Namen:
Tiffany Banks, Florida
Joyeey Akter Nagini, Bangladesh
Liza Kistauri, Belgien
Alexia Silva De Santana, Brasilien
Juraj Vankulic, Slowakei
Mar’Quis MJ Jackson, USA
Ecem Seçkin, Türkei.
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