Petras BuchzeichenFast eine Halloween-Geschichte
Warum sich ein vegetarischer Krimi schlecht verkauft.

Emma schreckte keuchend aus dem Schlaf. Traumfetzen zogen an ihr vorbei. Nebelschwaden, moosbehangene Bäume. Knorrige Zweige, die nach ihr griffen und sie festzuhalten versuchten. Noch immer spürte sie die Bedrohung im Rücken. Hörte das leise Bimmeln, das ihr gefolgt war. Mit einer zittrigen Bewegung strich sie über das schweissnasse Leinenlaken und vergewisserte sich, dass sie in ihrem Bett lag.
Schwaches Mondlicht drang durch das Fenster und beleuchtete das vertraute Zimmer. Die antike Kommode mit den Messinggriffen, das wandbreite Bücherregal, den Schreibtisch. Emmas Blick fiel auf den Holzschrank, den sie am Vortag im Brockenhaus gekauft hatte. Die Tür stand leicht offen, bloss einen Spaltbreit, doch die Schwärze dahinter kam ihr vor wie ein Abgrund. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Hatte sie die Tür nicht geschlossen, bevor sie ins Bett gegangen war? Den Schlüssel im Schloss gedreht? Sie konnte sich genau an das kalte Metall zwischen ihren Fingern erinnern. Vielleicht war das Schloss kaputt? Sie schlug die Bettdecke zurück, um nachzusehen. Da hörte sie es. Das Bimmeln. Ganz nah. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Das Geräusch kam aus dem Schrank.
Leider werden wir nie erfahren, was sich im Schrank versteckt. Ich schreibe keine Horrorgeschichten, nicht einmal heute, an Halloween. Ich schreibe Kriminalromane. Seit diesem Jahr auch Thriller, aber das ist keine Selbstverständlichkeit. Der Titel des ersten Artikels, der über «KRYO – Die Verheissung» erschien, lautet: «Die Zürcher Schriftstellerin Petra Ivanov wagt sich mit einer neuen Thriller-Trilogie aus dem Krimi-Genre».
Manchmal ist das Genre nur eine Maske
An das Konzept von Genres musste ich mich beim Schreiben erst gewöhnen. Ich lasse mich nicht gern in eine Schublade stecken. Schreiben ist ein kreativer Prozess. Wo bleibt die künstlerische Freiheit, wenn ich Kriterien beachten muss? Und wer legt diese fest? Dass in einem Kriminalroman die Aufklärung eines Verbrechens im Vordergrund steht, sehe ich ein. Aber kann ein Krimi nicht trotzdem ein Gesellschaftsroman sein? Ein historischer Roman? Near-future Science-Fiction? Die Grenzen sind nicht klar gezogen, sondern fliessend. Sicher, manchmal ist das Genre nur eine Maske. Trotzdem muss ein Buch eindeutig zugeordnet werden können. Dazu dienen sogenannte «Genre-Konventionen».
Wie wichtig diese sind, wurde mir bewusst, als ich einen Kriminalroman aus meiner «Meyer & Palushi-Reihe» für einen Krimipreis einreichte. Er wurde abgelehnt. Mit der Begründung, der Roman sei kein Krimi, weil darin kein Mord vorkomme. Bis heute weiss ich nicht, wie ich diese Reihe bezeichnen soll. Als vegetarische Krimis vielleicht?
Eine Buchhändlerin hat mir erklärt, dass Bücher, die sich nicht einordnen lassen, schwerer zu verkaufen sind. Sie bezeichnete Buchgenres als eine Art Ordnungsprinzip. Mit jedem Genre sind bestimmte Erwartungen verknüpft. Wenn diese erfüllt werden, sind die Lesenden zufrieden. Wenn nicht, legen sie das Buch enttäuscht beiseite.
Das hat mich nachdenklich gestimmt. Wir leben in einer Welt, die zunehmend unüberschaubarer wird. Diese Komplexität macht vielen Menschen Angst. Genres dienen der Orientierung, kein Wunder also, dass sie bei der Wahl eines Buches eine wichtige Rolle spielen. Wir möchten die Kontrolle behalten, zumindest dort, wo es uns möglich ist. Aber bezahlen wir nicht auch einen Preis dafür?
Für mich ist lesen ein Abenteuer. Wenn ich ein Buch aufschlage, gehe ich auf eine Entdeckungsreise. Dazu gehören unvorhersehbare Erlebnisse und Überraschungen. Ich möchte nicht im Voraus wissen, wohin die Reise führt. Viele Bücher hätte ich nicht gelesen, wenn mir klar gewesen wäre, was mich erwartet. Fantasy, zum Beispiel. Oder Jugendbücher. Einige haben mich nachhaltig geprägt und meine Sicht auf die Welt verändert.
Kürzlich sagte mir ein Mann nach einer Lesung, dass er Schweizer Kriminalromane grundsätzlich schlecht finde. Ich fragte ihn, ob er denn schon viele gelesen habe. Zwei, meinte er, das reiche ihm. Er tat mir leid.
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