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Meinung

Kims Hexenapotheke
Auf den Spuren unserer «sex positive» Urreligion

ONLINE TEASER
Portrait von Kim de l’Horizon, Autorenbild der neuen Kolumnistinnen.
02.02.2023
(URS JAUDAS/TAGES-ANZEIGER)
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O Herr. Herresmann, der du bist im Himmel. Mannigfaltig bist du: ein Mann und faltig, und auch vielerleist. Alle wissen ein bisschen besser als die anderen, wer genau du seist. Ich weiss es nicht. Ich höre mir nur die Geschichten an, die die Menschen von dir erzählen. Versuche nur das Erbe auszuschlagen, das Körper wie den meinigen aus deinem Himmelreich rausschlagen. Dieses Erbe wirkt aber in uns allen, unausweichlich. Weshalb ich es benennen muss, um es zu bannen.

Einige deiner Gesandten werfen mir vor, in meinen Kolumnen zu vereinfachen und bloss auf konservative Jesus-Auslegungen zu fokussieren. Zum ersten Punkt möchte ich sagen: Kolumnen vereinfach immer. It’s the point of it. Zum zweiten möchte ich hier einen Ausblick geben auf mein neues Buch: EINE VÖLLIG VEREINFACHENDE GESCHICHTE DES CHRISTENTUMS.

Das Christentum begann als kleine Sekten im Römischen Reich. Zuerst wurde es von der Obrigkeit Roms bekämpft, und als es zu beliebt wurde, löste es das Vielgöttertum ab als Staatsreligion. Auf seinem Weg zu einer globalen Machtmaschine frass das Christentum «Heidnisches»: allerlei Glauben und Bräuche, die älter waren. Die nicht christlichen Gött*innen wurden zu Nixen und Dämonen, Feen und Fasnachtsgeistern herabgestuft.

Was’n dieses Heidnische? Vom althochdeutschen heidan: Feld, Acker. Auf Englisch ist es der paganism, vom Lateinischen paganus: der Heide, der Landbewohner. Das Christentum war eben eine römische, städtische Angelegenheit. Auf dem Land hielten sich noch lange die vielen vorchristlichen Erdgötter im Stile Dionysios’, Bacchus’, Minotaurus’, Pans oder Osiris’. Oft waren die schwuchtelig und gehörnt: Halbmann und Halbtier.

Dionysos war den Frauen und Sklav*innen der patriarchaler werdenden Städte nah. Liess sie in Anfällen von Alkoholismus & Lust & heiliger Hysterie aus den Städten in die Wälder raven. Sie nannten sich Mänaden and them bitches didn’t play by the rules no more. Sie ehrten ihre gehörnten Fraumanngötter in sexuellen Riten.

Aber Europas Heiden, wäre meine These, waren Europas erste Kolonie.

Das «Andere» auszumerzen, wurde zuerst hier geprobt. Die Nichtchristlichen, die Landschaftsgött*innen, die nicht wie Jesus sexlos empfangen wurden und wieder in den Himmel gingen, die Weiblichen, die im Schmutz und Blut und Schmerz geboren und in leidenschaftlichem Verlangen nach einander gezeugt wurden. Das ist – wieder völlig verdödelt vereinfacht – einer der Gründe, weshalb «wir» – der «Westen» – so viel appropriieren von anderen Kulturen: weil wir uns das magische Wissen und Handeln zuerst und zu erfolgreich ausgejätet haben.

Frauen und Queers waren in vielen heidnischen Glaubenssystemen noch nicht abgewertet. Es gab viele Gerichtsverfahren in der Schweiz um 1430, bei denen Heiden angeklagt wurden. Sie beteten die heidnischen Göttinnen der Natur, der Sexualität und der Jagd an. Die Angeklagten wurden so lange gefoltert, bis sie zugaben, dass sie den Teufel verehrten.

Herr, du wirst hier missverstanden. Dir wurde ein Feind erfunden. Satan heisse er. Der Gehörnte. LUCIFER; lux ferre – der Lichtbringer. Dies war auch der römische Name des Morgensternes, der Venus. Satan kommt also von der Venus, der Göttin der Liebe, der Fruchtbarkeit und der Weiblichkeit. In die Venus hatten sich die Überreste der heidnischen Mutter- und Erdgöttinnen gerettet: Isis, Minerva, Diana, Ceres. Ein krümeliger Rest dieser heiligen Weiblichkeit hat sich in den Marienkult des Katholizismus gemorpht. Der Protestantismus hat dann aber auch das noch weggemäht.

Diese alten Gött*innen waren not all that binär & oppressively hetero. Dionysos ist weiblich gerundet und Diana jagend männlich. Der Kontakt zu ihnen war direkt und simpel: Sex. Der eigne Körper und der nächste wollende Co-Heide. Aber selbstermächtigte Körper sind schwierig zu kontrollieren. A Papa Pope no le gusta.

Natürlich gibt es Quellen (die von den Kirchenvätern zensiert wurden), die Jesus als «body positive» darstellen. Natürlich gibt es Kirchgemeinden, die wichtig sind für die Aufnahme von Geflüchteten. Gibt es viele individuelle Pfarrpersonen, die sich für die Nächstenliebe einsetzen. Aber ich sehe unsere Geschichte, und ich sehe Tausende von Opfern sexueller Übergriffe, und ich sehe keine unglücklichen Einzelfälle, ich sehe ein System, das auf patriarchaler, weisser Dominanz aufgebaut ist. Und ich zoome heraus und sehe eine Organisation, die über knapp zweitausend Jahre systematisch die Ausrottung des «Anderen» angeführt hat.

Ich sehe mich als Brückenbauer*in, ja, in gewisser Weise, aber bevor eine Brücke vom «Anderen» zum «Hiesigen» gebaut werden kann; bevor die Hexen mit den Mächtigen ins Gespräch kommen, brauchen sie einen Ort, der sie trägt, brauchen sie ein Gärtlein, in dem sie sicher sein können. Momentan würde eine Brücke zu uns ins Leere münden. Ich baue an einem Zwischenboden für den Brückenkopf der Zwischenwesen. Join me.

Referenzen:

  • Evans, Arthur: Witchcraft and the Gay Counterculture. Boston, 1978.

  • Cohr, Norman: Europes Inner Demons. Sussex, 1975.

  • Ginzburg, Carlo: Die Benandanti. Feldkulte und Hexenwesen im 16. und 17. Jahrhundert. Frankfurt a.M., 1980.