Indie-Ikone Kim Gordon in BernSo klingt es, wenn eine 71-Jährige die musikalische Zukunft vorwegnimmt
Mit Sonic Youth hat sie die Post-Punk-Ära eingeläutet. In Bern hat Kim Gordon nun gezeigt, warum sie vermutlich die coolste Frau der Welt ist.
- Mit Kim Gordon hat eine musikalische Bahnbrecherin die Berner Dampfzentrale heimgesucht.
- Sie präsentierte ihre Soloalben mit modernen, elektrifizierten Musikvisionen.
- Ihre Musik pendelt zwischen Avantgarde und Subkultur-Nostalgie der Achtzigerjahre.
Der Willkommensapplaus in der ausverkauften Dampfzentrale ist von einer Wärme, wie sie sonst nur Menschen erfahren, denen irgendein Preis fürs Lebenswerk ausgehändigt wird. Doch die Dame, die damit bedacht wird, nimmt das Brimborium relativ ungerührt zur Kenntnis.
Ihr Name: Kim Gordon. Lebensmeriten: Bassistin und gelegentlich auch Sängerin der verblichenen Gruppe Sonic Youth, Subkultur-Ikone, 71 Jahre alt. Eine Frau, die eine Lässigkeit verbreitet, die fast schon gespenstisch anmutet – oder wie es der Beastie Boy Adam Horovitz so schön formulierte: «Wo auch immer Kim landet, sie ist die coolste Person im Raum.»
Zähflüssiger Trap
So auch in der Dampfzentrale, wo sie ohne Umschweife mit ihrer dreiköpfigen Band einen ersten, zähflüssigen Hybrid aus No Wave und Trap ins Auditorium stemmt. Der Song heisst «Bye Bye» und besteht aus einer mehr gesprochenen als gerappten Aufzählung, was alles in den Koffer kommt, wenn man sich aus dem Staub macht: «Wimpernzange / Vibrator / Teaser / Bye-bye.»
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Dazu surren ein verzerrter Tieftonbass, eine noch verzerrtere Drum-Machine, und es dreschen drei Musikerinnen auf Gitarre, Synthesizer und Schlagzeug ein. Das wird ein eher düsterer Abend werden, so viel ist bereits nach dem Opener klar.
Angestaubte Avantgarde
Schnitt ins Jahr 1981. Die New Yorker Gruppe Sonic Youth ist eine von vielen Bands, die versuchen, aus den Trümmern des verbröselnden Punks eine neue Musik zu konstruieren. Wie bahnbrechend ihr Ansatz war, darüber streiten die Musikchronisten und -chronistinnen bis heute. Für die einen waren Sonic Youth die Wegbereiter der Post-Punk-Ära. Anderen schien die Aufmachung weit fortschrittlicher als das, was am Ende an musikalischem Trendsetting herausschaute.
Sonic Youth machten zwar gehörig Lärm, verstimmten kunstvoll ihre Saiteninstrumente und pflegten ihren Defätismus in avantgardistisch-punkiger Art in die Auditorien der Subkultur zu spucken. Doch die neuen Verheissungen der damaligen Zeit: die Elektronik, die Neugier, sich auch mal mit dem Zeitgeist auseinanderzusetzen, all dies wurde von der Band aus New York ignoriert.
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Und so mögen Sonic Youth die Rockmusik in neue Bahnen gelenkt haben, blieben aber in ihrem Ausdruck relativ eindimensional. Es war und blieb punkige, energetische Rockmusik, die relativ bald Staub ansetzte und etwas muffelig zu riechen begann.
Als Kim Gordon sich 2011 vom Ehemann und Sonic-Youth-Co-Begründer Thurston Moore trennte und sich die Band nach 40 Jahren auflöste, stürzte sie sich zunächst in die bildende Kunst, schrieb die Biografie «Girl in a Band», spielte in einem Horrorfilm mit, um dann im Alter von 66 Jahren ihr erstes Soloalbum «No Home Record» zu präsentieren.
Flirt mit dem Zeitgeist
Und hier tat Kim Gordon genau das, was man sich von Sonic Youth zu erhoffen aufgehört hatte: Sie verdrahtete sich mit der Moderne, elektrifizierte ihre dystopischen Musikvisionen und klang dabei mal wie eine Avantgardistin des Lärms, mal wie eine Punkerin, der man den Übungsraum unter Strom gesetzt hat. Im März dieses Jahres folgte der Zweitling «The Collective», für den sie, wie schon beim Debüt, den hippen Produzenten Justin Raisen in Studio orderte. Ein Mann, der schon mit Millionensellern wie Lil Yachty, Kid Cudi oder Charli XCX zusammenarbeitete.
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Diese beiden Soloalben von Kim Gordon bilden das Zentrum ihres einzigen Schweizer Konzerts. Und in den besten Momenten dieser Show schafft es die Amerikanerin, die kontemporären Popkultur-Brocken dergestalt zu deformieren, dass da wirklich eine nie zuvor gehörte Kunstmusik entsteht. Da trifft Autotune-Gesang auf Post-Punk-Destruktivität, 808-Bässe auf Gitarrenlärm, Trap-Hi-Hats auf brachialen Slow-Motion-Noiserock.
Rausch, Irritation, Schrecken
Doch je mehr die Elektronik in den Hintergrund rückt (sie tut dies mit zunehmender Dauer des Konzerts immer mehr), desto tiefer schlittert Gordons Musik zurück in die Achtzigerjahre und riecht dann doch wieder nach ungelüfteter Subkultur-Kaschemme statt nach Science-Fiction.
Und Kim Gordon? Sie rezitiert oder singschreit dazu Textfragmente über zwischenmenschliche Dissonanzen, über Figuren, die ihren Weg verloren haben, verwackelt, zynisch, unscharf. Und so entsteht – zusammen mit der ebenso fragmentarischen Videokunst, die im Hintergrund kontextlos vor sich hin flackert – das Bild einer Welt, die aus dem biologischen und rationalen Gleichgewicht geraten ist.
Die Zukunftsvision der Kim Gordon ist kein besonders angenehmer Ort. Es ist finster dort, kühl, unwirtlich und unsicher. Aber weil da die vermutlich coolste Frau der Welt an der Macht ist, guckt man trotzdem gerne mal vorbei. Und sei es nur für die Dauer eines Konzerts. Jenes in der Dampfzentrale hatte alles im Angebot: Rausch, Irritation, Schrecken und Segen. Der Schlussapplaus war immer noch lang, aber vielleicht dann doch ein klitzekleines bisschen weniger warm.
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