Cenk testet LebensweisenMein Monat ohne digitale Ablenkung
Vergangenen Monat stellte ich mich der Herausforderung, einen Monat lang so offline wie möglich zu leben. Keine leichte Aufgabe.
Schon klar, dass ich nicht gänzlich auf das Internet verzichten konnte. Nur schon aus beruflichen Gründen. Aber schon eine erste Auflistung meiner Internetnutzung zeigte mir, dass die notwendigen Dinge nur einen Bruchteil der Zeit ausmachen, die ich online verbringe.
Ich besitze zwar keinerlei Social-Media-Konten, aber das bedeutet nicht, dass ich mich dem Sog der Onlinewelt entziehen kann. Denn offenbar verschlinge ich Youtube-Videos, als gäbe es kein Morgen. Vor allem die sogenannten Youtube Shorts, diese kurzen Video-Häppchen, haben die Fähigkeit, mich stundenlang zu fesseln. Eine digitale Hypnose, der ich scheinbar kaum widerstehen kann. Es vergeht kaum ein Moment, in dem ich mir nicht etwas anschaue. Auf meinen täglichen ÖV-Fahrten, in Wartezeiten, beim Essen und sogar beim Einschlafen – ständig bin ich auf Youtube. Meine Watch Time der sieben Tage vor dem Experiment: total über 23 Stunden. Der Grossteil davon war reiner Konsum ohne wirklichen Mehrwert.
Zum ersten Mal nahm ich bewusst wahr, wie alle Menschen im Zug auf einen Bildschirm starren. Ausnahmslos.
Der Schritt aus diesem Rausch fühlte sich tatsächlich an wie ein kalter Entzug. Ständig erwischte ich mich dabei, wie ich die App öffnen wollte, und steckte das Smartphone kopfschüttelnd weg. Vor allem im Zug kam ich mir komisch vor. Mein Blick schweifte umher, und zum ersten Mal nahm ich bewusst wahr, wie alle Menschen im Zug auf einen Bildschirm starren. Ausnahmslos. Ein merkwürdiges Gefühl der Isolation machte sich breit. Beim Essen. Beim Warten auf den Bus. Selbst auf der Toilette fragte ich mich, was ich dort früher ohne Smartphone gemacht hatte. Keine Ahnung.
Die wirkliche Offenbarung kam jedoch, als ich anlässlich eines Geburtstags mit drei Freunden ein paar Tage im Ausland verbrachte. Ein heftiger Regenfall hatte das WLAN unserer Unterkunft lahmgelegt. Und plötzlich waren wir gezwungen, uns ohne digitale Hilfsmittel zu orientieren. Ein Wink des Schicksals. Plötzlich sahen wir uns mit der Realität eines Lebens ohne ständige digitale Anbindung konfrontiert. Die Entrüstung meiner Freunde führte mir vor Augen, wie sehr wir uns an die permanente Verfügbarkeit von Informationen und Unterhaltung gewöhnt haben. Die fehlende Möglichkeit, Orte zum Essen zu suchen oder Routen für Ausflüge zu planen ohne teures Datenroaming, war schon etwas ärgerlich. Andererseits führte es auch dazu, dass wir die Gegend auf eigene Faust erkundeten und uns mit der lokalen Bevölkerung austauschten, wodurch wir unseren Urlaubsort viel näher zu spüren bekamen. Zumindest bis wir beim nächsten Starbucks landeten und das Gratis-WLAN die menschliche Interaktion wieder ersetzte und der eine oder andere wieder auf Youtube landete.
Die digitale Ablenkung hat uns fest im Griff. Die Schuld für die möglichen negativen Auswirkungen des Internetkonsums den Plattformen zuzuschreiben, wäre dennoch zu einfach und auch nicht zutreffend. Das Internet, insbesondere soziale Medien und Plattformen wie Youtube, sind doch im Kern wertneutral. Sie bieten eine Fülle von Möglichkeiten, sowohl positiver als auch negativer Natur. Ob diese Technologien gut oder schlecht sind, hängt letztendlich davon ab, wie ich sie individuell nutze. Viele Menschen haben durch sie eine Stimme erhalten, konnten sich kreativ ausdrücken, sich selbst verwirklichen und Gemeinschaften aufbauen.
Ein Zug voller Menschen, die auf ihre Bildschirme starren, ist daher nicht per se ein Zeichen für gesellschaftlichen Verfall. Jeder dieser Menschen könnte in der Tat etwas Sinnvolles tun – sei es die Lektüre der Nachrichten, das Betreiben von Forschung oder das Lesen einer Nachricht von einem geliebten Menschen.
Mein persönlicher Monat ohne digitale Ablenkungen hat mir jedenfalls geholfen, meinen eigenen Konsum zu reflektieren und zu reduzieren. Es hat mir gezeigt, wie viel zu viel ist und wie wichtig es ist, eine Balance zu finden. Die Erkenntnis, dass ein bewussterer Umgang mit dem Internet möglich und notwendig ist, um sowohl die persönliche als auch die kollektive Wohlfahrt zu fördern, ist für mich der grösste Gewinn aus diesem Experiment.
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