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Meinung

Petras Buchzeichen
Im Kaninchenbau

«Ich entschied mich, zur Abwechslung nicht über den Tod, sondern über das Leben zu schreiben»: Petra Ivanov.
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Einer der schönsten Aspekte am Schreiben eines Romans ist, dass ich mich lange in ein Thema vertiefen kann. Deshalb überlege ich mir bei einem neuen Projekt nicht nur, was gerade aktuell ist oder was die Menschen fesselt, sondern auch, was mich am meisten interessiert. Schliesslich beschäftige ich mich ein paar Jahre mit Recherche und Text, bis zuletzt ein Buch vorliegt. Ganz besonders traf das auf die Kryo-Trilogie zu. Zwar ist jeder Band in sich abgeschlossen, doch das übergeordnete Thema zieht sich durch alle drei Bände: die Überwindung des Todes.

Als Krimiautorin befasse ich mich regelmässig mit dem Tod und habe vieles gelernt. Ich weiss heute, wie sich tödliche Gewalt auf den Körper auswirkt. Wie eine Leiche aussieht, wie sie riecht. Ich habe mit Ballistikern über Schussverletzungen gesprochen, mit Kriminaltechnikerinnen über Blutspuren. Ich stand in der Rechtsmedizin am Obduktionstisch und im Krematorium am Verbrennungsofen. In einem Kriminalroman können tausend Dinge geschehen. Eines aber ist fast immer unausweichlich: Es sterben Menschen.

Dann las ich, dass Google «den Tod lösen» will. Das weckte meine Neugier. Ich begann zu recherchieren und erfuhr, dass Techunternehmer und Milliardäre – viele davon im Silicon Valley beheimatet – hohe Summen in Start-ups für ewiges Leben stecken. Je tiefer ich grub, desto mehr fühlte ich mich wie Alice im Wunderland, die in den Kaninchenbau stürzt. Neue Welten taten sich auf. Da gab es Wissenschaftler, die das Gehirn auslesen und das Bewusstsein auf einen Datenträger hochladen wollen. Firmen, die Körper einfrieren, um sie später, wenn die Medizintechnik weit genug fortgeschritten ist, wiederzubeleben und zu rejuvenieren.

Zukunftsträume? Nein, Realität. Auch in der Schweiz. In Rafz entsteht gerade die erste Kryonikanlage Europas.

Ich entschied mich, zur Abwechslung nicht über den Tod, sondern über das Leben zu schreiben. Das ewige Leben.

Als ich den ersten Band der Trilogie begann, hatte ich eine klare Meinung. Das Leben ist ein Kreislauf. Zum Geborenwerden gehört auch das Sterben. In einem Roman entsteht Spannung jedoch durch Konflikte und Widersprüche. Deshalb achte ich jeweils darauf, dass meine Figuren unterschiedliche Ansichten, Motive und Ziele haben.

Also kreierte ich einen Kryoniker, dessen Patienten nicht tot sind, sondern bloss «Pause machen». Eine Skeptikerin, die fürchtet, dass sich nur Reiche die Unsterblichkeit werden leisten können. Einen Astrophysiker, für den sich das Leben nicht auf das irdische Dasein beschränkt. Einen Mönch, der sich mehr Gedanken über seine Seele macht als über seinen Körper, und eine Wissenschaftlerin, die über Leichen geht, um ihre Forschung voranzutreiben.

Da ich beim Schreiben der Trilogie immer wieder die Perspektive wechselte, musste ich mich auf jede Figur einlassen und wie sie denken. Erst recht in den Dialogen. Manchmal fühlte ich mich, als spielte ich Tischtennis gegen mich selbst. Nach jedem Schlag rannte ich zur gegenüberliegenden Seite des Tisches und wechselte die Schlagrichtung beziehungsweise die Denkweise.

Dabei geschah etwas Seltsames mit mir. Mit jedem Satz verblassten meine bisherigen Meinungen ein bisschen mehr. Auf einmal erschien es mir nicht mehr absurd, einen Körper nach dem Ableben einzufrieren. Jedenfalls nicht absurder, als ihn einzuäschern oder zu begraben. Auch fragte ich mich, warum ich das Altern immer als natürlichen Prozess betrachtet hatte und nicht als Krankheit, die es zu heilen gilt. Und ist es wirklich undenkbar, dass wir zukünftig ein Back-up unseres Bewusstseins machen? Ist das seltsamer, als mit einer KI zu chatten?

Kurz, ich fühlte mich im Kaninchenbau zu Hause. Das mag beunruhigend klingen, doch beim Schreiben ist es ein gutes Zeichen. Denn meine Figuren und ich sind, während die Romane entstanden, eins geworden. Sie leben in mir, ich in ihnen.

Nun ist die Trilogie abgeschlossen, ich bin aus dem Kaninchenbau zurück. Wenn ich darüber nachdenke, so habe ich im Grunde nichts anderes gemacht, als mein Bewusstsein in meine Figuren hochzugeladen. Oder war es umgekehrt?