Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Angehörige fragen, Kesb schweigt
Wo sind die verschwundenen 450’000 Franken?

Nach eineinhalb Jahren fehlten vom Konto der dementen Frau Alder 450'000 Franken. Wer hob sie ab? Und wofür?
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk
In Kürze:
  • Vom Konto einer dementen Frau sind fast eine halbe Million Franken verschwunden – im Verdacht steht ihr Beistand.
  • Trotz mehrfacher Warnungen hat die Kesb nicht interveniert.
  • Während die Angehörigen Klarheit und Rückerstattung des Geldes fordern, mauern die Behörden.

Im Raum steht ein schlimmer Verdacht: dass eine betagte, vulnerable Dame von ihrem Beistand eingesperrt wurde. Dass er sie von ihrer Umwelt isolierte. Und dass er Geld von ihrem Konto abhob, innerhalb von 36 Monaten insgesamt 450’000 Franken. Noch schlimmer: Die zuständige Kesb war mehrfach gewarnt worden, der Beistand falle durch merkwürdiges Verhalten auf und es sei zu befürchten, dass er sich an der dementen Frau bereichern wolle. Denn Elisabeth Alder (alle Namen geändert) ist 86 Jahre alt, kinderlos, verwitwet und mehrere Millionen schwer.

Auch seit die SonntagsZeitung Anfang 2023 über diesen Fall berichtete, ist der Fall nicht geklärt. Jetzt, 19 Monate später, haben die Angehörigen der verbeiständeten Elisabeth Alder genug. Sie fordern endlich Antworten – und die 450’000 Franken zurück. «Es kommt mir vor, wie wenn die Behörden auf Zeit spielen», sagt der Göttibub von Elisabeth Alder. Denn ausser ihm und seiner Schwester als Neffe und Nichte sind, abgesehen von einer Cousine in Kanada, keine Verwandten mehr da. Vom Geld ihrer reichen Tante, betonen sie, hätten sie nichts – das komme dereinst in eine Stiftung.

Elisabeth Alder lebt seit 2021 in einem Heim. Zusammen mit ihrem Mann führte sie sehr erfolgreich ein Geschäft. 2016 machen sich bei ihr erste Anzeichen einer Demenz bemerkbar, im selben Jahr stirbt Herbert Alder. Und auf einmal taucht Manuel Iten (Name geändert) auf. Er gibt an, ein ehemaliger Bekannter von Herbert gewesen zu sein, und kümmert sich fortan hingebungsvoll um die alte Dame. So sehr, dass es ihrem Umfeld bald unheimlich wird. Iten bestimmt nach und nach über das Leben von Frau Alder, zum Beispiel darüber, wer sie besuchen darf. Und er übernimmt immer mehr ihre Finanzen.

Das Umfeld ist höchst beunruhigt

Der ehemalige Vermögensverwalter der Alders macht deswegen eine Gefährdungsmeldung bei der Kesb Meilen und listet vier Vertrauenspersonen auf, die er guten Gewissens empfehlen könne. Herr Iten zählt er nicht dazu. Auch ein beunruhigter Nachbar wird bei der Behörde vorstellig, genauso der Hausarzt, der das Ehepaar seit 24 Jahren betreut, weil Iten die medizinisch verordneten Spitex-Besuche bei der alten Dame kündigt. Eine ehemalige Mitarbeiterin ist nach einem Besuch so verstört über den vernachlässigten Zustand «der sonst so gepflegten Frau Alder», dass sie ebenfalls eine Gefährdungsmeldung macht. Sie bittet zudem den ehemaligen Zürcher Stadtarzt Albert Wettstein, sich ihre ehemalige Chefin anzusehen. Nach einem Besuch bei der alten Dame schreibt Wettstein in seinem Bericht an die Kesb Meilen, Frau Alder sei «urteilsunfähig».

Sie alle, der Nachbar, der Hausarzt, der Vermögensverwalter und die ehemalige Mitarbeiterin, sind besorgt und tun das, was man sich wünscht: Sie schauen nicht weg, sondern hin und schlagen Alarm. Aber obschon sämtliche Meldungen aktenkundig sind, erklärt die Kesb Meilen Manuel Iten 2017 auf Wunsch der laut Albert Wettstein urteilsunfähigen Elisabeth Alder offiziell zu deren Beistand.

Wer macht die horrenden Bezüge?

Kurz darauf fangen die vielen Geldabhebungen an. Vom Konto der als sparsam bekannten Frau Alder – auch das ist aktenkundig – werden in hoher Kadenz Bezüge getätigt: zwischen dem 26. Oktober 2017 und dem 5. August 2020 insgesamt 130-mal. Immer in bar, manchmal 15’000 Franken aufs Mal. Und manchmal fast täglich, wie zum Beispiel im August 2018: 14. 8.: 5000 Franken, 16. 8.: 1000 Franken, 21. 8.: 2000 Franken, 22. 8.: 2000 Franken.

Wer hat diese Bezüge getätigt? Bewegungen auf dem Konto der dementen Frau Alder.
Beinahe täglich wurde Geld abgehoben.
Es wurden bis zu 15'000 Franken aufs mal abgehoben.

Innerhalb von 36 Monaten werden 414’875.50 Franken in bar abgehoben, hinzu kommt noch ein Barbezug in der Höhe von 34’000 Franken von einem weiteren Konto, das Iten für Elisabeth Alder verwaltet. Das ergibt ein Total von 448’875.50 Franken. Wer das Geld – im Schnitt 17’200 Franken pro Monat – abhebt, ist unklar. Denn ein Beistand darf das nicht, zumindest nicht allein. Sollte die betagte, demente Frau tatsächlich in der Lage gewesen sein, so viele Gänge zum Bancomaten zu tätigen? Oder wurde sie von Iten begleitet? Aber wofür sollte sie solch hohe Summen gebraucht haben, wenn sie sich kaum mehr von zu Hause fortbewegte? Quittungen für Einkäufe oder Spenden gibt es nicht.

Warum wird Elisabeth Alder nicht beschützt?

Dazu kommt der andere schwerwiegende Verdacht, Manuel Iten sperre Elisabeth Alder ein. Bei einem unangemeldeten Besuch findet ihre Schwägerin, Ruth Sommer-Alder, die Fenster der Eingangstür blickdicht verklebt vor. Niemand öffnet, obschon offensichtlich jemand zu Hause ist. Sommer-Alder meldet ihre Beobachtung der Altersbeauftragten von Meilen. Diese macht sich vor Ort ein Bild und erstellt ebenfalls eine Gefährdungsmeldung. Nichts passiert. «Die Kesb heisst doch ‹Schutzbehörde›, sagt die Nichte von Elisabeth Alder. «Warum wurde unsere Tante nicht beschützt?»

Dann, Ende 2021, stirbt Manuel Iten plötzlich 65-jährig. Ruth Sommer-Alder, selbst betagt und gesundheitlich angeschlagen, engagiert einen Anwalt. Sie will Antworten haben und darüber hinaus den Kanton dafür, wie die Kesb mit ihrer Schwägerin umgegangen ist, verklagen. Ihr Haftungsbegehren wird von der dafür zuständigen Zürcher Finanzdirektion abgelehnt mit der Begründung, Sommer-Alder sei nicht klageberechtigt. Das müsse Elisabeth Alder selbst machen. Oder deren Beistand.

Die Behörden verweigern jegliche Auskunft

Das bedeutet, dass Itens Nachfolger Beat Tobler als neuer Beistand eine Klage gegen seinen eigenen Arbeitgeber prüfen muss. Tatsächlich kommt er zum Schluss, «dass die Sachlage und die Beweise eher für eine Haftungsklage sprechen», wie er dem Anwalt von Ruth Sommer-Alder Ende 2022 schriftlich mitteilt. Die Finanzdirektion des Kantons Zürich bestätigt drei Monate später den Eingang von Toblers Klage.

Ab dann gibt es keine Informationen mehr. Als sich der Anwalt nach über einem Jahr erkundigt, was der Stand der Dinge sei, verweigert die Geschäftsleiterin der Kesb Meilen jegliche Auskunft. Sie beruft sich nun auf die Verschwiegenheitspflicht und schreibt: «Für uns stehen die Interessen unserer Klientin im Vordergrund, und wir handeln dementsprechend.»

Ob die bemühte Verschwiegenheitspflicht im Sinne einer Klientin ist, der seit ihrer Verbeiständung durch dieselbe Kesb 450’000 Franken auf dem Konto fehlen? Der Anwalt sagt, er werde den Eindruck nicht los, dass «etwas vertuscht» werden solle.

Es besteht «Optimierungs­potential»

Und deshalb wissen jetzt, 19 Monate später, weder er noch der Neffe und die Nichte, ob die Haftungsklage gutgeheissen und eventuell gar bereits der Betrag von 450’000 Franken überwiesen wurde oder ob die Finanzdirektion sie abschlägig beurteilte. Falls ja: mit welcher Begründung? Die Behörden mauern.

Auf Anfrage erklärt die kantonale Aufsichtsbehörde, die Kesb Meilen habe im Fall Elisabeth Alder «zeitnah, effektiv und zielführend Massnahmen ergriffen». Wie beiläufig heisst es aber noch, die Kesb habe «ein Optimierungspotential bei der Prüfung der Geeignetheit von privaten (von den Betroffenen ausdrücklich gewünschten) Mandatspersonen erkannt». Man habe «die Erkenntnisse aus diesem Fall» in die Arbeitsgruppe der Schweizerischen Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz eingebracht. Diese habe nun «Empfehlungen zur Ernennung der geeigneten Beistandsperson ausgearbeitet». Worin diese Empfehlungen bestehen, beantwortet die Aufsichtsbehörde nicht.

Angehörige werden nicht lockerlassen

Auf einmal tut sich dann doch etwas. Auf mehrfache Nachfrage der SonntagsZeitung meldet die Kesb Meilen, die Finanzdirektion des Kantons Zürich habe das Haftungsbegehren des Beistands abgelehnt. Wann und warum, erklärt sie nicht. Auch die – offenbar neue – Beiständin von Frau Alder meldet sich jetzt und schreibt, sie habe die Angelegenheit an «eine ausserkantonale Fachperson» gegeben. Die Prüfung, ob nun als nächster Schritt eine Haftungsklage beim zuständigen Bezirksgericht eingereicht wird, sei «noch nicht abgeschlossen». Das klingt nun doch etwas anders als die Einschätzung der Aufsichtsbehörde, wonach im Fall Elisabeth Alder «keine grundsätzlichen Mängel auszumachen» seien.

Die neuste Entwicklung stimmt die Nichte und den Neffen erstmals zuversichtlich. Ans Aufgeben dachten sie trotzdem nie. Sie sagen: «Unsere Mutter ist tot, unsere Tante 86 Jahre alt und sehr krank. Offenbar warten die Behörden ab, bis niemand mehr da ist, in der Hoffnung, damit erledige sich die Sache von selbst. Aber wir sind noch da, und wir lassen das nicht zu.»